Die Verleihung des Guide Michelin steht in diesem Jahr ganz unter dem Eindruck des verheerenden Feuers in der Schwarzwaldstube. Foto: dpa

Spitzenrestaurants fallen vorerst aus Wertung. Gourmet-Auszeichnung unter Eindruck von Feuer. Mit Video

Baiersbronn/Hamburg - Erdrutsch im Schlemmerparadies Baden-Württemberg: Die Restaurant-Kritiker des Guide Michelin haben neun Edelrestaurants die Sterne genommen, darunter der Traube Tonbach in Baiersbronn. Dafür gibt es neun neue Sterne-Restaurants zwischen Heidelberg und Bodensee.

Am heftigsten treffen die Umwälzungen im neuen Restaurant-Führer, der am Dienstag in Hamburg vorgestellt wurde, das "Sterne-Dorf" Baiersbronn im Landkreis Freudenstadt: Die Traube Tonbach, ein Flaggschiff der Spitzengastronomie mit Strahlkraft weit über die Republik hinaus, hat  in der neuen Ausgabe alle vier Sterne verloren: drei der berühmtem "Schwarzwaldstube«"und einen Stern  der "Köhlerstube", die dem Team um den jungen Koch  Florian Stolte (35) erst im vorigen Jahr zuerkannt worden war.

Guide Michelin: "großer Verlust für die deutsche Topgastronomie"

Grund für den Verlust:  Ein Großbrand, ausgebrochen in der Nacht zum 5. Januar, hatte den historischen Teil der Traube Tonbach – rund 230 Jahre alt – vernichtet und mit ihm die beiden Sterne-Restaurants. Die Redaktion des Guide Michelin spricht von einem "großen Verlust für die deutsche Topgastronomie". Die "Schwarzwaldstube" war bis dato "dienstältestes Drei-Sterne-Restaurant" in Deutschland, hatte das höchste Prädikat des Guide Michelin mit Harald  Wohlfahrt als Küchenchef 1993 erstmals erhalten und seither verteidigt.

"Heute ist kein guter Tag für uns", fasst Heiner Finkbeiner von der Inhaberfamilie der Traube Tonbach die Stimmung im Haus zusammen. Es tue ihm vor allem für die Mannschaften der beiden Restaurants leid. "Der Verlust ihrer hart erarbeiteten Sterne ist unverschuldet", so der Patron. Der Seniorchef wünsche sich deshalb, "dass der Stolz über das Geleistete" bei seinen Mitarbeitern überwiege.

Drei, zuletzt vier Michelin-Sterne über 27 Jahre hinweg jedes Mal aufs Neue zu erkochen, sei eine "enorme Mannschaftsleistung". Dass diese Ära "vorerst enden muss", sei "ein Unglück, aber kein Leistungsverlust unserer beiden Brigaden", so Finkbeiner. Unter seiner Leitung hatte sich die Traube Tonbach zu einer der führenden Feinschmeckeradressen Europas entwickelt. Dass der zeitweise Wegfall der beiden Restaurants durch den Brand "Auswirkungen" haben würde, habe er geahnt: "Wir kennen das Regelwerk des Guides seit über 40 Jahren und haben somit Verständnis, dass es vom Michelin in dieser Situation kaum eine andere Entscheidung geben konnte." Beide Restaurants sollen wieder aufgebaut werden. Finkbeiner richtet deshalb den Blick nach vorne: "Unsere vier Sterne sind mit dem Stammhaus verbrannt, aber auf dem Teller bleiben sie bestehen. Das ist, was zählt." Man habe zwar "alles verloren, aber nur vorerst".

Torsten Michel sieht die Entscheidung pragmatisch

Torsten Michel, Küchenchef der "Schwarzwaldstube" sieht die Entscheidung offenbar pragmatisch: "Als Koch trifft es mich natürlich. Doch wir haben es nicht in der Hand und wissen ja, warum das passiert." Die Sterne seien an das Restaurant gebunden, und diese seien nun mal dem Feuer zum Opfer gefallen. Michel hatte als neuer Küchenchef nach Harald Wohlfahrt die drei Sterne erstmals 2017 verteidigt.

Derweil laufen in der Traube Tonbach die Vorbereitungen auf den Wiederaufbau. Die Mitarbeiter seien motiviert, die Köche habe er zu Hospitanzen bei Kollegen in ganz Europa untergebracht, solange der Betrieb der "Schwarzwaldstube" ruht. Sobald wir wieder eine eigene Küche haben, bekommen wir eine neue Chance, uns Sterne zu erkochen", so Michel.  Enttäuschter reagiert Florian Stolte, Küchenchef der "Köhlerstube". Der 35-Jährige erklärt: "Ich habe, ehrlich gesagt, gehofft, dass der Michelin  anerkennt, dass es eine Ausnahmesituation ist." Zumal die "Köhlerstube" nur rund vier Wochen geschlossen gewesen sei. Seit Februar werde übergangsweise im Restaurant Silberstube gekocht, die Küche schicke die regulären Menüs für rund 30 Gäste am Abend.

Laut Finkbeiner werde der Bau des neuen Stammhauses voraussichtlich bis 2021 dauern. "Köhlerstube" und "Schwarzwaldstube" sollen jedoch bereits im Frühjahr wieder eröffnen, als Übergangslösung auf dem Flachdach des Hotel-Parkhauses, wo ein Gebäude "aus viel Glas  und Holz" geschaffen  werde.

Bareiss und Sackmann halten Sterne

Gehalten haben die beiden anderen  Baiersbronner Sterne-Häuser ihres Auszeichnungen. Das Hotel Bareiss in Mitteltal mit drei Sternen und das Hotel Sackmann im Ortsteil Schwarzenberg, das voriges Jahr  seinen zweiten Stern  verloren hatte, im neuen Guide Michelin 2020 weiterhin mit einem Stern gekürt ist. Jörg Sackmann, mit seinem Sohn Nico Küchenchef, fühlt mit der Traube Tonbach mit. "Das hat mich auch überrascht. Aber sie haben die Sterne ja nicht verloren, sie sind nur stillgelegt", so Sackmann. Die Sterne seien nicht wegen der Küche aberkannt worden, sondern durch ein Unglück, das "eine schlimme Geschichte für die ganze  Belegschaft" sei. Sackmann ist sich sicher: "Wenn die Restaurants wieder aufgebaut sind, ist die Traube Tonbach wieder voll am Start." Die Familie Sackmann selbst hat den Komplettumbau von Hotel und Restaurant mittlerweile fast abgeschlossen. Im März soll es wieder voll losgehen. "Wir freuen uns für das ganze Team, dass wir den Michelin-Stern erhalten haben", so Jörg Sackmann.

Erleichterung auch ein Haus weiter: "Wir alle vom Restaurant Bareiss danken dem Michelin und seinem Team für die erneute Auszeichnung mit dem dritten Stern. Sie ist nie selbstverständlich. Sie ist jedes Mal der größte Ausdruck von Anerkennung und vor allem von Vertrauen darin, dass wir unsere Gäste nunmehr auch in diesem Jahr mit all dem Können und all der Gastlichkeit verwöhnen, die sich an Anspruch und Erwartung mit dieser höchsten Auszeichnung verbinden. Darauf freuen wir uns und dafür geben wir unser Bestes", so Claus-Peter Lumpp, Küchenchef im Restaurant Bareiss. Seit 2007 trägt das Bareiss ununterbrochen die höchste Auszeichnung des Guide Michelin. Dass den Kollegen der Traube Tonbach sämtliche Sterne gestrichen wurde, wird auch dort bedauert: "Allergrößten Respekt für  die Arbeit der Mannschaft im Nachbartal, dass sie unter den gegebenen Umständen weiterhin eine so großartige Leistung abliefern. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass Heiner Finkbeiner und seine tolle Mannschaft  die Auszeichnungen zurückholen werden", so Uta Schlagenhauf, Sprecherin des Hotels Bareiss.

Wir haben mit Traube-Patron Heiner Finkbeiner über die Pläne für den Wiederaufbau gesprochen:

Wie  vergänglich Michelin-Sterne sein können, mussten diesmal neun Spitzenrestaurants in Baden-Württemberg erleben: In Freiburg verloren ’s Herrehus und  die Zirbelstube ihre Auszeichnungen, außerdem erwischte es  die Alte Vogtei in Köngen,  das YoSH in Stuttgart, den Wilden Ritter in Durbach, den Schwarzen Adler in  Vogtsburg und das Burgrestaurant Staufeneck in Salach. Der Schwarze Adler hatte einen Michelin-Stern, seit es die Deutschland-Ausgabe des Restaurantführers gibt.

Dafür gibt es neun neue Ein-Sterne-Häuser im Ländle: das "’s Äpfele" in Ludwigshafen am Bodensee, das "Ösch Noir" in Donaueschingen, die "Traube" in Efringen-Kirchen, das "noVa" in  Herrenberg, das "Oscars fine dining" in Hinterzarten, das "SeoKüchenhandwerk" des Hotels Schiff in Langenargen, das  "Alte Baiz" in Neuhausen im Enzkreis, das "Gourmetrestaurant Nico Burghardt"  in Schorndorf und das "Schloss Filseck" in Uhingen.

Laut Redaktion des Guide Michelin gibt es weltweit  100 Drei-Sterne-Restaurants. In Deutschland sind es weiterhin zehn. Neu im erlauchten Kreis ist das "Rutz" in Berlin unter der Leitung von Küchenchef Marco Müller. Sieben neue Restaurants stiegen in die Zwei-Sterne-Kategorie auf, darunter das "Olivo" in Stuttgart. Insgesamt gibt es in Deutschland 43 Restaurants mit zwei Michelin-Sternen, so viele wie noch nie. 255 Häuser tragen einen Stern. Damit gebe es in Deutschland 308 Adressen mit  Sterne-Auszeichnung. Die Restaurantkritiker loben dabei die Vielfalt der Spitzenküche in Deutschland. Der Trend gehe zum "Casual fine dining", was so viel bedeutet wie kulinarischer Genuss auf höchstem Niveau, aber in  lockerer  Umgebung und ohne Schlips und Kragen. Der Besuch eines Sterne-Restaurants sei "längst keine  formelle und elitäre Angelegenheit" mehr. Eine wachsene Zahl  deutscher Gastronomen mache vor, "dass es auch anders geht". Das nehme die Hemmungen. Weitere Trends seien  gesunde  Speisen, Umweltschutz und Tierwohl:  Herkunft, Anbau, Transportwege, Haltung  und Verarbeitung stünden bei den Küchenchefs "mehr denn je im Fokus". Übrigens: Wegen des Coronavirus’ wurde die  Gala zur Präsentation des neuen Restaurantsführers in Hamburg abgesagt, die Ergebnisse wurden  per Internet bekannt gebeben.

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