Olaf Scholz schlug nach seiner Regierungserklärung am Dienstag im Bundestag Kritik entgegen. Foto: dpa/Michael Kappeler

Endlich erklärt sich der Kanzler zur Haushaltslage. Doch eine Lösung bringt er nicht mit. Dafür greift die Opposition ihn heftig an.

Lange hat er nichts gesagt. In der vergangenen Woche war vom Bundeskanzler kaum etwas zu hören. Aber jetzt steht er im Bundestag und wiederholt einen Satz, den man schon kennt. „You‘ll never walk alone“, sagt der Kanzler, wie schon vor anderthalb Jahren während der Energiekrise: Wir lassen niemanden allein. Olaf Scholz blickt nur kurz auf, dann schaut er wieder auf seinen Redezettel. Er sieht vermutlich nicht, wie Dorothee Bär, die Vizevorsitzende der Unionsfraktion, ihr Gesicht in den Händen versenkt. Aber er kann hören, dass die Abgeordneten von CDU/CSU und AfD laut auflachen.

Am Dienstag hat sich der Kanzler im Bundestag zur aktuellen Haushaltskrise geäußert. Fast zwei Wochen ist es nun her, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Verfahren für verfassungswidrig erklärte, auf dem die Haushaltsplanung der Ampelregierung beruhte. Die Koalition hatte sich darauf geeinigt, ungenutzte Kredite, die aus den Corona-Soforthilfen übrig waren, in den Klima-Transformations-Fonds (KTF) zu übertragen. Das machte es möglich, den geplanten klimapolitischen Wirtschaftsumbau zu finanzieren, ohne die Schuldenbremse anzutasten. Doch das ist nach dem Urteil nicht mehr möglich. Der Koalition fehlen nun 60 Milliarden Euro für ihre Pläne.

Haushalt auf Eis

Wie die Ampelregierung weitermachen will, ist seitdem offen. Das Urteil kam zur Unzeit: einen Tag vor der Bereinigungssitzung des Haushaltsauschusses, zwei Wochen, bevor der Bundestag den Haushalt beschließen wollte. Das wird in dieser Woche nun nicht passieren. Für 2023 hat die Ampelkoalition nun die Schuldenbremse ausgesetzt, um den Haushalt nachträglich abzusichern. Doch der Haushalt 2024 liegt noch auf Eis – bis die Koalition sich auf eine Lösung einigt.

Vermutlich spürt Olaf Scholz diesen Druck. Aber man merkt ihm das – wie gewöhnlich – nicht an, als er ans Rednerpult tritt. Scholz spricht, wie er nun mal immer spricht: ruhig, konzentriert – und fast regungslos. Er erinnert an die Krisen der vergangenen Jahre: die Pandemie, den russischen Angriff auf die Ukraine, die Folgen für die Energieversorgung, die Überflutung des Ahrtals. „So ein Wiederaufbau dauert Jahre“, sagt er. Es ist die Rechtfertigung für die erneute Aussetzung der Schuldenbremse.

Noch immer keine Lösung

Dann erklärt Scholz, was die Regierung bereits getan hat. Dass sie nun daran arbeite, alle nötigen Beschlüsse für den kommenden Haushalt zu treffen – „schnellstmöglich“.

Was Scholz nicht sagt: Wann und wie genau das passieren soll. Eine Lösung für die Haushaltskrise hat der Kanzler nicht mitgebracht. Will die Koalition die Schuldenbremse reformieren? Oder doch einsparen? Das scheint sie selbst noch nicht zu wissen. Zumal sie für jede Veränderung, die die Verfassung betrifft, die Unterstützung der Union bräuchte.

Nach Scholz tritt Unionsfraktionschef Friedrich Merz ans Redepult. Er setzt mit leiser Stimme an. „Diese Entscheidung war in der Sache richtig, sie kommt zum richtigen Zeitpunkt, und sie war vor allem notwendig“, sagt Merz. Und er fügt hinzu: „Wir haben über dieses Urteil nicht triumphiert.“ Da wiederum lachen die Abgeordneten in den Fraktionen der Ampelkoalition.

„Sie können es nicht“

Merz geht darüber hinweg. Dann wendet er sich gegen den Bundeskanzler persönlich. „Der Urheber dieser verfassungswidrigen Konstruktion war kein Geringerer als Sie, Herr Bundeskanzler“, sagt Merz. Er habe ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung erwartet. Doch das sei ausgeblieben. „Sie wissen doch sonst immer alles besser als alle anderen“, ruft Merz dem Kanzler zu – inzwischen spricht er nicht mehr leise, er ist laut geworden. Und er sagt zu Scholz: „Sie können es nicht.“

Scholz sitzt derweil wie eingefroren auf der Regierungsbank, keine Regung im Gesicht. Irgendwann setzt er die Lesebrille auf und greift nach seinem Handy.

Und noch etwas betont Merz sehr deutlich: „Damit Sie sich bitte keine Illusionen machen: Wir werden an der Schuldenbremse festhalten!“ Und er fügt hinzu: „Versuchen Sie erst gar nicht, einen Keil in die Union zu treiben!“ Merz scheint zu wissen, dass er in diesem Punkt angreifbar ist. Denn seine Ministerpräsidenten haben sich bereits anders geäußert. In den Ländern stehen viele von ihnen nach dem Urteil aus Karlsruhe selbst unter Druck, weil nun auch ihre Haushaltsplanungen gefährdet sind. Das halten viele der Abgeordneten der Ampelfraktionen der Union in den folgenden Reden dann auch vor. Es ist die kleine offene Flanke, die sich ihnen an diesem Tag bietet.

Scholz liest Papiere

Auch als Merz schon wieder abgetreten ist, blickt Scholz für längere Zeit nicht auf. Während die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sich mit Bezug auf die USA für hohe Investitionen für den Wirtschaftsumbau ausspricht – „Wer hier nicht mitspielt, verliert“ – und die AfD-Chefin Alice Weidel der Ampelregierung vorwirft, das Land in den Bankrott getrieben zu haben, liest Scholz konzentriert in einem Stapel von Papieren.

Erst als der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr ans Rednerpult tritt, legt Scholz die Papiere für einen Moment beiseite. Dürr erinnert daran, dass auch das Konjunkturprogramm unter CDU/CSU nicht immer rechtskonform gewesen sei. Und er kontert Friedrich Merz, der in seiner Rede behauptet hatte, die Union sei nicht bereit, die Schuldenbremse anzutasten. „Der Einzige aus der Union, der die Schuldenbremse in dieser Woche noch nicht infrage gestellt hat, ist Markus Söder“, sagt Dürr. „Aber es ist ja auch erst Dienstag.“ Darüber lachen viele im Saal.

Zwei Stunden streitet das Parlament am Dienstagvormittag über die Haushaltskrise. Viele Abgeordnete von SPD und Grünen plädieren für eine Reform der Schuldenbremse. Die FDP konzentriert sich darauf, die Vorwürfe der Union zu kontern. Doch einig ist sich die Ampelregierung offenbar untereinander selbst noch nicht.

Gegen Ende der Debatte haben sich die meisten Sitze im Plenum bereits geleert. Auch der Kanzler hat seine Papiere zusammengeräumt, die Lesebrille eingesteckt und ist inzwischen verschwunden. Er hat da noch eine Krise zu lösen. Wenn er sein Versprechen halten will, haben seine Regierung und er noch viel Arbeit vor sich.