Zeichen der Trauer am Tator. Hätte der Täter gestoppt werden können? Foto: dpa

Hinter Villingendorf liegt eine furchtbare Woche. Polizei steht erst am Anfang ihrer Ermittlungen.

Villingendorf - Eine Woche voller Angst und Schrecken liegt hinter Villingendorf. Ein furchtbares Familiendrama hat drei Menschen aus dem Leben gerissen, der mutmaßliche Täter war tagelang auf der Flucht. Noch steht die Polizei am Anfang ihrer Ermittlungen.

Im Folgenden eine Chronologie der Ereignisse:

März 2017

Aufgrund von mehrfachen Übergriffen und Gewaltausbrüchen von Drazen D. wendet sich seine Ex-Lebensgefährtin hilfesuchend an die Behörden. Das Amtsgericht Tuttlingen, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die Frau mit Sohn vor dem Wohnortwechsel nach Villingendorf aufgehalten hat, untersagt am 31. März dieses Jahres dem Mann, sich der Frau zu nähern.

Die 39-Jährige zieht mit ihrem Sohn und mit ihrem neuen Lebensgefährten, von dem sie ein Kind erwartet, in eine Wohnung in Villingendorf. Der Sechsjährige besucht fortan den örtlichen Kindergarten. Dem Vater Drazen D. wird der neue Wohnort der Familie nicht mitgeteilt.

Mai 2017

Das Amtsgericht Tuttlingen wandelt seinen Beschluss vom März 2017 in beiderseitigem Einverständnis in eine Vereinbarung um.

August 2017

Drazen D. findet den neuen Wohnort seiner Ex-Lebensgefährtin heraus. Es kommt zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und Ekaterina B. Die Frau erstattet Anzeige bei der Polizei. Daraufhin findet in der Wohnung in Villingendorf ein Beratungsgespräch statt. Darin wird der Familie geraten, erneut den Wohnort zu wechseln.

14. September

Zeugen wollen das Auto des mutmaßlichen Täters - einen grünen Seat mit KN-Kennzeichen - schon am Donnerstag gesehen haben. Ein Jogger entdeckte es am "Hochwald", ein Mann habe darin geschlafen. Auch ein anderer Einwohner gibt an, den späteren Täter im Auto wartend geshen zu haben.

15. September 2017

Der sechsjährige Sohn Dario wird eingeschult. Zur Feier des Tages lädt Mutter Ekaterina B. zu einer Party in die Wohnung nach Villingendorf ein. Dort kommt es zu dem schrecklichen Familiendrama.

Um 21.36 Uhr werden der Polizei Schüsse gemeldet. Sofort macht sich ein Großaufgebot auf den Weg. In der Wohnung finden die Einsatzkräfte zwei Leichen: den 34-jährigen neuen Freund von Ekaterina B. und den sechsjährigen Dario. Die 29-jährige Cousine des des 34-Jährigen wird schwer verletzt und stirbt wenig später im Krankenhaus.

Der schwangeren Ekaterina B. selbst war die Flucht aus ihrer Wohnung zu Nachbarn gelungen, als ihr Ex zu schießen begann. Der Täter konnte flüchten. Er feuerte aus einer Langwaffe, wohl aus Beständen der ehemaligen jugoslawischen Armee, berichtet die Polizei später.

Die Lage in dem 3500-Einwohner-Ort ist laut Polizei "unübersichtlich". Die ganze Nacht über sind Beamte vor Ort. Im nahe gelegenen Wald werden Schüsse gehört. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Täter noch in der Nähe aufhält, dürfen Nachbarn ihre Häuser weder verlassen noch nach Hause gehen. Auch auf der A 81 zwischen Stuttgart und Singen werden Autos kontrolliert.

Zur Beruhigung und zum Schutz der Anwohner ist die Polizei auch tagsüber mit einer großen Zahl von Beamten in Villingendorf präsent. Um 8.06 Uhr gibt die Polizei bekannt, dass keine Veranlassung bestehe, von einem geregelten Tagesablauf abzuweichen. Dennoch behalten viele Eltern ihre Kinder von der Schule zu Hause.

Um 9.30 Uhr veröffentlicht die Polizei einen Fahndungsaufruf: Gesucht wird Drazen D., der 40-jährige Ex-Lebensgefährte der 39-jährigen Mutter und Vater des erschossenen, sechsjährigen Dario. Er soll mit einem grünen Seat Ibiza mit Konstanzer Kennzeichen unterwegs sein.

Das Auto des mutmaßlichen Täters wird im Laufe des Morgens in Herrenzimmern gefunden.

Um 14 Uhr halten Polizei und Staatsanwaltschaft in der Turn- und Festhalle Villingendorf eine Pressekonferenz ab. Darin wird bekannt, dass ein dreijähriges Mädchen und ein Mann die Attacke überlebt haben: Das Kind hatte sich versteckt, der Mann war kurz außer Haus, um Getränke zu kaufen.

Der kroatische Tatverdächtige soll bisherigen Erkenntnissen zufolge mit einer sogenannten Langwaffe geschossen haben, "einer kriegswaffenähnlichen Waffe, wie sie während des Bosnienkrieges verwendet worden sein könnte", sagte ein Sprecher der Polizei. Mehrere Patronen im Kaliber 8 mal 57 Millimeter wurden sichergestellt, konnten aber noch nicht definitiv einem Waffentyp zugeordnet werden.

Die Ermittler gehen aufgrund der Vorkenntnisse von einer Beziehungstat aus. Der Tatverdächtige Drazen D. ist weiter auf der Flucht.

Auf seiner öffentlichen Facebook-Seite präsentiert sich D. als stolzer Familienvater. Dutzende Fotos von seiner Frau und dem Sohn sind nicht nur für Freunde, sondern für alle einsehbar. Ein Bild zeigt, wie der fünfte Geburtstag des Sohnes im Sommer vergangenen Jahres gemeinsam gefeiert wird.

Ein Patient der Helios-Klinik will indes beobachtet haben, dass der Täter am Freitagnachmittag in Begleitung einer Frau im Krankenhaus auftauchte und nach seiner Ex-Partnerin fragt. Seine Begleitung stellte sich offenbar als Schwester der Mutter vor.

16. September

Am Samstag nach der Tat machen sich ab 13 Uhr etwa 100 Einsatzkräfte auf, um zwei rund vier Quadratkilometer große Waldgebiete westlich von Villingendorf zu durchkämmen. Unterstützt werden die Beamten des Polizeipräsidiums Tuttlinge vom Polizeipräsidium Einsatz und benachbarten Polizeipräsidien. An der Suche sind auch Polizeihundeführer beteiligt. Auch ein Polizeihubschrauber und eine Drohne werden eingesetzt. Denn nicht nur im Wald, sondern auch in angrenzenden Maisfeldern soll gesucht werden - und für diese Aktion ist ein Hubschrauber nicht die erste Wahl, so die Auskunft der Polizei.

Lebt D.? Oder hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt? Diese Frage bleibt vorerst weiter offen. Man könne nicht ausschließen, dass der Mann noch am Leben sei, erklärte Ermittlungsleiter Rolf Straub.

Am Tatort in Villingendorf haben Trauernde Blumen und Kerzen niedergelegt.

17. September

Sonntagabend, 18 Uhr. Die Polizeibeamten, die den Tag über ein Waldgebiet nordwestlich von Villingendorf durchkämmt haben, packen zusammen. Die Suchaktion sei für den Moment beendet, bestätigt Dieter Popp, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Rottweil. Noch immer fehlt jede Spur von Drazen D.

Eine Freundin von Ekaterina B. sammelt im Internet unterdessen Spenden für die Beerdigung des Sechsjährigen. Wann die Trauerfeier stattfindet, ist laut Polizeiauskunft noch nicht bekannt.

18. September

Die Suche wird am Montag fortgesetzt. Das Gelände ist unwegsam, das dichte Unterholz und der vom Regen aufgeweichte Boden erschweren das Durchkommen.

Der Schulbetrieb an der Grund- und Werkrealschule Villingendorf wird regulär fortgesetzt. "Wir sind  bestürzt und betroffen über den tragischen Tod eines Erstklässlers", schreibt die Schule auf ihrer Website. Laut Polizei bestehe aber "keine Gefährdungssituation für unsere Schule", ist dort zu lesen. Trotzdem steht ein Streifenwagen auf dem Schulgelände.

19. September

Rund 100 Beamte durchkämmen am Dienstagmorgen das letzte Stück des Waldes bei Villingendorf nach Spuren und Beweismitteln. Die Staatswaltschaft hat eine Belohnung von bis zu 5000 Euro für Hinweise ausgesetzt, die zur Festnahme des Täters führen.

Um 16.13 Uhr sieht ein Zeuge den gesuchten Drazen D. durch den Rottweiler Teilort Neufra spazieren. Er verständigt die Polizei. Mit den Worten "Ich bin der, den ihr sucht" lässt sich der 40-Jährige widerstandslos festnehmen. Er hat die Tatwaffe noch bei sich.

Mehrere andere Passanten in Neufra haben den gesuchten Tatverdächtigen ebenfalls gesehen. Er soll mehrere Plastiktüten mit sich geführt haben.

Der Mann wirkte laut den Streifenbeamten "platt und erschöpft". Auch machte er den Einruck, sich in den letzten Tagen im Freien aufgehalten zu haben.

Die Eltern von Villingendorfer Schülern nehmen die Nachricht von dem gefassten Tatverdächtigen  überaus  erleichtert auf. Bürgermeister Karlheinz Bucher und Schulleiter Kropp-Kurta berichten von mehrfach anhaltendem Beifall für die Polizei, die in den vergangenen Tagen rund um die Uhr im Einsatz und vor Ort war,  um den Bürgern in dem Dorf ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) lobt am Abend die Einsatzkräfte. Die Polizei habe erneut exzellente Arbeit geleistet.

Während die Tat geplant gewesen war, sei die Flucht relativ planlos gewesen, so die Polizei. Angaben zur Tat machte Drazen D. bislang nicht. Die Angehörigen werden vom Weißen Ring und Seelsorgern betreut. Bis zur Festnahme habe die Ex-Frau des Täters unter besonderem Schutz gestanden. Ob er sie bewusst geschont hat und woher er den Aufenthaltsort der Frau wusste, muss noch geklärt werden.

Alle Artikel zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite.