Das "Temporaire" des Hotels "Traube Tonbach" in Baiersbronn: In diesem sind als Übergangslösung die Restaurants "Schwarzwaldstube" und "Köhlerstube" untergebracht. Foto: Schwarzwälder Bote

"Wir wollen kein Disneyland". Wie die Familie Finkbeiner mit der Katastrophe fertig wird.

Baiersbronn - Das Bemerkenswerte am Gespräch mit den vier Finkbeiners fällt dem Besucher erst nach dem Treffen auf. Sie klagen nicht, sie jammern nicht, sie schauen nicht wehmütig zurück in die Vergangenheit. Etwas salopp könnte man sagen: Für jemanden, dem erst vor ein paar Monaten das Dach über dem Kopf abbrannte, ist das Führungs-Quartett Finkbeiner verhältnismäßig gut gelaunt. Statt sich dem Verlust und dem Schmerz hinzugeben, hat die Gastro-Familie ihr Projekt "Traube Tonbach 2.0" gestartet. Frei nach dem Motto: "Alles muss sich ändern, damit es bleibt wie es ist."

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Aber der Reihe nach. Der erste Eindruck, wenn man sich derzeit der Adresse Tonbachstraße 237 nähert, ist das tiefe Loch, das dort klafft, wo bis zum 5. Januar 2020 das Stammhaus des Hotels Traube Tonbach stand – samt der legendären "Schwarzwaldstube" (drei Sterne) und der "Köhlerstube" (ein Stern). Anfangs ging man noch von einem Zimmerbrand aus, berichten Heiner Finkbeiner (71), Patron des Hauses, sowie seine beiden Söhne Sebastian und Matthias.

Doch nur Stunden später war für das Stammhaus klar: alles dahin. Unbeschadet blieben das ans Stammhaus angrenzende Gästehaus Kohlwald und das gegenüberliegende Haupthaus des Hotels.

Aufgaben war noch nie eine Option

Die Anfänge der Gastronomie der Finkbeiners gehen auf das Jahr 1789 zurück, das Jahr der Französischen Revolution. Historie verpflichtet, könnte man sagen. Aufgeben, betont das Team der Finkbeiners unisono, sei keine Option gewesen. Noch in der Feuernacht, spätestens am nächsten Morgen, sei die Entscheidung gefallen: weitermachen!

Der zweite Blick am Ort der einstigen Gourmettempel fällt auf das, was die Finkbeiners wohlklingend und französisch das "Temporaire", die Übergangslösung, nennen: ein schmuckloses Konstrukt, ein Kubus in Fertigbauweise, eine Art Pop-up-Restaurant, eilig errichtet auf dem hoteleigenen Parkdeck. Bis zur geplanten Neueröffnung des "Stammhauses" Ende 2021 sollen die Gourmets hier spitzenmäßig dinieren – und das mit Corona-Abstand.

In 16 Wochen zur Übergangslösung

Zwei Spitzenlokale, die "Scharzwaldstube" und die "Köhlerstube", auf der Hotelgarage – auf eine derart abenteuerliche Idee muss man erstmal kommen. "Doch das eigentlich Spektakuläre", meint Sebastian Finkbeiner, sei etwas anderes: "Vier Wochen Planung, vier Wochen Genehmigung, acht Wochen Bauzeit."

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In vier Monaten sei aus der verwegenen Idee des "Temporaire" Wirklichkeit geworden, "samt Lagerungslogistik, Kühllogistik, Anlieferung und Reinigung". 32 Plätze allein für die "Schwarzwaldstube", eher nüchtern mutet der Gastraum an, die Küchen für beide Restaurants sind in Überseecontainern untergebracht, doch das, was Torsten Michel, Chefkoch der Schwarzwaldstube, und sein Team servieren, habe "dasselbe Niveau wie vor dem Brand". Auch die Preise seien gleich geblieben: Das siebengängige "große Degustationsmenu" mit pochierten Gillardeau-Austern, gefüllter Rotbarbe mit krossen Knoblauchschuppen und gebratenem Rehrücken kostet 245 Euro.

Lücke im Lebenslauf soll vermieden werden

Zur Übergangslösung auf dem Garagendach habe man sich auch entschieden, um nicht wertvolle Mitarbeiter zu verlieren. "Die beiden Restaurantteams wären auseinandergebrochen", erklärt Sebastian Finkbeiner. "Die jungen Leute wollen nicht nur Lohn, sie wollen auch keine über einjährige Lücke in ihrem Lebenslauf."

Floriert das Geschäft im "Temporaire"? Man sei "sehr gut ausgebucht", lautet die Antwort, nicht unerheblich sei die "enorme Medienpräsenz" der "Traube Tonbach" seit dem Brand, überall sei über das "Temporaire" geschrieben worden. "Da sind die Leute neugierig geworden und wollen sich das angucken."

Wir haben uns den Bau der Übergangslösung genauer angeschaut:

Doch die entscheidende Frage, die man sich als Außenstehender natürlich stellt, lautet: Was wird aus dem Neubau, wie soll das "neue Stammhaus" aussehen, wie will man bauen? Hier kommt Seniorchefin Renate Finkbeiner ins Spiel, die Ehefrau des Patron. "Ich bin für das Äußere zuständig, für alles, was man sehen kann, die Gärtnerei, die Schneiderei, die Dienstkleidung", sagt sie. Das klingt eher bescheiden, tatsächlich gilt sie als der Kopf bei Renovierungen und baulichen Umgestaltungen – die Ästhetin des Hauses Finkbeiner sozusagen.

Anknüpfen an der Architektur des Nordschwarzwalds

Wie also soll gebaut werden? Bei der Frage holt die Seniorchefin erstmal weit aus, sie spricht von der Kargheit der traditionellen Architektur im Nordschwarzwald, vom Pietismus ("Die protestantische Architektur ist die schlichtere und gradlinigere"), schlägt den historischen Bogen zum Dreißigjährigen Krieg. Die Seniorchefin ist auch die Intellektuelle im Führungsquartett. Sie spricht vom "Murgtalbarock" und meint damit die überladenen, schnörkelreichen Holzeinrichtungen der 70er-Jahre, die es so nicht mehr geben werde. "Wir werden mit Sicherheit modern bauen, wir wollen ja kein Disneyland." Man wolle nichts nachbauen, was aus der Zeit gefallen ist. Es gelte, an der "Gradlinigkeit der Architektur des Nordschwarzwalds anzuknüpfen".

Zudem sei man ja schließlich Teil einer Dorfgemeinschaft, "wir dürfen den alten Bauten nicht die Würde nehmen, indem wir da einen Prachtklotz hinsetzen". Drei einzelne Gebäude solle das "neue Stammhaus" umfassen, "drei Häuser, die nicht so wuchtig aussehen", zudem miteinander verbunden sind. "Alles sehr leicht, mit viel Glas." Das sieht auch der Patron ganz ähnlich. Heiner Finkbeiner hat sich einen Bart stehen lassen, die Kopfhaare reichen über den Hemdkragen – "seit dem Brand lasse ich sie mir wachsen". Finkbeiner Senior spricht mit der ruhigen und sonoren Stimme eines Mannes, der mit sich und der Welt im Reinen ist. "Wir kommen gerade aus Graubünden, haben uns das eine oder andere angesehen", berichtet er.

"Moderner" und "ganz anders" soll es werden

So viel stehe fest: "Ein sehr großzügiges Restaurant" solle die neue "Schwarzwaldstube" werden. Die Tischzahl bleibe aber gleich, elf Tische für etwa 35 bis 40 Personen. Ein bisschen spricht er in Rätseln, der Patron. "Sicherlich, alles soll moderner gestaltet werden, aber auch mit herkömmlichen Elementen wie Holz." Leichter soll der Neubau werden, "ganz anders", aber er müsse sich zugleich auch "demütig in die Region einzupassen". Moderne und Tradition eben. Auch müsse es einen "Wiedererkennungseffekt" für den Gast geben.

"Noch sind wir in der Findungsphase", meint der Patron. Doch viel Zeit bleibt nicht mehr. In zwei, spätestens drei Monaten müsse man sich entschieden haben – wenn das "neue Stammhaus" bis Weihnachten 2021 fertig werden soll.