Der Angeklagte kurz vor dem Prozessauftakt am Landgericht Rottweil. Foto: Roth

Pikanter Fall am Landgericht Rottweil: Ein Geschäftsstellen-Mitarbeiter hat im Zeitraum von 2012 bis März 2021 Auszahlungsanordnungen veranlasst und die erhaltenen Gelder auf private Konten geschleust. Der Prozess gegen den 61-Jährigen begann am Dienstag mit der Verlesung der Anklageschrift.

Rottweil - Der heute 61-Jährige Angeklagte soll von Mitte März 2016 bis zum März diesen Jahres unberechtigt Auszahlungsanordnungen am Landgericht Rottweil veranlasst und die daraufhin von der Landesoberkasse Baden-Württemberg erfolgten Geldzahlungen zu seinen eigenen Gunsten vereinnahmt haben, so die Anklage der Staatsanwaltschaft Rottweil. Der Beschuldigte, der sein Gesicht zu Beginn der Verhandlung verdeckte, räumte den Sachverhalt in seinen Grundzügen ein.

Nicht alle Taten sind angeklagt

Die Gesamtsumme hat es in sich: Alleine im nicht verjährten Zeitraum hat der Angeklagte 331.703,45 Euro auf private Konten geschleust – die Anklage wegen Veruntreuung verteilt sich auf 117 Fälle. Nicht für alle Vergehen kann der 61-Jährige bestraft werden. Denn: Die Verjährungsfrist beträgt lediglich fünf Jahre. Für die 71 Taten von Anfang 2012 bis Anfang März 2016 kam die Anklage der Staatsanwaltschaft im Mai diesen Jahres zu spät. Im verjährten Zeitraum flossen bereits rund 170.000 Euro illegal auf private Konten. Insgesamt ist also von fast 600.000 Euro in knapp 200 Fällen die Rede – das bedeutet pro Jahr durchschnittlich 20 ungerechtfertigte Bereicherungen des 61-Jährigen.

Drei Konten sind involviert

Wie beim Prozessauftakt bekannt wurde, hat der Angeklagte die Auszahlungsanordnungen im Rahmen von von ihm bearbeiteten Zivilverfahren getätigt. Dabei handele es sich um Vorschussforderungen und Verhandlungskosten der Landesoberkasse, die dem Landgericht Rottweil infolge der Verfahrensbearbeitung zustehen. Anstatt das erhaltene Geld an das Landgericht weiterzuleiten, landeten die Zahlungen auf dem Konto seiner Frau, dem Konto der Cousine seiner Frau sowie auf einem Konto, das auf den Namen seines Stiefsohnes lief, über das aber lediglich der Angeklagte verfügte.

Überbelastung als Ursache

Wie konnte es überhaupt zu diesem systematischen Betrug kommen? Schließlich unterliegen die bei der Landesoberkasse beantragten Gelder dem Vier-Augen-Prinzip. Das bedeutet, dass neben dem Angeklagten eine weitere Mitarbeiterin des Landgerichtes die Zahlungen freigeben muss. Das habe schlicht und einfach an der Überbelastung der Beamten gelegen, lässt der 61-Jährige über seinen Verteidiger ausrichten. Sein Vorgehen sei systematisch gewesen: Er habe an seinem Arbeitsplatz die jeweiligen Akten aufgerufen und die Gelder beantragt. Anschließend habe er einen Screenshot ausgedruckt und seine Kollegin um Freigabe gebeten. Stichwort Überbelastung: Die habe ihm vertraut und die Zahlung nicht mehr kontrolliert. Während des Prozessauftaktes sprach der 61-Jährige mehrmals von der "Hölle" und meinte damit seinen Arbeitgeber.

Systematisches Vorgehen

Später habe er die Abwesenheit seiner Kollegin genutzt und sich an deren Rechner zu schaffen gemacht – dabei betont er aber, keine Zugangsdaten missbraucht zu haben. Er habe Gebrauch von kurzen Pausen der Kollegin gemacht und sich an den noch nicht passwort-geschützten Computer die nötige Freigabe selbst erteilt. Spätestens hier stutzte der Richter. Denn: Der Betrug soll auch in dieser Form abgelaufen sein, als die betroffene Beamtin gar nicht im Dienst war. Die betroffenen Akten hat der Angeklagte mit nach Hause genommen – dort und im Auto des Beschuldigten haben Polizeibeamte die Dokumente gefunden. Dass er widerrechtlich handelte, gab der Angeklagte mit seinen Ausführungen offen zu. Seine ehemaligen Kollegen nahm er aber in Schutz. Diese seien nicht in die Fälle involviert gewesen.

Hoher Schuldenberg

Was hat der Angeklagte mit dem ganzen Geld gemacht? Einerseits habe er sich mit dem Kauf eines Hauses hoch verschuldet, parallel dazu seine Familie versorgen müssen. Finanzielle Überlastung veranlasste den 61-Jährigen zu den zahlreichen Straftaten.

Pikant: Verhandlung gegen eigenen Mitarbeiter

Besonders pikant in diesem Fall ist selbstverständlich, dass der Richter über einen ehemaligen Kollegen urteilt. Das zeigt sich auch daran, dass nach der Anklage durch die Staatsanwaltschaft sämtliche dem Landgericht angehörenden Richter Selbstanzeige erstatteten. Somit wollen die Richter eine potenzielle Befangenheit im Sachverhalt ausschließen. Das Oberlandesgericht Stuttgart sah diese Selbstanzeigen aber nur bedingt begründbar.

Urteil noch nicht in Sicht

Zu den weiteren Hintergründen sollen die kommenden Verhandlungstermine Aufschluss geben. Unter anderem stellt sich die Frage, warum die Frau des Angeklagten keine Kenntnis von den Machenschaften des 61-Jährigen gehabt haben will. Fazit: Ein Urteil ist für den 10. Dezember anberaumt. Mit einer mehrjährigen Haftstrafe ist zu rechnen.