Den Rettungskräften bot sich bei dem Unfall auf der Schwenninger Steig ein schreckliches Bild. Foto: Maier/dpa

Prozessauftakt zum tödlichen Unfall auf der Schwenninger Steig. Verursacher will kein Rennen gefahren sein.

Villingen-Schwenningen - Drei Menschen mussten im Juli 2019 sterben, weil ein 25-Jähriger bei deutlich überhöhter Geschwindigkeit in den Gegenverkehr geriet und in ein überbesetztes Auto krachte. Ein Rennen gefahren sein will der Verursacher aber nicht – viel mehr hätte der Ärger über einen Kratzer an seinem BMW zu der Raserei geführt.

"Du hast mein Leben zerstört!" Diese Worte einer 24-Jährigen trafen den blassen Angeklagten in Mark und Bein – der BMW-Fahrer, der bei einem schrecklichen Verkehrsunfall im Juli 2019 den Tod dreier Menschen verursacht hat, kann seine Tränen nicht mehr unterdrücken.

Zuvor hatte er sich bei der Frau, die ihren Mann und ihr einjähriges Kind verloren hatte und selbst schwerste Verletzungen davontrug, entschuldigt. Doch seine leisen Worte schienen angesichts des kaum zu ertragendenden Leids fast ungehört zu verhallen. "Mein Leben interessiert mich nicht mehr, ich werde nie mehr glücklich", erzählt sie unter Tränen.

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An den Unfall erinnere sie sich nicht mehr – aber ihre kleine Tochter, die ebenfalls mit im Auto saß, hätte vom blutüberströmten Papa und dem mit schlimmen Schädelfrakturen tödlich verletzten Bruder erzählt, der aus dem Auto geschleudert wurde.

Dramatische Schilderungen

Wie traumatisch die Erlebnisse an jenem Abend, an dem in Schwenningen die Kulturnacht stattfand, gewesen sein mussten, wird auch an der Aussage einer Polizeibeamtin deutlich. Mehrmals muss sie übermannt von den Bildern, die sie im Kopf hat, ihre Erzählungen unterbrechen, erzählt von Kindergeschrei, das aus dem völlig zerstörten Wrack drang und einem jungen Mann, der halb aus dem Unfallwagen hing. Fahrer und Beifahrer seien schon tot gewesen.

Ihr Kollege habe das einjährige Kind im Straßengraben gefunden, sei mit ihm auf dem Arm einem Notarzt entgegen gerannt, "man hat ewig versucht, es zu reanimieren, aber es war klar, dass der Junge tot ist".

Wenige Minuten zuvor war der 25-jährige BMW-Fahrer, der von Villingen kommend auf der Schwenninger Steige fuhr, in den Gegenverkehr gerast. Laut Anklage sei er mit 150 Stundenkilometern mehr als doppelt so schnell unterwegs gewesen, als erlaubt. Er sei in einer Rechtskurve ins Driften gekommen, habe seine Geschwindigkeit "aus der Freude am Schnellfahren" nicht reduziert und die Kontrolle über seinen über 300 PS-starken 2er BMW verloren.

Im Gegenverkehr kollidierte er schließlich mit einem Ford, der mit sieben Personen überbesetzt war. Dort saßen Mitglieder zweier Familien, die durch den Verkehrsunfall zerstört wurden. Zwei Geschwister, 13 und 17 Jahre alt, erlitten ebenso wie die 24-Jährige und ihre Tochter schwerste Verletzungen, während ihre Väter starben.

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Doch was ritt den 25-Jährigen, mit solcher Geschwindigkeit die Steig hochzurasen? Während die Staatsanwaltschaft davon überzeugt ist, dass er an jenem Samstagabend ein Rennen gefahren sei, um dabei "höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen", stellt der junge Mann und sein Verteidiger die Sache gänzlich anders dar. Und liefern eine schriftliche Erklärung, die dieses gesamte Geschehen noch unfassbarer macht.

Denn der junge Mann habe beim Grillen mit Freunden einen Kratzer an der Heckstoßstange seines auffälligen Wagens festgestellt. Das habe den bis dahin entspannten Abend gänzlich verändert. "Ich habe immer wieder an den Kratzer gedacht", beschreibt der Werkzeugmechaniker aus VS. Er habe das Grillen in Tannheim schließlich ausklingen lassen, um gegen 23 Uhr ein BMW-Autohaus Auf Herdenen aufzusuchen. Dort, so habe er vermutet, sei der Schaden zwei Wochen zuvor von den Mitarbeitern der Werkstatt verursacht worden.

Unterwegs zum Autohaus

"Der Ärger machte mich blind, wegen eines kleinen Kratzers habe ich das Leben vieler Menschen verändert und zerstört", heißt es in der Erklärung. Deutlich wird das auch in den Chat-Protokollen mit seiner Mutter, in der er schrieb, dass er wegen des Kratzers "auf 180 sei" und deshalb zum Autohaus fahre. Den schnellstmöglichen Weg dorthin sei er deshalb gefahren, um, so erklärt sein Verteidiger, zu überprüfen, ob der Schaden dort entstanden sein könnte.

Auf der Steig habe er zunächst einen anderen Wagen überholt – von dem bis heute jedoch jede Spur fehlte und von dem die Staatsanwaltschaft vermutet, dass er an dem Rennen beteiligt war – und beim Rasen die Kontrolle über den BMW verloren. Er habe plötzlich das andere Auto auf sich zukommen sehen, dann sei der Aufprall gekommen. Hierbei erlitt er nur Schnittverletzungen.

Im Mittelpunkt der Beweisaufnahme stand schließlich die Frage: Inwieweit ist dem jungen Mann, der laut eigenen Angaben an einer sozialen Phobie leide und aufgrund einer schwierigen Kindheit kaum Freunde habe, ein solches Rennen zuzutrauen? Vor Gericht wirkte der 25-Jährige nicht wie ein klassischer Poser, sondern eher wie ein sehr schüchterner und unsicherer junger Mann, dem die Artikulation sehr schwer fiel.

Er gab zu Protokoll, dass er zwar an Autos interessiert sei, aber keiner Poserszene angehöre. Nicht dazu passten jedoch Aufnahmen auf dem Handy des Angeklagten, die ihn beim Fahren mit röhrendem Auspuff und bei schneller Beschleunigung auf leeren Parkplätzen zeigten. "Ich bin ab und zu zu schnell gefahren, um frei zu sein", erklärt er schließlich.

Der Prozess wird am 21. Oktober fortgesetzt. Dann entscheidet sich, ob der 25-Jährige, der bereits Entschädigungszahlungen leistet, tatsächlich wegen eines illegalen Rennens oder nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wird – was deutliche Auswirkungen auf das Strafmaß hat.