Drazen D. mit seinen Anwälten. Der 41-Jährige wurde wegen dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Foto: Graner

Landgericht spricht 41-Jährigen des dreifachen Mordes schuldig. "Verachtenswert und auf niedrigster Stufe." Mit Video

Rottweil/Villingendorf - Es fließen viele Tränen an diesem letzten Prozesstag. Die Mutter des getöteten Jungen und weitere Angehörige sind nach Rottweil gekommen, bringen alle Kräfte auf, um mitzuerleben, wie Drazen D. verurteilt wird. Der bleibt, wie die 16 Verhandlungstage zuvor, ungerührt: Der 41-jährige Kroate wird am Dienstag von der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweils wegen dreifachen Mordes in Tateinheit mit Verstößen gegen das Waffengesetz schuldig gesprochen. Das Gericht verhängt eine lebenslange Haftstrafe und stellt die besondere Schwere der Schuld fest. "Eine Aussetzung der Strafe bereits nach 15 Jahren wäre nicht angemessen", so der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer in der fast eineinhalbstündigen Urteilsbegründung.

Als das Gericht die Ergebnisse der Beweisaufnahme noch einmal aufrollt, die Kaltblütigkeit des Täters und die Details der Morde vom 14. September schildert, können nicht nur die Angehörigen die Tränen kaum zurückhalten. Die Mutter des getöteten Jungen schluchzt und verbirgt ihr Gesicht in den Händen, als Richter Münzer schildert, wie Drazen D. nach langer Vorplanung am Tag der Einschulung seines Sohnes mit geladener Waffe aus dem Dunkeln auf die Terrasse der Wohnung in Villingendorf tritt, dort sofort ihren 34-jährigen Lebensgefährten erschießt, auf dessen 29-jährige Cousine feuert und dann entschlossen die Wohnung betritt, um auch seinen kleinen Sohn zu töten. Drei Schüsse aus dem großkalibrigen Gewehr treffen den Sechsjährigen aus knapp 50 Zentimetern Entfernung. Die junge Mutter kann flüchten, will Hilfe holen, um ihre Lieben zu retten. Vergeblich.

Familiendrama in Villingendorf: Chronologie der Ereignisse

Nach Überzeugung des Gerichts hat sich sowohl die Tat als auch deren Vorbereitung so abgespielt, wie in der Anklage geschildert. Drazen D. habe seine Rachepläne nach der Trennung von seiner Ex-Partnerin im Februar 2017 zielgerichtet verfolgt. Er hat die neue, geheime Adresse der 32-Jährigen ausspioniert, sich schon ab März nach einer Waffe umgehört und diese schließlich im August in der Heimat Kroatien besorgt. Drazen D. machte sich dann schon am Morgen des 14. September auf den Weg nach Villingendorf – die Tatwaffe hatte er unter dem Auto mit Lautsprecherkabeln festgemacht. "Er wartete den passenden Moment ab." Unter anderem postierte er sich direkt vor der Turnhalle, wo an diesem Tag in dem kleinen Ort die Einschulung gefeiert wurde. Nach Einbruch der Dunkelheit beschloss er, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er erschoss drei Menschen, die völlig überrascht und arglos waren und keine Fluchtmöglichkeit hatten. "Er repetierte, setzte neu an und schoss. Jedem Repetieren ging der erneute Entschluss, zu töten voraus", betonte Richter Münzer. Der sechste Schuss galt erneut dem bereits am Boden liegenden 34-jährigen Freund der Ex-Partnerin. "Er wollte sichergehen." Danach zündete sich Drazen D. eine Zigarette an, warf das Handy der zu dem Zeitpunkt noch lebenden, schwer verletzten 29-Jährigen Frau ins Gebüsch und flüchtete ohne Hast.

Eine grausame Tat, deren Motiv Münzer als "verachtenswert und auf niedrigster Stufe" bezeichnet. Drazen D. wollte aus Rache und Wut töten, um sich an seiner Ex-Partnerin zu rächen, die ihn verlassen hatte. "Es wäre für ihn ein Leichtes gewesen, auch auf sie zu schießen", so Richter Münzer. Drazen D. habe sie jedoch bewusst verschont, genau so wie er es in seiner Drohung vier Wochen zuvor angekündigt hatte. Er werde ihren Freund umbringen, dessen Kinder schänden und den eigenen Sohn töten, damit sie ihr Leben lang leidet, hatte er ihr im Beisein des sechsjährigen Sohnes gesagt. Ähnliche Rachgelüste hatte er schon gegenüber seiner ersten Frau geäußert.

Chronologie: 15 Verhandlungstage im Rückblick

Respekt zollte das Gericht den Angehörigen der Opfer, die durch ihre Zeugenaussagen einen wichtigen Beitrag im Verfahren geleistet hätten. Die Mutter des Jungen habe die Tat von Beginn an glaubhaft und durchweg stimmig geschildert. Ihre Angaben decken sich mit den Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen, der Analyse Schusswegverläufe und der Verletzungen der Opfer sowie der zahlreichen Zeugenaussagen aus dem Umfeld des Tatorts.

Auch Drazen D. habe "seinen Teil beigetragen", erklärt das Gericht, in dem er - wenn auch spät - ausgesagt und die psychiatrischen Untersuchungen mitgemacht habe.

Wichtig für das Urteil: Drazen D. ist schuldfähig. Daran bestehe trotz seiner Persönlichkeitsstörung kein Zweifel. In der Urteilsbegründung werden hier unter anderem die lange Vorbereitung der Morde, das strukturierte Vorgehen, die Tatsache, dass Drazen D. bis kurz vor der Tat normal gearbeitet hat sowie das Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens angeführt. "Er war auf die Tat fokussiert und bereit, dafür eine lebenslange Freiheitsstrafe in Kauf zu nehmen", so Richter Münzer.

Drazen D. nimmt Urteil an

Diese Bereitschaft zeigt sich, als Verteidiger Bernhard Mussgnug nach der Urteilsverlesung erklärt, dass der Angeklagte das Urteil sofort annehmen und auf weitere Rechtsmittel verzichten wird. Richter Münzer fragt bei Drazen D. nach, ob dies tatsächlich in seinem Sinne ist. "Ja, genau", sagt der 41-Jährige mit fester Stimme.

Drazen D. wird auch dazu verurteilt, den Angehörigen der Opfer ein Hinterbliebenengeld zwischen jeweils 10.000 bis 30.000 Euro zu bezahlen. Jeder im Saal weiß, dass es dazu nie kommen wird. Die Nebenklägeranwälte haben trotzdem entsprechende Anträge gestellt – allein um der Symbolkraft willen.

Dann ist der Prozess vorbei. Drazen D. zieht sich wieder sein blaues Gefängnishemd über den Kopf. Draußen vor der Tür warten zahlreiche Fernsehteams und Fotografen, das Urteil wird noch einmal von den Prozessbeteiligten analysiert. Drinnen im Saal leeren sich die Zuschauerränge, die Angehörigen wischen sich die Tränen aus den Augen. Die Mutter des getöteten Jungen fällt weinend einer Polizeibeamtin in die Arme, die sie nach der Tat intensiv betreut hat.

Vor der Tat hätte sich die 32-Jährige Unterstützung von der Polizei gewünscht. Sie hat trotz der zahlreichen Bedrohungen von Drazen D. keinen Schutz von Behördenseite bekommen und hat deshalb gegen verschiedene Personen Strafanzeige gestellt. Sie wusste, dass sie und ihr kleiner Sohn in Lebensgefahr sind. "Das ist die besondere Tragik dieses Falls", sagt ihr Anwalt Wido Fischer, "die Tat war angekündigt, und es wurden keine Versuche unternommen, sie zu verhindern." Die 32-Jährige schließt dann die Türen des Landgerichts hinter sich – und muss weiter mit dem unfassbaren Geschehen leben. Das letzte Bild ihres vor Angst zitternden kleinen Sohnes, wird sie, wie sie im Zeugenstand sagte, ein Leben lang vor Augen haben.

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Info: Was bedeutet lebenslange Haft?

Seit Abschaffung der Todesstrafe ist lebenslange Haft die schwerste Strafe im deutschen Recht. Lautet der Richterspruch "lebenslänglich", heißt das aber nicht, dass ein Verurteilter unbedingt bis zu seinem Tod hinter Gittern sitzt. Lebenslange Haft wird meist bei Mord verhängt und kann - bei guter Führung und günstiger Sozialprognose - nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Wird sein entsprechender Antrag abgelehnt, kann der Verurteilte ihn alle zwei Jahre neu stellen.

Hat das Gericht allerdings eine "besondere Schwere der Schuld" festgestellt, kommt der Täter nur in Ausnahmefällen vorzeitig frei - etwa wegen hohen Alters oder schwerer Krankheit. Besondere Schwere der Schuld bedeutet zum Beispiel, dass das Motiv besonders verwerflich war, die Tat besonders grausam oder mit mehreren Opfern.