Der Angeklagte wird mit Handschellen und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt. Foto: Roth

Das Urteil ist gefallen: Ein 61-Jähriger Geschäftsstellenbeamter des Landgerichts Rottweil wurde wegen veruntreuter Gelder in Höhe von rund 330. 000 Euro zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Kreis Rottweil - Der Prozess brachte ordentlich Zündstoff mit sich, da am Landgericht Rottweil erstmals gegen einen Angestellten aus den eigenen Reihen ermittelt wurde. Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer sprach bei der Urteilsverkündung vor der Ersten Großen Strafkammer am Dienstag daher von einem "Einzelfall", der ihm in seiner 30-jährigen Karriere in der Justiz so zum ersten Mal begegnete.

Nicht-verjährter Zeitraum seit 2016

Dennoch: Das Verfahren sei wie jedes andere auch geführt worden – und fand nun seinen Abschluss. Für den 61-Jährigen Justizhauptsekretär der Ersten Zivilabteilung des Landgerichts Rottweil hat dieser eine Haft von vier Jahren und zehn Monaten zur Folge. Seit dem Frühjahr 2016 veruntreute der Verurteilte Gelder in Höhe von insgesamt 331 703,45 Euro.

Weil er für die Kostenberechnung der Verfahren zuständig war, konnte er Auszahlungsanordnungen der Landesoberkasse Baden-Württemberg auf drei private Konten schleusen. Die Anklageschrift legt dem Beamten im nicht-verjährten Zeitraum 117 dieser Fälle zur Last. Der Staatsanwalt sprach in seinem Plädoyer von einem "zweiten Einkommen", das sich der 61-Jährige beschafft hat und forderte gar eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahre. Zwischen 1500 und 21984,95 Euro bewegten sich die Summen pro Monat.

Das spiegelt die Ausmaße der Tat aber nicht vollends wider: Schon im Jahr 2003 soll der Verurteilte Gelder veruntreut haben, im Jahr 2011 konnten ihm dank Kontoauszüge und einer ermittelter IBAN die Straftat erstmals nachgewiesen werden. Insgesamt soll der Gesamtschaden bei 666 438,15 Euro liegen. Das Problem für das Gericht: Die Taten, die in den Zeitraum vor März 2016 fallen, sind verjährt. Erts im Frühjahr 2021 ist man durch Zufall auf die Taten aufmerksam geworden.

Geständnis wirkt strafmildernd

An den Vorwürfen ließ der Geschäftsstellenbeamte keine Zweifel: Er räumte sie in den Grundzügen ein, wollte aber Absprachen mit seiner Frau, deren Sohn und deren Verwandten – auf deren Konten wurden die Gelder geschleust – nicht zugeben. Für Richter Münzer unglaubwürdig: "Bei diesen hohen Geldbeträgen und dem Bildungsgrad der Verwandten muss es Absprachen gegeben haben."

Dass der 61-Jährige das "Zusatzeinkommen" mit seiner Überlastung am Arbeitsplatz rechtfertigte, könne nicht akzeptiert werden. Vielmehr habe sich der Verurteilte mit dem Kauf zweier Häuser und den damit fälligen Krediten finanziell übernommen. "Wo das ganze Geld aber hin ist, können wir uns nicht erklären", erklärt Münzer. Dieses Geheimnis nimmt der Beamte mit hinter Gitter.

Burkhardt: "Geringe kriminelle Energie"

Belastend wirke sich auch der Fakt aus, dass der 61-Jährige die Taten als Amtsträger beging. Die Dauer, Vielzahl und finanzielle Höhe der Vorfälle komme erschwerend dazu. Und dass, obwohl der Gerichtsbeamte bisher straffrei lebte.

Viel diskutiert wurde im Prozess auch das ausgehebelte Vier-Augen-Prinzip – schließlich war eine Bestätigung der Auszahlungsanordnungen durch eine Kollegin verpflichtend. Strafmildernd wirkte sich daher die Tatsache aus, dass es dem 61-Jährigen extrem leicht gemacht wurde, die Taten zu begehen. Das Vertrauen der Kollegen war zu groß – die Zeit für eine gründliche Prüfung zu kanpp. Verteidiger Wolfgang Burkhardt sprach von "geringer krimineller Energie", die für die Vergehen aufgebracht werden musste.

Reformen am Landgericht Rottweil

Und auch Münzer kündigte Reformen im Landgericht an: Das EDV-System müsse offensichtliche Fehler künftig erkennen und daher überarbeitet werden, die Angestellten sollen in Sachen IT-Sicherheit geschult werden und eine Check-Liste bei der Prüfung der Auszahlungen solle erarbeitet werden. Entsperrte Bildschirme bei Abwesenheit und dem Kollegen bekannte Passwörter dürfe es nicht mehr geben.

Die Verurteilung bringt harte Einschnitte für den 61-Jährigen mit sich: Er verliert seinen Beamtenstatus und somit seine Pensionsansprüche. Zusätzlich zur Haftstrafe werden auch die rund 330 000 Euro Schaden vom Verurteilten verlangt. Das Haus mitsamt Grundstück wird wohl verpfändet. Ein Trümmerhaufen wartet, sobald der 61-Jährige das Gefängnis verlassen darf. Gesundheitsbeschwerden kommen dazu: Wie ein psychiatrischer Sachverständiger ermittelt hat, leidet der Verurteilte unter einer Depression, seitdem er in U-Haft sitzt. Herzprobleme, dem übermäßigen Alkoholkonsum geschuldet, sind eine weitere Belastung.

Dieser außergewöhnliche Prozess stoße aber auch dringend nötige Reformen an. Der Staatsanwalt sah sogar einen Musterprozess, der in jeglichen anderen Unternehmen genauso ablaufen könnte. Karlheinz Münzer ist wichtig: "Die Justiz in Rottweil ist intakt. Die Kollegen des Verurteilten sind nicht in die Taten verwickelt." Ein Einzelfall eben.