Erdbeben hat es auf der Alb schon immer gegeben. Foto: ©Andrey VP _AdobeStock.com

Die Erde hat mal wieder gebebt am Sonntag, 16. Oktober. Otto Bogenschütz, Vermessungsfachmann und geschätzter Heimatforscher, hat in einem Gastbeitrag die wichtigsten Informationen zusammengetragen.

Hechingen/Jungingen - Der Experte beantwortet in seinem Beitrag die wichtigen Fragen rund um die Beben.

Seit zwei Jahren häufen sich mittelschwere Erdbeben bei Jungingen, Onstmettingen und Boll. Besteht nun eine erhöhte Gefahr für die Bewohner des Killertals?

Nein, Erdbeben gibt es auf der Zollernalb seit Menschengedenken. Es gab ruhige Perioden und Zeiten, in denen sich mittlere und schwere Erdbeben häuften. Wann es wieder ein schweres Erdbeben gibt, kann niemand beantworten. Darüber sollte auch nicht spekuliert werden.

Was wissen wir über die Erdbeben der Zollernalb?

Die afrikanische Erdplatte triftet nach Norden und schiebt sich unter die europäische Erdplatte, dabei werden die Alpen nach oben geschoben. Weiter drückt die Hebung der Alpen die nördlich davon liegende Erdmasse nach Norden. Der Druck ist aber im süddeutschen Gebiet nicht einheitlich. Die Albstadt-Scherzone trennt zwei Gesteinsblöcke, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit nach Norden bewegen.

Was weiß man über diese Gesteinsblöcke?

Die Albstadt-Scherzone reicht vom Schweizer Kanton Glarus bis nach Stuttgart. Der östlich davon legende Gesteinsblock bewegt sich rund 0,1 Millimeter pro Jahr schneller nach Norden als der westliche Gesteinsblock. Die Gleitbewegung in etwa fünf bis zehn Kilometer Tiefe wird nur im Raum Konstanz und Albstadt gestört. Dort verhaken sich die beiden Gesteinsblöcke. Es entstehen Spannungen, die durch Erdbeben wieder gelöst werden.

Hat das etwas mit dem so genannten Hohenzollerngraben zu tun?

Nein. Der Hohenzollerngraben ist ein von Haigerloch bis ins Lauchertal reichender Grabeneinbruch. Er ist maximal zwei Kilometer breit und ist an der Erdoberfläche maximal 150 Meter eingebrochen. Der nördliche Grabenrand verläuft durch den Zollerberg entlang des Hangenden Steins in Richtung des Ortes Bitz. Dagegen reicht der südliche Rand des Hohenzollern-grabens von der Ortsmitte Wessingen über die Ortsmitte von Zimmern (entlang des Weidenbaches) und dem Zollersteighof nach Osten.

Was ist über die älteren Erdbeben bekannt?

Das Epizentrum des bisher stärksten gemessen Erdbebens vom 16. November 1911 lag nördlich des Tailfinger Baugebiets Lichtenbol. Es löste eine Gesteins-Verhakung auf einer Länge von sechs bis acht Kilometer nach Süden bis nach Lautlingen auf. Das nächststärkere Erdbeben vom Mai 1943 löste die Verhakung vom Lichtenbol ausgehend nach Norden. So gab es Schäden sogar am Turm der Marienkirche in Reutlingen.

Wie ging es dann weiter?

Die Epizentren aller mittleren Erdbeben bis in die 70er Jahre lagen in und um die Fuge des Erdbebens von 1911. Seit längerem ist auch bekannt, dass auf Süddeutschland auch die Hebung des Atlantikrückens um die Insel Island sich auswirkt. Das Maximum der Druckspannungen in zehn Kilometer Tiefe vom Atlantik und von den Alpen wird um Albstadt erreicht. Die vorhandene und geradlinig verlaufende Fuge von Glarus über Konstanz nach Albstadt knickt ab Tailfingen nach Osten zur Linkenbolhöhle ab. Dort verläuft sie wieder parallel zur alten Richtung weiter nach Norden. Das Erdbeben vom 3. September 1978 hatte sein Epizentrum im Knick der Fuge bei der Linkenbolhöhle.

Und diese Prozesse gehen nun immer weiter?

Nach dem Jahr 1978 gab es mehrere mittlere Erdbeben in der Fuge nördlich des Epizentrums von 1978. Erst seit dem 1. Dezember 2020 ist die Fuge im Bereich zwischen 1,5 bis vier Kilometer wieder tektonisch aktiv. Seither gab es 16 mittlere Erdbeben im Bereich westlich des Himbergs bei Jungingen. Diese alte Fuge führt über den Ort Belsen und Dusslingen bis nach Stuttgart. Auch das Erdbeben vom 16. Oktober löste die Verhakung der beiden Gesteinsblöcke im Bereich des Himbergs. Der Verlauf dieser Fuge an der Erdoberfläche ist westlich vom Ort Jungingen rekonstruierbar.

Welche Erdbeben-Gefahr ergibt sich daraus für die Orte Schlatt und Jungingen?

Erdbeben kann niemand präzise vorhersagen. Bestimmte Merkmale können auf eine erhöhte Erdbebengefährdung hinweisen. Für einige hundert Meter verläuft sogar die Starzel auf dieser von der Linkenbolhöhle nach Norden führenden Fuge. Dieser Tatbestand ist für die Erdbebengefährdung der Orte Schlatt und Jungingen sehr bedeutend. Die Fuge verläuft nicht unter beiden Orten, sondern zwischen ihnen. Eine Fuge ist in etwa zehn Kilometer Tiefe schon seit Jahrhunderten vorhanden. Vorhandene Gleitstörungen der beiden Gesteinsblöcke haben sich vermutlich erst in den letzten Jahrhunderten aufgebaut, was nicht zu einem starken Erdbeben führen kann.

Auch am 9. Juli diesen Jahres gab es ein Erdbeben in der Region. Für Wissenschaftler scheint das interessant zu sein?

An diesem Tag gab es ein Erdbeben bei dem Ort Weilheim mit einer Magnitude 4,1 (Richterscala). Es wird von der Wissenschaft aufmerksam beobachtet. Die Frage ist: Bildet sich am Nordrand des Hohenzollerngrabens eine neue westlich abzweigende Fuge, die mehre Kilometer westlich der östlichen Fuge parallel nach Norden verläuft?

Was weiß man eigentlich über die sehr weit zurückliegenden Erdbeben in der Region?

Vor dem Jahre 1860 sind nur wenige Erdbeben aufgezeichnet. Im 17. Jahrhundert soll ein größeres Erdbeben in Tübingen stattgefunden haben. Im Jahre 1117 fand nach der Zwiefalter Chronik ein starkes Erdbeben in Süddeutschland statt. Und der Zollerberg erhielt durch ein Erdbeben im Mittelalter seine heutige Gestalt.