Das Landgericht in Rottweil: Verhandlungsort und die ehemalige Arbeitsstätte des Angeklagten zugleich. Foto: Roth

Der Prozess gegen einen 61-jährigen Gerichtsbeamten des Landgerichtes Rottweil wegen veruntreuter Gelder in 117 Fällen wurde am Mittwoch fortgesetzt. Wie Zeugen berichten, hätte der Angeklagte seine Stellung und das Vertrauen seiner Kollegen ausgenutzt, um das Vier-Augen-Prinzip bei der Freigabe der illegalen Auszahlungen zu umgehen. Warum nun auch die Frau des Angeklagten ins Visier der Ermittler gerät, wurde im weiteren Verlauf der Verhandlung diskutiert.

Kreis Rottweil - Wenn nicht in der Justiz, wo dann kann man seinen Vorgesetzten noch vertrauen? Diese Frage beschäftigt die vier Kolleginnen des 61-jährigen Angeklagten, der seit dieser Woche auf der Anklagebank der Ersten Großen Strafkammer des Landgericht Rottweil sitzt. Der Gerichtsbeamte hat im Zeitraum von März 2016 bis März 2021 in 117 Fällen Auszahlungsanordnungen am Landgericht Rottweil erlassen und das erhaltene Geld auf drei private Konten geschleust. Dieses systematische Vorgehen war nur durch die Gutgläubigkeit seiner Kollegen möglich. Denn: Die Zahlungen unterliegen dem Vier-Augen-Prinzip. Das heißt, neben dem Angeklagten muss eine weitere berechtigte Kollegin den Zahlungsauftrag freigeben.

Angestellte zeigen sich "fassungslos"

"Fassungslos und erschüttert" seien die vier Betroffenen gewesen, als sie von der Betrugsmasche ihres Vorgesetzten erfuhren, erklärt ein Polizeikommissar im Zeugenstand, der die Vernehmung übernommen hatte. Anstatt die beantragten Zahlungen zu überprüfen, unterschrieben die Gerichtsangestellten auf Vertrauensbasis die Freigaben. "Die langjährige Diensterfahrung des Angeklagten und die Hierarchie in der Abteilung hat die Angestellten dazu bewogen, die Auszahlungen nicht zu hinterfragen", betont der Polizeibeamte in der Sitzung am Mittwoch. Dazu kommt: Der Angeklagte hat seine Kollegen wohl unter zeitlichen Druck gesetzt – vermutlich mit dem Hintergedanken, dass diese keine Rückfragen stellen.

Passwörter liegen auf Schreibtisch

Doch: Der Modus Operandi des 61-Jährigen, der während der gesamten Verhandlung teilnahmslos vor sich hinstarrte, änderte sich im Laufe der Jahre. Denn auch als die Kollegen abwesend waren, gab der Angeklagte seine selbst-beantragten Gelder von einem anderem Computer frei. Zwar hat der Gerichtsbeamte die Taten im Grundsatz eingeräumt, er betont jedoch stets, über keine fremden Passwörter verfügt zu haben. Eine neue Erkenntnis brachte nun der geladene Zeuge. Im Gespräch mit der Kollegin des Angeklagten, habe diese erklärt, Passwörter an ihrem Schreibtisch aufbewahrt zu haben. Auffällig: Durch die ungewohnten Arbeitszeiten – der Angeklagte war öfters bereits um fünf Uhr morgens im Büro – hätte sich dieser Zugang zu den Passwörtern verschaffen können, um die Freigabe so selbst zu erteilen. Diesen Umstand sieht auch der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer als Möglichkeit an, weshalb er einen Fragenkatalog an den Angeklagten zusammengestellt hat, der unter anderem diese Thematik behandelt.

Abteilung überlastet?

Nicht gewöhnlich ist auch das Arbeitspensum des Angeklagten – schließlich sind nur wenige Geschäftstätige ab fünf Uhr morgens im Büro: Das – erklärte der Angeklagte über seinen Verteidiger – habe an der Überbelastung seiner Abteilung gelegen. Im Laufe der Zeit habe er mehrere Überlastungsanzeigen gestellt und als diese keine Früchte trugen, sogar auf exzessiven Alkoholkonsum zurückgegriffen. Ein weiterer Tiefpunkt in seinem Leben.

Zuhause wartet ein Schuldenberg

Neben den Sorgen auf der Arbeit war der 61-Jährige privat durch einen Schuldenberg belastet. Deshalb habe er auch die Taten begangen. Die veruntreuten Gelder gingen stets auf das Konto seiner Frau, auf das der Cousine seiner Frau und auf das seines Stiefsohnes. Seine Angehörigen hätten nichts von den illegalen Tätigkeiten gewusst, so der Geschäftsstellen-Angestellte. Tatsächlich sind bei der Büro- und Hausdurchsuchung am 24. März diesen Jahres vier Kreditkarten im Geldbeutel des Angeklagten gefunden worden. Aber: Einiges spricht gegen diese Aussage des Beschuldigten, der seit März in Untersuchungshaft sitzt.

Wusste die Ehefrau wirklich von nichts?

Licht ins Dunkel brachte ein weiterer Zeuge, der die Hausdurchsuchung leitete. Im Schlafzimmer der Frau – die Eheleute haben getrennte Betten – sind Plastikfolien mit Kontoauszügen gefunden worden. Eine weitere Ungereimtheit: Die Cousine der Frau des Angeklagten überwies die Gelder stets umgehend an den Gerichtsbeamten weiter, behielt aber eine Art "Provision" auf ihrer Habenseite. Vieles deutet für Richter Münzer auf eine Absprache hin. Das bestätigt auch eine Beobachtung in einer Bankfiliale in Villingen-Schwenningen. Am Morgen eingegangenes Geld auf dem Konto der Frau des Angeklagten wurde kurze Zeit später abgehoben. Der 61-Jährige war aber nicht persönlich am Bankautomat – er hat zu dieser Zeit nachweislich im Landgericht gearbeitet.

Zu viele Zufälle

Ob die Vorfälle reiner Zufall sind? Die Staatsanwaltschaft erwägt nun gegen die Ehefrau und deren Cousine separate Ermittlungsverfahren einzuleiten – was aber noch nicht abschließend feststeht. Weitere Wendungen in diesem verstrickten Fall dürfen also auch bei der Fortsetzung am kommenden Mittwoch erwartet werden. Dann sind weitere Zeugen geladen.