OB Stephan Neher, bei seiner Rede, hinter ihm stehen die Zunftmeister. Foto: Jansen

Der Rottenburger Marktplatz ist am Samstagvormittag voller Menschen. Vom Rathaus weht die ukrainische Flagge. Die Narrenzünfte und Stadt haben kurzfristig zur Friedenskundgebung eingeladen, als Zeichen der Solidarität mit dem angegriffenen Land.

Rottenburg - Mit der Versammlung soll den Menschen im Kriegsgebiet und den Protestierenden in Russland deutlich gemacht werden: "Wir stehen auf eurer Seite, und wir wissen, dass es bei euch wesentlich mehr Mut braucht, sich zu versammeln", wie es Oberbürgermeister Stephan Neher ausdrückt.

Zahlreiche Rottenburger jeden Alters sind dem Aufruf gefolgt, auch Kinder sind mit ihren Eltern gekommen. Einige Teilnehmer haben sich die ukrainische Flagge auf die Wangen gemalt, Schilder mit Antikriegsparolen werden vereinzelt hochgehalten. Die Fasnetszünfte sind in Häs oder Verkleidung erschienen. Ein Mann hüllt sich in eine EU-Flagge.

OB bekommt Redezeit von den Narren

Normalerweise hält der Bürgermeister an der Fasnet keine Rede, ganz bewusst nicht. Fasnet ist die Zeit, an der die reden, die sonst nicht gehört werden. Dann halten sie den Mächtigen einen Spiegel vor und holen sie zurück auf den Boden der Tatsachen. "Dass genau das nicht passiert, dass man sich in die Macht verliebt", begründet Neher diesen Brauch. Denn das sei in Russland geschehen.

Angesichts des Kriegsbeginns in Europa wird Neher an Fasnet ausnahmsweise Redezeit eingeräumt. Und die nutzt er für ein Plädoyer für freie Wahlen und die Toleranz anderen Meinungen gegenüber. "Macht wird an alle Gewählten nur auf Zeit vergeben. Und das geht nur mit freien Wahlen", betont er mit Blick auf Russland, wo die freie Presse und die Opposition unterdrückt werden.

Menschen wünschen sich eine Perspektive

Neher hofft, dass das russische Volk den Kurs seiner Machthaber nicht mittragen wird. Aus jahrelanger Erfahrung mit geflüchteten Menschen in Rottenburg ließe sich ableiten: Menschen wünschen sich eine Perspektive, Bildung, Nahrung, Sicherheit. Und das gilt für Menschen überall auf der Welt. Aber Krieg zerstöre diese Wünsche und macht ihre Erfüllung unmöglich.

Auch zu den Vorwürfen, die Nato habe sich entgegen Absprachen weiter Richtung Osten ausgebreitet, hat er eine klare Meinung: Die Ukraine sei ein souveräner Staat. "Ein selbstständiger Staat darf selbst entscheiden, welchen Bündnissen er beitreten will und wie er die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten will."

"Rottenburg ist bereit, Menschen zu helfen und aufzunehmen"

Wladimir Putin habe den Militäraufmarsch an der Grenze ursprünglich mit Sicherheitsinteressen begründet. Die Nato solle sich nicht auf die Ukraine und damit bis an die russische Grenze ausweiten. Donnerstag folgte nun der Einmarsch, tausende Menschen sind schon jetzt auf der Flucht. "Rottenburg ist bereit, Menschen zu helfen und aufzunehmen, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen", macht der Oberbürgermeister klar.

Und bevor die Kundgebung mit der Europahymne endet, schließt Neher seine Rede: "Der Weg von Putin führt nicht in die Freiheit. Und Freiheit wird immer über den Krieg siegen."