Aufgrund steigender Pandemiezahlen hat die Stadt Schramberg die Tagesordnungspunkte der Gemeinderatssitzung am Donnerstag, 27. Januar, reduziert.
Schramberg - Verschoben wird auch der Vortrag der Haushaltsreden auf einen späteren Zeitpunkt, der Haushalt aber beschlossen. Wir veröffentlichen deswegen die Haushaltsreden derjenigen Fraktionen, die sie uns vorab als Mitteilung zur Verfügung stellen möchten.
Jürgen Reuter von den Aktiven Bürgern Schramberg hätte folgende Rede gehalten: "Die Neujahrsansprachen der Oberbürgermeister gaben Schramberg über Jahrzehnte Orientierung und eine Richtung. Seit drei Jahren gab es keine Neujahrsansprache mehr. Zweimal konnte der Gemeinderat mit den Haushaltsreden die Lücke schließen, dieses Jahr wird es keine Haushaltsreden zum Jahreswechsel geben."
Probleme werden sichtbar
Weiter schreibt er: "Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit: Die Halbierung des Gewerbesteueraufkommens von 30 Millionen auf 15 Millionen Euro liegt nicht allein an Corona. Die Coronakrise machte Probleme sichtbar, die es schon vor ihr gab: Im Vergleich mit den deutschen Ballungsräumen gilt der Produktionsstandort Schramberg als preiswert. Bleibt der Standort Schramberg auch im europäischen Vergleich auf Dauer konkurrenzfähig? Nicht wenige Unternehmen verließen Schramberg und nicht wenige Unternehmen blicken mit großer Sorge auf den Strukturwandel in der Automobilbranche."
Richtung Straßburg
"Wer weiß, woher er kommt, der weiß, wo seine Zukunft liegt", ist Reuter der Ansicht: "Vor 2500 Jahren nutzten griechische Händler die Donau und die Rhone. Die keltischen Händler nutzten mit ihren Fuhrwerken die Höhenrücken. 58 v.Chr. zogen sie nach Westen und wurden von Julius Cäsar vernichtend geschlagen. Nur die Latobrigi, die in unserer Gegend siedelten, verschonte er. 15 v. Chr. besuchte der spätere Kaiser Tiberius die Latobrigi an den Quellen der Donau. Drei Jahre später gründete sein Bruder Drusus Argentorate, das heutige Straßburg und stabilisierte die rechtsrheinischen Handelsbeziehungen. In einem geeinten Europa ist die Metropolregion Straßburg/Ortenau mit dem europäischen Parlament ein Ort der Kommunikation. Die Universität hat 56.000 Studierende, davon nur 45.000 aus Frankreich. Sie hat den Ehrgeiz, zu den besten Forschungsuniversitäten Europas zu gehören. Wie fruchtbar arbeitsteilige Forschung und Kommunikation sein können, erkennen wir an der Entwicklung der Corona-Impfstoffe."
Bahnhof für das Mittelzentrum
Er ist der Ansicht, dass ein Bahnhof einem Mittelzentrum dauerhaft und verlässlich Schwerkraft gebe, eine Bushaltestelle nicht. Und: "Für die Busverbindung Schiltach – Schramberg – Rottweil gibt es keine Garantie, sie unterliegt den politischen und finanziellen Abwägungen des Kreistags. Wie wichtig oder unwichtig Schramberg für sein Oberzentrum ist, kann Schramberg an der fehlenden Busverbindung ablesen. Wir müssen in Netzen denken, nicht in Linien. Stichbahnen nach Zell im Wiesental, ins Münstertal, nach Elzach, nach Oberharmersbach oder nach Ottenhöfen – allesamt Flächengemeinden mit weniger Einwohnern als Schramberg – sind nicht Nostalgie, sondern unverzichtbar für das klimaneutrale und kostenlose ÖPNV-Netz der Zukunft. Mit dem Bahnanschluss in den Verkehrsverbund der Metropolregion Straßburg/Ortenau könnten unsere Kinder und Enkel die 2000 Jahre alte Partnerschaft eines gemeinsamen Kultur-, Handels- und Bildungsraums aufleben lassen."
Korridor für die Zukunft
Lebenslanges Lernen, Schulen, Aus- und Weiterbildung sind die Grundlage für Forschung und Entwicklung, stellt Reuter weiter fest. "Die Oberbürgermeisterin muss die Leitplanken für den Korridor aufzeigen, der für unsere Kinder und Enkel weit in die Zukunft reicht - damit wir sie nicht verlieren! Nicht der Austausch der Bevölkerung, nicht wucherndes Wachstum auf 30000 Einwohner, nicht Quantität, sondern Qualität ist gefragt. Reicht es aus, den mittleren Bildungsabschluss in der Talstadt auf einen Standort zu bündeln oder ist das nur der erste Schritt? Was bietet Schramberg real und nicht in Träumen? Welche Aufgabe wird Schramberg in der Metropolregion Straßburg/Ortenau übernehmen? Welchen Kurs steuert die Oberbürgermeisterin?"
Ortsnahe Osttangente
Mit Straßen in die Talstadt, nach Aichhalden, Waldmössingen, Seedorf, Dunningen, Eschbronn und Hardt bietet der Sulgen nach Einschätzung der Aktiven Bürger beste Voraussetzungen für weiterführende Schulen mit Busbahnhof. Seit Jahrzehnten sei die Fläche zwischen der Rottweiler Straße und Mariazeller Straße für Schulen, Sport und Freizeit vorgemerkt. "Ortsnah sind Flächen im Eigentum der Stadt, ortsfern nicht. Mit einer ortsnahen Osttangente kann Schramberg zeitnah und flächenschonend Infrastruktur schaffen, kann Schulen erschließen und die Ortsmitte von Sulgen entlasten, die mit dem Industriegebiet Schießacker-Heuwies im Verkehr zu ersticken droht. Die Aktiven Bürger fordern die Oberbürgermeisterin auf, den Verlockungen ihrer Investoren im Wohnungsbau zu widerstehen."
Schweres Erbe angetreten
"Wir alle wissen, dass die Oberbürgermeisterin ein schweres Erbe antrat: Das Krankenhaus steht seit 2011 leer. Hatte Nils Schmid 2012 Schramberg vor Augen, als er feststellte, dass im Schwarzwald auch mal ein Tal zuwachsen darf, wenn in Bildung investiert wird?, fragt Reuter und weiter "War das neue Logo den Aufwand des Markenbildungsprozesses 2015 wert? Was wurde aus den Planungen für die Landesgartenschau 2018, aus der Parkanlage auf der Erddeponie Wittum, die seit mehr als 50 Jahren angekündigt wird?".
Politischer Rohbau für die nächsten sechs Jahre
Weiter geht Reuters Rede mit "Nach einem Jahr durften wir kein vorschnelles Urteil über die Arbeit der Oberbürgermeisterin fällen. Nach zwei Jahren steht der politische Rohbau für die nächsten sechs Jahre ihrer Amtszeit. Wir leben nicht mehr im Märchen „des Kaisers neue Kleider“. Schramberg wird keine Luftnummern mehr einkaufen, die nur von Personen gesehen werden, die ihres Amtes würdig sind. Die Oberbürgermeisterin benötigt kein zusätzliches Personal: Als Verwaltungsleiterin optimiert sie Strukturen und Abläufe, um mit der üblichen Effizienzrendite von 15 Prozent personelle Ressourcen für Zukunftsprojekte zu generieren. Erfahrenes Personal wird das Pflichtprogramm mit großer Sach-, Orts- und Personenkenntnis eigeninitiativ und eigenverantwortlich abarbeiten, um die vom Gemeinderat definierten Zukunftsprojekte nicht nur zu Papier, sondern mit Grundsteinlegungen in den Boden zu bringen. Bei den Grundstücksverhandlungen für den Radweg zwischen Sulgen und Schönbronn unterstützt Herr Bürgermeister Moser. Die Aktiven Bürger danken ihm ausdrücklich für seine beharrliche Arbeit."
Einige Unternehmen auch verloren
Die Oberbürgermeisterin wolle mehr erreichen, als ihr männlicher Vorgänger, so Reuter. "Dafür braucht sie ein Plus bei den Einnahmen. Wir konnten Unternehmen wie die Spedition Renn oder auch hGears gewinnen. Unternehmen wie Kern-Liebers bauen Personal ab, Unternehmen wie Junghans Microtech, Bäckerei Brantner, Brugger Magnetsysteme, Hitcom, Kabel Haas, Längle, Lehmann, Spalek und Straub Druck haben wir verloren – das sieht nicht nach steigenden Einnahmen aus."
Silberstreif am Horizont
Indes die Aktiven Bürger sehen einen "Silberstreif am Horizont". Wirtschaft entwickle sich entlang von Infrastruktur. Infrastruktur ermögliche Kommunikation und Entwicklung, Infrastruktur macht know-how verfügbar. Infrastruktur überschreitee Grenzen, schafft Freundschaft und Frieden. Der Deutsche Bundestag erteilte 2016 mit den Ausbaugesetzen den Auftrag für den Bau der Ortsumfahrung Schramberg. Aktuell würden die Umweltbeeinträchtigungen der verschiedenen Trassenvarianten gegeneinander abgewogen. "Ende Februar wissen wir mehr. Der Ortenaukreis nutzte die letzten fünf Jahre, hat mit Logistikzentren in Lahr und Gengenbach wichtige Infrastruktur für das Netzwerk des globalen Warenhandels geschaffen," betont Reuter.
Krise wie eine Nebelbank
Die Coronakrise ist nach Reuters Einschätzung "wie eine Nebelbank auf der Autobahn. Es kann gut gehen, wenn man mit Vollgas nicht auf Sicht fährt – es kann aber auch schief gehen. Noch hat die Oberbürgermeisterin Rücklagen und ihr Tafelsilber, Grundstücke, die sie als Bauplätze für Renditeobjekte an ihre Investoren verkaufen kann. Das Regierungspräsidium wird dem Haushalt noch einmal zustimmen, obwohl die Ausgaben die Einnahmen seit Jahren weit überschreiten – dann sind die Rücklagen aufgebraucht, dann wird ein erster Ruck durch Schramberg gehen. Die Aktiven Bürger vertrauen auf die Fachkompetenz, auf die Erfahrung der politischen Berater der Oberbürgermeisterin in Finanz- und Verwaltungsfragen. Die Aktiven Bürger schließen sich der Position des Regierungspräsidiums an."
Infokasten: Die anderen Fraktionen
Die Fraktionsvorsitzenden Tanja Witkowski (SPD/Buntspecht), Thomas Brantner (CDU), Udo Neudeck (Freie Liste) und Volker Liebermann (ÖDP) bevorzugen eine Veröffentlichung ihrer Haushaltsreden dann im Rahmen ihrer Ansprachen vor dem Gemeinderat, teilen sie gemeinsam mit. Das liege nicht nur daran, dass die Reden sich inhaltlich in den Wochen bis dahin noch aufgrund aktueller Geschehnisse verändern könnten. Die Reden, so ihre Begründung, beziehen sich generell nicht nur auf den Haushalt, sondern stellen ein politisches Statement zum gesamten vergangenen Jahr mit einem kleinen Blick in die Zukunft dar.