Jürgen Reuter (Aktive) Bürger bei seiner Haushaltsrede in der Gymnasiums-Aula Foto: Riesterer

Der Haushalt ist verabschiedet, die Reden der Fraktionen des Schramberger Gemeinderats (CDU, SPD/Buntspecht, Freie Liste, Aktive Bürger und ÖDP) waren aus Corona-Gründen verschoben worden. Sie wurden jetzt nachgeholt, hier Jürgen Reuter (Aktive Bürger). Wir veröffentlichen sie im Wortlaut:

Schramberg - Ende dieses Jahres werden die Rücklagen aufgebraucht sein. Bis Ende 2025 werden aus 19 Millionen Euro Rücklagen – noch ohne Folgen der Coronapandemie und des Ukrainekriegs – eine Verschuldung von elf Millionen Euro. Wir schließen uns dem Regierungspräsidium an, das positiv bewertet, dass sich die Oberbürgermeisterin externen Sachverstand einkauft, um die strukturellen Schwächen der Stadtverwaltung auszugleichen.

Ich wurde unlängst gefragt, ob die Bürger in den Planungen der Stadtverwaltung noch vorkommen, oder ob sie andere Bürger will, ob ihr die Menschen, die heute in Schramberg wohnen, weniger wert sind, als diejenigen, die sie sich für Schramberg wünscht? Das darf man nicht einfach wegwischen!

Kompromiss als große Herausforderung

Gute Politik ist Moderation der Interessen, gute Politik kennt nur Gewinner und keine Verlierer. Die hohe Kunst der Politik, das Herstellen von Konsens und Kompromiss ist eine viel größere Herausforderung, als die finanzielle Schieflage.

Nach dem zweiten Weltkrieg sind Siedlungen mit Vertriebenen und Spätaussiedlern entstanden, der schmerzhafte Verlust von Heimat gehört zur empfindlichen Seele dieses Landes. Es gibt Menschen, für die sind 100.000 Euro nicht viel Geld, weil sie es haben. Für viele Menschen sind 100.000 Euro viel Geld, weil sie es nicht haben. Es gibt Menschen, die ihr Leben lang hart arbeiteten, um im Einfamilienhaus zu wohnen.

Widerstände werden zum Flächenbrand

Widerstände von der Heuwies über den Sonnenberg, den Schönblick, die Rochus-Merz-Straße, den Haldenhof, den Bernecksportplatz, das Höfle und die Alte Steige bis nach Schönbronn entwickeln sich zum Flächenbrand. Wer wird den Menschen in der Bärensiedlung und in der Wittumsiedlung, in Waldmössingen, Tennenbronn, Heiligenbronn und Schönbronn erklären, dass eine junge, urbane Stadt aus Mehrfamilienhäusern besteht?

An Umlandgemeinden verloren

Wir verlieren nicht nur Menschen: Kern-Liebers baut Personal ab. Junghans Microtech, Bäckerei Brantner, Brugger Magnetsysteme, Hitcom, Kabel Haas, Längle, Lehmann, Spalek und Straub Druck haben wir an Umlandgemeinden verloren, weil es nicht gelungen ist, mit den unbebauten Flächen unserer Industriegebiete zu arbeiten.

Wenn die Stadtverwaltung Waldflächen erwerben will, die an bebautes Gebiet angrenzen, um Ökopunkte zu generieren, wirft das die Frage auf, ob es nur um Ökopunkte geht, denn die Stadt Schramberg hat mit 300 Hektar Wald genug Fläche, die sie ökologisch aufwerten kann.

Mehr Effizienz in Schiltach

Nachfrage steigert die Qualität und Angebot die Quantität. Nimmt man Gewerbesteuer und Beschäftigte als Indikator, zeigt das kleine Schiltach, dass man mit wenig Fläche und Effizienz mehr erreichen kann, als Schramberg mit seinem immensen Flächenverbrauch.

Wer Menschen auf seinem Weg mitnehmen will, ihnen erklärt, was gut für sie ist, der stellt sich über sie. Was in einer großen Verwaltung mit hohem Spezialisierungsgrad noch funktionieren kann, weil dort Qualität in der Ermessensausübung überzeugt, wirkt auf der Ebene einer Kleinstadt mit einer ausblutenden Stadtverwaltung deplatziert.

Mut und Offenheit

Die Aktiven Bürger teilen die Auffassung des Regierungspräsidiums, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Leistungsfähigkeit neben fachlicher Kompetenz gleichermaßen Offenheit und Mut erfordert, sich auf Veränderungen einzulassen. Es wird tatsächlich ein hohes Maß an politischer Entschlusskraft und Selbstkritik erfordern, den notwendigen Konsens für die Umsetzung guter Ideen zu schaffen – oder auf ein Projekt zu verzichten, wenn es keinen Konsens gibt.

Zusammenstehen, um durch die Krisen zu kommen

Wir werden zusammenstehen müssen, um durch die Krisen unserer Zeit zu kommen – und dürfen optimistisch sein: Wenn kein Geld mehr in der Kasse ist, verlieren die Planungsbüros, die auch schon mal alle Sträucher in den Privatgärten am Sonnenberg erfassten und sehr viel Unruhe verursachen, das Interesse an Schramberg. Dann werden wir viel Geld in Planungen einer Landesgartenschau oder eines Schulcampus gesteckt haben und feststellen, dass die Stadtverwaltung schon mit der Deckensanierung des Gymnasiums überfordert war.

Wenn die Banken keine Kredite mehr geben, wenn alle Flächen, die Stadtwerke und der städtische Wald verkauft sind, wird Schramberg automatisch zu Demut und Bescheidenheit zurückkehren und sich daran erinnern, dass man auch von kleineren Brötchen satt werden kann, dass der sprichwörtliche Spatz in der Hand mehr Wert hat, als die Taube auf dem Dach.

Mit Zeitvertrag

Unsere Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin in Personalunion, unsere Oberbürgermeisterin, hat einen Zeitvertrag. Sie ist unter Druck und strengt sich an, denn sie weiß, dass sie von den Aktionären, den Bürgerinnen und Bürgern, an den Ergebnissen ihrer Moderation und nicht an warmen Worten gemessen wird.

Wir hoffen, dass die Oberbürgermeisterin so erfolgreich moderieren wird, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Arbeitsvertrag verlängern und wünschen ihr zugunsten aller Teile dieser Stadt für das Jahr 2022 eine glückliche Hand beim Erarbeiten von Kompromissen und Konsens.

Jürgen Reuter hatte als Einziger bereits im Januar zur Haushaltsverabschiedung eine Rede veröffentlicht, die damals nicht gehalten werden konnte. Dem Haushalt hatte die Fraktion zugestimmt.