Viele Menschen zeigen sich solidarisch mit der Ukraine. Foto: Deckert

Rund 160 Kinder aus einem ukrainischen Waisenhaus konnten nach Freiburg fliehen. Der Rückhalt im Südwesten für die Ukrainer ist überwältigend.

Freiburg - Hinter ihnen liegen drei Tage auf der Flucht, eineinhalb davon ohne Essen und Trinken. Unterwegs wurde ihr Buskonvoi von Drohnen beschossen. Nun aber sind sie in Sicherheit: Rund 160 Kinder und 40 Begleitpersonen aus einem Waisenhaus in Kiew sind seit Sonntag in Freiburg in Sicherheit. Das jüngste der geretteten Kinder ist gerade mal ein Jahr alt, die ältesten sind beinahe erwachsen.

Einige Kinder zeigen Anzeichen einer Traumatisierung, sagt Freiburgs Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) nach der Ankunft der vier Busse aus Dresden, wo die Kinder und ihre Begleitpersonen zuletzt ihre Busse aus der Ukraine verlassen und mit deutschen Reisebussen die Fahrt nach Freiburg fortsetzen konnten.

Der Impuls zur Rettung kam von der evangelischen Freiburger Stadtmission

Von Kirchbach und Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) erzählen unter Tränen von dem, was die Kinder und deren Begleiter über die Situation in Kiew und die Flucht aus der Region berichtet haben. "Das Haus, in dem die Kinder leben, liegt in einem Vorort", sagt Horn. "Genau an der aktuellen Frontlinie." Freiburg ist bundesweit die erste Stadt, die einen Konvoi mit Geflüchteten aus der Ukraine geholt hat. "Wir haben hier einfach Krisenmanagement betrieben", erklärt Horn. "Es ist ein wichtiger Tag, ein Zeichen von Mitmenschlichkeit in unmenschlichen Zeiten. Ich glaube, ganz Freiburg freut sich, dass diese Kinder wohlbehalten hier angekommen sind." Die Sache sei eine Zitterpartie gewesen.

Der Impuls zur Rettung kam von der evangelischen Freiburger Stadtmission, die das "Vaterhaus" in Kiew seit 30 Jahren betreut und mit aufgebaut hat, wie die Vorstandsvorsitzende Katja Potzies erklärt. "Am Montag wusste ich: Wir müssen unsere Leute aus Kiew rausholen. Aber es sah zunächst nicht so aus, als würden wir das schaffen können. Erst als die Stadt uns zur Seite gesprungen ist wusste ich, dass es gelingen kann." Nun werden die Kinder psychologisch und medizinisch betreut, eines sei positiv auf Corona getestet worden, berichtet von Kirchbach.

Heimleiter Roman Kornijko kann die Tränen nicht zurückhalten.

Ein Heer von Helfern des DRK und anderer Rettungsdienste unterstützt die Aktion. Erste Anlaufstelle ist die Turnhalle der Wentzingerschule in Freiburg gewesen, dann werden die Kinder und ihre Betreuer auf vier Einrichtungen in der Stadt verteilt, um sich möglichst abgeschirmt von der Öffentlichkeit von ihren Erlebnissen und der Flucht erholen zu können. "Für die kommenden drei Wochen ist alles organisiert", sagt von Kirchbach. Danach müsse man weitersehen. Die Hilfsbereitschaft von Behörden und Bevölkerung sei enorm, meint er.

Heimleiter Roman Kornijko kann die Tränen ebenfalls nach der Ankunft am Sonntagmorgen in Freiburg nicht zurückhalten. Acht Stunden nach Beginn der Kampfhandlungen sei schon der Anruf aus Freiburg gekommen mit der Mitteilung, dass man das "Vaterhaus" evakuieren werde. "Ich bin von Emotionen überwältigt darüber, wie viel Liebe und Fürsorge hier für uns ist." Und: "Sie hätten die Kinder beten hören sollen, als die Drohnen auf sie schossen", berichtet er. "Aber Gott hat sie behütet. Die Kinder sind binnen weniger Stunden um zehn Jahre gealtert. Sie mussten auf dem Weg nach Freiburg die ganze Zeit erwachsen sein."

Aus Angst vor einem russischen Angriff auf die Busse machte der Konvoi in den ersten Stunden nicht einmal eine Pinkelpause. "Wir sind die ersten 500 Kilometer gefahren, ohne anzuhalten." Es sei schlimm, dass nun ganz kleine Kinder schon wissen, was Krieg bedeutet. Die Kinder im "Vaterhaus" in Kiew sind teilweise Waisen, alle kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen und tragen eh schon eine Last auf ihren Schultern. "Sie haben immer gehofft, ihre Eltern wiederzusehen. Nun ist diese Hoffnung in noch weitere Ferne gerückt."

1000 Menschen protestieren gegen Putins Krieg in Freiburg

Besonders tragisch: Der Vater und die Mutter eines der Kinder waren zunächst mit in den Bussen dabei. An der Grenze durfte der Mann, der auch neun Pflegekinder in dem Fluchtkonvoi betreut hat, wegen der Mobilmachung in der Ukraine nicht ausreisen. Auch seine Frau sei mit ihm in dem Land zurückgeblieben, berichtet Kornijko. Nun sei er dem deutschen Volk dankbar, dass die Leben der Kinder gerettet seien.

Man dürfe sich aber nichts vormachen, sagt Rathauschef Horn: "In der Ukraine geht es um das Leben von Hunderttausenden, von Millionen. Uns ist das sehr nah. Der Krieg in der Ukraine muss endlich beendet werden!" Bis in der kommenden Woche will Freiburg einen großen Transport von Hilfsgütern in die Ukraine schicken. Spenden seien das wichtigste im Moment, sagt Potzies. "Die ganze Ukraine braucht unsere Hilfe." Ob es weitere Evakuierungen aus Kiew geben könne, wisse man derzeit nicht.

Forderung: Auch Belarus muss sanktioniert werden

Später am Sonntag haben rund 1000 Menschen gegen Waldimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine protestiert. Auch wieder dabei: Ulrich von Kirchbach. Russlands Angriff auf die Ukraine sei "ein Angriff auf unser Wertesystem. Dem müssen wir uns entgegenstellen." Mit der Demo habe die Stadt nun erneut ihre Solidarität mit der Ukraine und den Menschen im Kriegsgebiet gezeigt.

Oksana Vyhovska, Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Freiburg, betont, wie wichtig die Solidarität der Welt für die Menschen in der Ukraine sei. Es mache sie stolz, dass binnen weniger Tage so viele politische Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine gefallen seien und es so viele private Hilfsangebote für ihre Landsleute gebe. Allerdings müsse auch Belarus als Verbündeter Russlands nun verstärkt Wirtschaftssanktionen zu spüren bekommen.

Mehrere Redner der georgischen Minderheit in Freiburg drücken bei der Demo zudem die Solidarität ihres Landes gegenüber der Ukraine aus.

Demos, Hilfe und weitere Aktionen im Südwesten

Auch in mehreren Orten in unserem Verbreitungsgebiet gab es Mahnwachen und Aktionen rund um die Ukraine.

Spontane Kundgebung in Villingen-Schwenningen

Sprachlosigkeit, tiefe Betroffenheit und Trauer über die Kriegshandlungen in der Ukraine prägten die Stimmung einer Friedensdemonstration auf dem Villinger Münsterplatz. Eine Ukrainerin hatte sie organisiert. Mehrere hundert Menschen waren ihrem Ruf gefolgt.

Gedenkminute im Gottesdienst in Oberndorf

Beim Fastnachtsgottesdienst in der Oberndorfer St. Michaelskirche legten die Gläubigen - wie in vielen anderen Kirchen im Land - eine Schweigeminute für die Opfer des Krieges in der Ukraine ein.

Flehentlicher Appell in Freudenstadt

300 Teilnehmer kamen am Samstag zur Kundgebung auf den Freudenstädter Marktplatz. In Reden wurde der Krieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. "Helft der Ukraine. Bitte!", flehte am Ende eine junge Ukrainerin ins Mikrofon.

Rottenburg steht an der Seite der Ukraine

Narrenzünfte und Stadt Rottenburg hatten eine Friedenskundgebung organisiert. "Wir stehen auf eurer Seite, und wir wissen, dass es bei euch wesentlich mehr Mut braucht, sich zu versammeln", sagte Oberbürgermeister Stephan Neher (CDU).

Furtwangen will auch Flüchtlinge aufnehmen

"Die Solidarität mit unseren Freunden in der Ukraine ist in dieser schweren Zeit nun von enormer Bedeutung. Deshalb ist die Stadt Furtwangen auch bereit, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen", sagte Bürgermeister Josef Herdner (CDU).

Rottweiler AWO ruft zu Spenden auf

Die Arbeiterwohlfahrt ruft im Kreis Rottweil zu Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten auf. Es werden Unterkünfte gebraucht, ein Spendenkonto eingerichtet.