Edith Barth und OB Peter Rosenberger (im Hintergrund interessierte Bürger) sprechen auf der Brücken-Baustelle in Nordstetten über die Lärmbelastung im Zuge der Bauarbeiten. Foto: Lück

Genervte Anwohner stellen Ultimatum: "In vier Wochen ist der Schredder weg." Horbs OB Rosenberger unter Druck.

Sogar am Volkstrauertag wurde auf der Hochbrücken-Baustelle gebaggert. Dienstagfrüh gingen die "Schläge" bis morgens um 1.30 Uhr. Und die Anwohner ersticken im Staub. Die Nordstetter haben die Faxen dicke von der Hochbrücken-Baustelle und wollen jetzt klagen, wenn nichts passiert.

Horb-Nordstetten - Es ist ruhig im Horber Gässle, relativ ruhig. Gut ein Dutzend Anwohner stehen im Kreis und warten auf OB Peter Rosenberger und Vertreter des Regierungspräsidiums. Denn: Die Baustelle geht ihnen mächtig an die Substanz.

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Dann rollt leise das Auto des OB heran. Hier hat er bis Juli 2019 selbst gewohnt "Uns wurde wegen Eigenbedarf gekündigt. Ich bin nicht weggezogen, weil ich Angst vor dem Lärm hatte", beteuert Rosenberger. Mit den wütenden Bürgern zeigt er sich solidarisch: "Wir sehen uns eher als Partner der Einwohner und nicht des Regierungspräsidiums", beschreibt er die Haltung der städtischen Verwaltung gegenüber der Mittelbehörde, die für die Baustelle zuständig ist.

Lärm bis nachts um halb zwei

Vom RP hingegen waren keine Vertreter anwesend, der Termin sei dafür zu kurzfristig gewesen, meint Rosenberger. Manche Anwohner vermuten eher, dass es den Bürokraten an Mut fehlte, den Betroffenen gegenüber zu treten. "Das ist ein schwaches Zeichen vom RP", meint Edith Barth.

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Auch während des Gesprächs mit dem OB sind die Geräusche von der Baustelle deutlich zu vernehmen. Im Hintergrund rattert ein Meißel-Bagger und auch das Dröhnen und Piepsen der Lastwagen ist zu hören. Doch die Bewohner, die unter der Baustelle seit Juli leiden, winken ab. Im Vergleich zu sonst sei das nichts.

Fabian Siebert zückt sein Smartphone: Die Lärm-App zeigt gerade 50 Dezibel. "Normalerweise sind es hier 86." Der Vorwurf der Manipulation wird laut: "Weil die wissen, dass heute der Ortstermin mit dem Oberbürgermeister ist, haben sie den Lärm um 80 Prozent runtergefahren."Ein anderer Anwohner ruft: Das ist "Verarsche".

"Hier kann man es nicht mehr aushalten"

Edith Barth: "Heute Nacht haben sie bis halb zwei gebaggert und gebohrt. Heute Morgen um sieben Uhr hat mich der Meißelbagger aus dem Bett geholt. Jetzt haben sie alles weggefahren. Hier kann man es nicht mehr aushalten, Ich bin mit den Nerven runter."

Kein Wunder. Barth erzählt weiter: "Gegen 23 Uhr sind gestern Abend sieben Maschinen vorgefahren und haben Lärm gemacht. Um Mitternacht bin ich rausgegangen und habe geschrien: ›Wann ist endlich Ruhe?‹ Ein Bauarbeiter rief zurück: ›In zwei Minuten sind wir fertig‹. Doch der Lärm ging noch bis halb zwei. In der ersten Reihe wirst du völlig verrückt."

Als selbst um halb zwei noch direkt vor den Häusern gearbeitet wurde, rief in seiner Verzweiflung ein Nachbar der ehemaligen Ortsvorsteherin sogar die Polizei: "Die Beamten haben mir gesagt, sie seien informiert und deshalb kann man nichts machen. Wie kann das sein, dass die Polizei über solche Nachtarbeiten Bescheid weiß und wir nicht?"

Volkstrauertag nicht heilig

Selbst am Volkstrauertag hielt der Lärm an. "Der Volkstrauertag ist nicht zum Krachmachen und Baggern da", schimpft Barth. OB Rosenberger selbst hatte Staatssekretär Steffen Bilger (CDU) zitiert, der auch mit einem Spatenstich im November 2018 den Startschuss für die Bauarbeiten gegeben hatte: "Für den derzeit laufenden zweiten Bauabschnitt wurde nach Auskunft der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg Baubetriebsform 2 (mit Samstagsarbeit) ausgeschrieben. Sonntags- und Nachtarbeit ist auf Grund der angrenzenden Bebauung aus Lärmschutzgründen nicht möglich. Dies gilt auch für die weiteren Bauabschnitte. Sonntags- und Nachtarbeit werden aus diesem Grund nicht in Betracht gezogen." Edith Barth: "Wenn ich das richtig verstehe, sind damit die Arbeiten am Volkstrauertag strafrechtlich relevant!"

Droht dem RP oder den Baufirmen jetzt eine Strafanzeige? Barth hat sie bisher noch nicht gestellt. OB Rosenberger: "Wir werden auch bei uns in der Verwaltung nachforschen: Wer hat diese Sonntagsarbeit genehmigt?"

Keine Bäume mehr, um Lärm abzuhalten

Der Wummer-Brecher Besonders an den Nerven der Bewohner zehren nicht nur die temporären Lärm-Arbeiten, sondern auch das ständige Brummen und Krachen der sogenannten Brecheranlage. Ursprünglich stand diese sogar direkt auf der Bundesstraße, mittlerweile wurde sie hinter eine Aufschüttung – den sogenannte "Mount Nordstetten" – gestellt. An der Lärmbelastung habe das aber nur wenig geändert. Auch die Anwohner der Alemannenstraße jenseits des Brückenneubaus nervt das lautstarke Zermahlen des Gesteins.

Fabian Siebert: "Die Arbeiter an der Brecheranlage laufen mit Hörschutz rum. Und wir? Jetzt haben wir nicht mal mehr die Bäume, die wenigstens ein bisschen Lärm abgehalten haben."

Siebert befürchtet: "Wenn wir Pech haben, bleibt die Brechanlage sogar noch in Nordstetten, wenn auf der anderen Talseite am Rauschbart die Arbeiten der Hangsicherung gemacht werden und das Material auf unserer Seite recycelt wird."

Das Ultimatum

Für Barth kommt nur eine Lösung in Frage, ein neuer Standort für die Brechanlage, weit weg von der Siedlung: "In vier Wochen ist der Schredder weg", stellt sie ein Ultimatum, "sonst klagen wir!" Die Anwohner sind verzweifelt. Hatten sie doch schon vor drei Wochen ein Gespräch bei OB Peter Rosenberger. Klagten ihr Leid und hatten eigentlich eine erneute Einladung erwartet. Gekommen ist bis zum gestrigen Ortstermin nichts. Noch ein Schock: Das Regierungspräsidium weigert sich offenbar auch noch, für Schäden an den Gebäuden aufzukommen.

RP übernimmt keine Kosten

Stadtplaner Peter Klein schreibt an die Anwohner: "Das Regierungspräsidium dementiert, dass es Kostenübernahmen für Gebäudereinigungen oder Ähnliches geben würde. Erstattungen seien hier nur von den Baufirmen vorgenommen worden. Insofern kann das Regierungspräsidium auch keine Aussagen über künftige Kostenübernahmen zu Pkw- und Gebäudereinigungen treffen."

Ein Anwohner: "Bei mir war schon solch ein Gutachter im Auftrag des RP. Bitter gesagt: Natürlich waren die Risse an meinem Haus schon älter. Klar, wenn man einen Gutachter im Auftrag des Regierungspräsidiums schickt – so kann das nicht funktionieren, so bleiben wir auf unseren tatsächlichen Schäden durch die Bauarbeiten sitzen!"

Edith Barth: "Ich habe jetzt erst die Fenster und Türen erneuern lassen – für 40.000 Euro. Inzwischen muss mein Mann die Rahmen alle 14 Tage mit dem Hochdruckreiniger sauber machen. Die Farbe glänzt nicht mehr. Da kann doch das RP nicht erwarten, dass ich auch noch die Baufirmen herausbekomme, die jeweils für die einzelnen Körnchen in der Staubschicht verantwortlich ist!"

OB unter Druck

Horbs OB Peter Rosenberger ist jetzt unter Druck. Er verspricht, innerhalb von zwei Tagen die Klagen der Anwohner aufzuarbeiten und dann auf das Regierungspräsidium zuzugehen: "Wir werden einen Katalog erstellen mit den Beschwerden der Anwohner. Wir wollen das Thema sensibel platzieren. Ich gehe davon aus, dem Regierungspräsidium ist nicht bewusst, wie kritisch hier die Lage ist. Da muss man mit Fingerspitzengefühl heran gehen!" Er hatte einem Anwohner in der Diskussion schon gesagt: "Ich habe schon die Erwartung, dass sich das Regierungspräsidium jetzt kreativ zeigt."

Eine mögliche Entlastung könnten auch mobile Lärmschutzwände sein. OB Rosenberger: "Angesichts der 68,5 Millionen Euro Baukosten, bei denen das Projekt jetzt steht, dürfen auch die wenigen Tausende für mobile Lärmschutzwände leistbar sein."

Fakt ist jedenfalls, so verspricht Oberbürgermeister Peter Rosenberger vor Ort: "Ich kann ihnen heute schon sagen, dass wir die Lärmschutzmaßnahme auf der neuen Brücke auch Richtung Horber Gässle auf unsere Kosten installieren lassen. Das werden wir als Verwaltung vorschlagen – unabhängig von der Corona-Haushaltslage. Und auch bei den Lärmschutzwänden, die im nächsten Jahr ausgeschrieben werden und für die wir 400.000 Euro im Haushalt zurückgelegt haben, werden wir noch einmal auf die Anwohner zukommen, um die Form und Art gemeinsam festzulegen."