Bundesinnenministerin Faeser hat eine weitere rechtsextremistische Vereinigung verboten. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten am Mittwochmorgen Wohnungen sowie Räume des Vereins „Die Artgemeinschaft“. Foto: dpa/Justin Brosch

Bundesinnenministerin Faser hat eine weitere Neonazi-Gruppierung verboten. Die Polizei durchsucht die Wohnungen von Anhängern der rassistischen Siedlungsbewegung „Die Artgemeinschaft“. Mit Blick auf den „Verfassungsschutzbericht 2022“ geben wir einen Überblick über die rechtsextreme Szene in Deutschland, ihre Entwicklung und Ideologie.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat die rechtsextreme Gruppe „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V.“ verboten.

„Harter Schlag gegen den Rechtsextremismus

Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten am Mittwochmorgen (27. September) die Wohnungen von 39 Vereinsmitgliedern und Räumlichkeiten der Gruppe in zwölf Bundesländern, wie das Bundesinnenministerium mitteilte.

Auch alle Teilorganisationen der „rechtsextremistischen, rassistischen und antisemitischen“ Vereinigung seien verboten worden. Die SPD-Politikerin sprach von einem „harten Schlag gegen den Rechtsextremismus und gegen die geistigen Brandstifter, die bis heute NS-Ideologien verbreiten“.

Durchsuchungen gab es dem Bundesinnenministerium zufolge in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Das Vereinsverbot sei seit mehr als einem Jahr vorbereitet worden.

Pseudoreligiöser germanischer Götterglaube

Die Gruppe mit rund 150 Mitgliedern richte sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere aufgrund antisemitischer Inhalte auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung“, teilte das Bundesinnenministerium weiter mit. Die Vereinigung habe „unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ihr gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild“ verbreitet.

Die rechtsextremistische Weltanschauung sei insbesondere durch die Weitergabe der Ideologie an Kinder und Jugendliche ausgelebt und verfestigt worden. Dabei sei „einschlägige, zum Teil aus der NS-Zeit stammende und nur minimal abgewandelte Literatur“ benutzt worden.

„Sektenartige, rassistische und antisemitische Vereinigung“

„Mit der ‚Artgemeinschaft’ verbieten wir eine sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung“, erklärte Faeser. „Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen.“

„Völkische Siedler“

Die „Artgemeinschaft“ gehört zu den „Völkischen Siedlern“. Dabei handelt es sich um extreme Rechte, die an das rassistisch-antisemitische Weltbild der „völkischen Bewegung“ anknüpfen. Sie behaupten, nur eine „rein“ deutsche Abstammung könne den Erhalt des „Volkes“ sichern und die deutsche „Volksgemeinschaft“ sei allen anderen Menschengruppen überlegen.

„Hammerskins Deutschland"

Vergangene Woche hatte Bundesinnenministerin Faeser bereits die rechtsextreme Gruppe „Hammerskins Deutschland“ verboten. Damals waren ihren Angaben zufolge 700 Kräfte bei Durchsuchungen im Einsatz.

Die Gruppe mit rund 130 Mitgliedern richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, gegen den Gedanken der Völkerverständigung, heißt es zur Begründung. Zudem liefen Zweck und Tätigkeit der Vereinigung den Strafgesetzen zuwider. Bei Konzertveranstaltungen der Gruppe würden auch Nicht-Mitglieder mit rechtsextremistischem Gedankengut ideologisiert.

Die „Hammerskins Deutschland“ sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums ein Ableger der 1988 in den USA gegründeten „Hammerskins Nation“. Zweck der Gruppe sei es, ihre rechtsextremistische Weltanschauung auszuleben und zu verfestigen, insbesondere durch Konzerte. Dort würden auch Nicht-Mitglieder mit rechtsextremistischem Gedankengut konfrontiert, ideologisiert und radikalisiert.

Welche rechtsextremen Gruppen wurden bisher verboten?

Zu den rechtsextremistischen Vereinigungen, die in den vergangenen Jahren verboten wurden, zählen unter anderem „Combat 18“ und „Nordadler“. Laut Ministerium ist es das 20. Verbot einer rechtsextremistischen Vereinigung durch das Bundesinnenministerium.

Mit Blick auf den „Verfassungsschutzbericht 2022“ geben wir einen Überblick über die rechtsextreme Szene in Deutschland, ihre Entwicklung und Ideologie.

Hier können Sie den kompletten „Verfassungsschutzbericht 2022“ lesen.

Was umfasst das rechtsextremistische „Personenpotenzial“?

Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz setzt sich das rechtsextremistische Personenpotenzial zusammen aus Parteien, parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen – wie zum Beispiel Kameradschaften, Vereine und Verlage sowie einem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen.

Das rechtsextremistische „Personenpotenzial“ ist demnach im Jahr 2022 mit 38 800 Personen gegenüber dem Jahr 2021 (33 900) um 4900 Personen angestiegen. Das Personenpotenzial der gewaltorientierten Rechtsextremisten hat sich mit rund 14 000 Personen gegenüber den Vorjahren erneut erhöht.

Warum nimmt die Zahl der Rechtsextremisten zu?

Einer der Gründe für die starke Zunahme ist, dass der Verfassungsschutz erstmals seit Anfang 2022 Angehörige der AfD hinzurechnet. So schätzt das Bundesamt, dass 10 200 Mitglieder der Partei und ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ als Anhänger extremistischer Strömungen zuzurechnen sind.

Damit werden nicht alle AfD-Mitglieder solchen Strömungen zugeordnet, da innerhalb der Partei dem Verfassungsschutz zufolge weiterhin eine „inhaltlichen Heterogenität“ besteht.

Was versteht man unter Rechtsextremismus?

Rechtsextremismus ist ein Oberbegriff für politische Orientierungen und Aktivitäten, die den demokratischen Staat ablehnen und dafür eine autoritär geführte „Volksgemeinschaft“ errichten wollen. Dabei wird von einem vermeintlich naturgemäßen „Volkstum“ und einem „gewachsenen Volkskörper“ ausgegangen. Andere Menschen werden durch rassistische Parolen ausgegrenzt und abgewertet.

Rechtsextremisten glauben an eine naturgegebene ethnische („rassische“) Ungleichwertigkeit der Menschen. Ethnische, kulturelle, geistige und körperliche Unterschiede begründen für sie einen minderen Wert und Rechtsstatus bestimmter Individuen und Gruppen.

Was verbindet die rechtsextremistische Szene?

Dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge stellt der Rechtsextremismus in Deutschland kein einheitliches Phänomen dar. Rassistische, antisemitische und nationalistische Ideologieelemente treten in verschiedenen Ausprägungen auf. Eine Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und damit einhergehend die Ablehnung des Gleichheitsprinzips der Menschen sind jedoch bei allen Rechtsextremisten festzustellen.

Nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg verbindet die rechtsextreme Szene in Deutschland folgende ideologische Merkmale:

  • „Ideologie der Ungleichheit“ (darunter: Nationalismus, Sozialdarwinismus, Rassismus und (Rassen-)Antisemitismus)
  • „Ideologie der ‚Volksgemeinschaft’“, auch „Völkischer Kollektivismus“ genannt (darunter: Fremden- und Ausländerfeindlichkeit)
  • Autoritarismus (darunter: Militarismus, Antiliberalismus,
  • „Führerprinzip“, Demokratiefeindschaft, Antiparlamentarismus)
  • Revisionismus (darunter: Geschichts- und Gebietsrevisionismus)
  • Antimodernismus

Wie ist die rechtsextreme Szene organisiert?

Laut Verfassungsschutz waren 2022 insgesamt 15 500 Rechtsextreme in Parteien organisiert – 3700 mehr als 2021. 8500 gehörten parteiunabhängigen Strukturen an – zum Beispiel der „Identitären Bewegung“, der „Compact Magazin GmbH“ oder dem „Institut für Staatspolitik“. 16 000 Rechtsextreme konnten keiner Organisation zugerechnet werden.

Wer sind die rechtsextremistischen Skinheads?

Ausgeprägte Gewaltbereitschaft ist ein typisches Merkmal der rechtsextremistischen Skinhead-Szene, die im Bund wie in Baden-Württemberg das Gros der gewaltbereiten Rechtsextremisten stellt. Obwohl Skinheads in der Regel wenig Interesse an einer theoretischen politischen Auseinandersetzung haben, ist ihre Weltsicht doch von wesentlichen Elementen des Rechtsextremismus, zum Teil des Nationalsozialismus  wie zum Beispiel Antisemitismus und Rassismus geprägt.

Was beinhaltet der Begriff Neonazi?

Neonazismus ist nur eine von mehreren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Als neonazistisch werden Personenzusammenschlüsse und Aktivitäten bezeichnet, die ein Bekenntnis zu Ideologie, Organisationen und/oder Protagonisten des historischen Nationalsozialismus erkennen lassen und in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten eines totalitären Führerstaates nach dem Vorbild des „Dritten Reiches“ ausgerichtet sind.

Was ist die „Neue Rechte“?

Im Verfassungsschutzbericht 2022 heißt es: „Unter die Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen.

Der Begriff ‚Globohomo‘ steht für „Globale Homogenisierung“, durch die ein elitärer Personenkreis die ganze Weltbevölkerung zu unterschiedslosen, perfekten Konsumenten erziehen wolle, für die Kultur und sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen.“

Überblick über rechtsextremistische Gruppierungen in Deutschland

„Identitäre Bewegung“

  • Laut Verfassungsschutz zählte die „Identitäre Bewegung“ im Jahr 2020 etwa 575 Mitglieder. Die Gruppierung stammt ursprünglich aus Frankreich und konnte sich 2012 auch in Deutschland etablieren. Nachdem die „Identitäre Bewegung“ zunächst vor allem im Internet aktiv war, organisiert sie inzwischen zahlreiche Aktionen auf der Straße.
  • Die „Bewegung“ verfolgt die Idee eines „Ethnopluralismus“. Dahinter steht jedoch die Vorstellung, dass jedes „Volk“ eine eigene Kultur oder Identität hätte, die sich nicht mit anderen „mischen“ sollte
  • Dem Verfassungsschutzbericht zufolge sind die Positionen der „Identitären“ nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie ziele darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin darf die „Identitäre Bewegung“ als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet werden.

„Freie Kameradschaften“

  • Solche Kameradschaften entstanden in den frühen 1990er Jahren, als viele rechtsextremistische Vereine und Organisationen verboten wurden. Im Unterschied zu Vereinen, Parteien oder anderen Organisationen haben sie keine offizielle Rechtsform.
  • Kameradschaften sind meist regional aktiv, können aber auch bundesweit oder auch in Europa mit ähnlichen Gruppierungen vernetzt sein. Ihre Bedeutung ist laut Verfassungsschutz rückläufig.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“

  • Die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ist laut Verfassungsschutz sehr heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne strukturelle Einbindung, Kleinst- und Kleingruppierungen, überregional agierenden Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen.
  • Zu „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zählen demnach Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen sowie den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen.

„Autonome Nationalisten“

  • Dieser Sammelbegriff bezeichnet eine Gruppe gewaltbereiter junger Neonazis. Die meisten von ihnen sind in „Kameradschaften“ aktiv. Sie orientieren sich in ihrem Auftreten und in ihrer Kleidung an der linksautonomen Szene, um Jugendliche anzusprechen. Auf Demonstrationen treten sie meist geschlossen in einem „Schwarzen Block“ auf.

„KVLTGANG“

  • Es handelt sich um „ein im Jahr 2017 von mehreren unter Pseudonymen auftretenden Personen gegründetes rechtsextremistisches Künstlerkollektiv. Die Idee zur Gründung entstand laut Eigenangaben mit der Absicht, „kreative“ Köpfe aus entsprechenden Spektren in ganz Europa zu vereinen. Ziel der „KVLTGANG“ ist die Professionalisierung der rechtsextremistischen Szene in den Bereichen Stilistik, Marketing und Design.“

„Ein Prozent e. V.“

  • Nach Angaben des Verfassungsschutzberichts besteht die Gruppierung „Ein Prozent“ seit Herbst 2015 und ist seit April 2016 ins Vereinsregister eingetragen. Der Verein hat seinen Sitz in Dresden und ist lokal, überregional und bundesweit tätig.
  • „Ein Prozent“ versucht demzufolge primär, eine kulturelle Deutungshoheit im vorpolitischen Raum zu erringen und eine „Gegenkultur“ zu schaffen. Darunter sei eine szenetypische Kultur zu verstehen, die einer aus Sicht des Vereins „etablierten“ Kultur in Deutschland, die sich aus der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt, entgegengesetzt ist.