Tiagos Eltern geben die Hoffnung auf das neue Medikament Zolgensma nicht auf. Foto: Privat

Hierzulande kein Zolgensma: Tiago läuft die Zeit davon - Krankenkasse sind die Hände gebunden.

Geislingen - "Wir sind verärgert, wütend und traurig", so wenden sich die Eltern von Tiago auf Facebook an ihre Untersützer. Der Zweijährige leidet an spinaler Muskelatrophie Typ2. Ein neues, in Deutschland noch nicht zugelassenes Medikament namens Zolgensma kann sich nach aktuellem Wissensstand lebensverlängernd auf die tödliche Krankheit auswirken. "Wie wir gestern erfahren durften, hat die AOK Baden-Württemberg eine der größten Anwaltskanzleien Deutschlands mit ins Boot geholt, um sie in unserem Fall vor dem Sozialgericht Reutlingen zu vertreten, da keinerlei Interesse besteht, die Kosten für Zolgensma zu übernehmen", schreiben sie.   

Hier der Post der Familie:

Doch auch die Familie hat einen kompetenten Anwalt an der Hand. Johannes Kaiser, Fachanwalt für Arbeits-, Sozial- und Versicherungsrecht aus Olpe, hat bereits für fünf betroffene Kinder eine Behandlung mit dem neuen zwei Millionen Euro teure Medikament  Zolgensma juristisch durchgeboxt. Auf Tiagos Spendenkonto sind bis Anfang Februar ganze 950.000 Euro zusammengekommen. Das ist quasi die Hälfte der Kosten für Zolgensma. "Unser Anwalt sagt aber, die Krankenkasse zahlt entweder alles oder gar nichts", sagt Tiagos Mutter, Stephanie de Freitas.

Langzeitstudien könnten zu spät kommen

"Unser Antrag auf Kostenübernahme wurde bisher abgelehnt mit diversen Begründungen, wie dass der Tod erst in ein paar Jahren eintritt und dass bei Tiago derzeit noch keine akute Lebensgefahr bestehe, sowie dass es für Zolgensma noch keine Langzeitstudien gebe. Bei der Qualität und der jetzigen Unterstützung wird Tiago den Tag einer abgeschlossenen Langzeitstudie für Zolgensma vermutlich gar nicht mehr miterleben können", sorgt sich die Mutter. 

Die Begründung der AOK laute, Spinraza schlage in Tiagos Fall gut an, erklärt de Freitas, jedoch sehe die Realität bescheidener aus. Es werde zwischen Typ 1 und Typ 2 unterschieden, jedoch gebe es Kinder mit Typ 1 der Muskelkrankheit, die motorisch deutlich besser unterwegs seien als Tiago. "Von anderen Krankenkassen in anderen Bundesländern wurden die Kosten für Zolgensma problemlos übernommen und die betroffenen Familien mit regelmäßigen persönlichen Besuchen bestens betreut", ärgert sich de Freitas. "Warum nicht bei uns? Warum nicht bei der AOK?", fragt sie sich. 

"Es war nur einmal jemand von der AOK bei uns vor Ort", sagt de Freitas dazu. "Und nur um uns zu sagen, dass das Medikament nicht finanziert wird. Es kam keine Nachfrage, wie es Tiago geht." Die Krankenkasse dagegen spricht vom persönlichen Kontakt zu der Familie. "Die Kostenübernahme einer Beckenringorthese musste vor einziger Zeit aufgrund eines negativen Bescheids des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zunächst abgelehnt werden", erinnert sich Eveline Blank von der AOK Necker-Alb. "Diese Entscheidung wurde jedoch nach einem persönlichen Gespräch mit der Familie zu einem positiven Ende geführt und die Kosten erstattet."

Krankenkasse muss auf medizinisches Gutachten vertrauen

"Die Kosten der Behandlung sind nicht entscheidungsrelevant, sondern die leistungsrechtliche Grundlage zu einer Einzelfallentscheidung", erklärt Blank zu der Entscheidung der AOK, Zolgensma nicht zu finanzieren. Die Palette der Kriterien, an denen sich die Krankenkasse orientiere, sei lang. Dazu zähle der Zulassungsstatus der Behandlung, der Stand der Evidenz der Therapie, die Verfügbarkeit von alternativen Behandlungsmöglichkeiten oder mögliche Risiken.

"Die AOK Baden-Württemberg war nach Bekanntwerden des Falls gezwungen, innerhalb einer festgelegten Frist eine Entscheidung auf Grundlage eines medizinischen Gutachtens zu treffen", erklärt Blank. "Aufgrund der besonderen Umstände bei dieser seltenen Erkrankung hat die AOK Baden-Württemberg der Familie des Patienten angeboten, eine weitere ärztliche Zweitmeinung durch einen ausgewiesenen neuropädiatrischen Spezialisten einzuholen. Sollte dieser zur Einschätzung gelangen, dass eine Behandlung mit der derzeitigen Therapie nicht ausreichend und eine Behandlung mit dem nicht zugelassenen Arzneimittel Zolgensma dringend geboten sei, sichert die AOK Baden-Württemberg umgehend eine erneute Prüfung auf dieser Grundlage zu." Eine Rückmeldung zu diesem Angebot sei von der Familie jedoch bisher nicht gekommen.

"Dieses Angebot hat es tatsächlich gegeben", sagt de Freitas. "Aber damit werden einem nur Steine in den Weg gelegt. Jeder weiß, dass das in Deutschland ein schweres Thema ist. Das Medikament ist nicht zugelassen und es gibt keine Langzeitstudien. Kein Arzt wird uns da eine konkrete Empfehlung geben."