Erdbeben in Baden-Württemberg und speziell im Zollernalbkreis sind nichts Ungewöhnliches – und kommen durchaus mehr als 100 Mal pro Jahr vor. Alles Wissenswerte zu diesem Phänomen
Lange war es relativ ruhig unter der Erde: Am 16. Oktober gab es gleich am Sonntagmorgen jedoch wieder mehrere, teils deutlich spürbare Erdbeben im Zollernalbkreis. Diesmal war das Epizentrum in Jungingen. Die Magnitude betrug 3,9. Damit ist es das zweitstärkste Beben in diesem Kalenderjahr.
Das stärkste - und weit über die Landkreis-Grenzen hinaus spürbar - ereignete sich am Samstag (9. Juli) im Zollernalbkreis, genauer bei Rangendingen bzw. Hechingen, um 13.47 Uhr wenige Tage nach einem Vorfall in Jungingen. Der Landeserdbebendienst meldete eine Magnitude von 4,1. Zum Thema Erdbeben in Rangendingen haben unsere Redaktion zahlreiche Fragen erreicht. Eine Auswahl davon beantworten wir mit unserem Service-Artikel.
Wo genau ereignete sich das stärkste Erdbeben 2022?
In Hechingen. Wobei: Streng genommen ist Hechingen als Angabe gar nicht korrekt. Das Erdbeben ereignete sich in zehn Kilometern Tiefe bei den Koordinaten 48.358°N und 8.894°E. Also zwei Kilometer südlich von Rangendingen, fast direkt unterhalb der L391 oberhalb von Weilheim. Zumindest meldet dies das U.S. Geological Survey (USGS). Das Landesamt verortet das Epizentrum deutlich näher an Grosselfingen, nordwestlich des Sportgeländes des FC Wessingen.
Wo war das Erdbeben mit Epizentrum Hechingen überall zu spüren?
Das Beben war in einem Umkreis von 50 Kilometern nach Hechingen unter anderem in Albstadt, Rottweil und im Schwarzwald-Baar-Kreis zu spüren. Auch aus dem Kreis Calw, Pforzheim, Stuttgart und Lahr haben sich Leser bei uns gemeldet. Auch in der Schweiz wurde das Erdbeben wahrgenommen, sogar bis ins 150 Kilometer entfernte Luzern soll er spürbar gewesen sein. Mehr als 5000 Menschen haben Kontakt zum Landeserdbebendienst aufgenommen. Darunter Anrufer aus dem Elsass, der Schweiz und Bayern.
Gab es nach dem Erdbeben vom 9. Juli Sachschäden?
Unserer Redaktion sind keine nennenswerten Sachschäden bekannt. Ein Polizei-Sprecher sprach am Sonntag (10. Juli) von "minimalen Schäden". Falls Sie betroffen gewesen sind, melden Sie sich gerne bei uns. Ein Riss in der Bundesstraße 32 in Schlatt sorgte direkt nach dem Erdbeben für Irritationen. Hier gaben aber Anwohner Entwarnung.
Welche Reaktionen gab es nach dem stärksten Erdbeben 2022?
Vor allem über die sozialen Medien erreichten unsere Redaktion Zuschriften. „In Starzach hat bei uns das ganze Haus gewackelt“, schreibt Hanni B. Nicky B. dachte an eine überladende Waschmaschine in der Wohnung über ihr. Sven H. lag im Bett, als das Erdbeben passierte. „Es hat sich so angefühlt, als ob eine Katze in mein Bett reingesprungen ist.“ Er schreibt von „Dauerdonner aus der Ferne“. In Rottweil nahm Felix U. das Beben und Vibrieren wie eine U-Bahn wahr, die in New York direkt unter der Straße fährt.
Besonders starke Erdbeben: Jungingen und Albstadt liegen vorne
Was waren seit 2019 die stärksten Erdbeben in unserer Region?
Tatsächlich war das jüngste Erdbeben in Hechingen mit einer Magnitude von 4,1 das stärkste Beben. Deutschlandweit soll es sogar das stärkste seit acht Jahren gewesen sein – wie das Portal erdbebennews.de berichtet. Das Beben in Hechingen vom 16. Oktober 2022 war das zweitstärkste des Jahres und das zweitstärkste seit 2020. In den vergangenen dreieinhalb Jahren gab es in unserer Region nur fünf Erdbeben, die eine Magnitude von >3,5 aufwiesen. Immer waren Jungingen, Albstadt oder Hechingen betroffen. Hechingen: 16. Oktober 2022. Jungingen: 1. Dezember 2020 (3,9), 21. März 2021 (3,7). Albstadt: 4. November 2019 (3,8), 27. Januar 2020 (3,5).
Ab wann sind Erdbeben gefährlich?
Bei einem Beben mit der Stärke 4,1 handelt es sich laut Innenministerium um ein „mäßig starkes Erdbeben“. Leichte Schäden können auch bei einem Wert von vier auf der Richterskala auftreten. Ab einem Wert von fünf auf der Richterskala wird es dann aber richtig gefährlich, da Gebäudeschäden in der Nähe des Epizentrums möglich sind. Ende Mai gab es ein Erdbeben mit der Stärke 2,9 in Jungingen – das ist die Kategorie „extrem leicht“.
Viele Menschen rufen bei einem Erdbeben die Polizei an. Ist das sinnvoll?
Ganz klar, nein! Einige hätten sich trotzdem bei der Polizei gemeldet, weil das Haus gewackelt habe, sagte eine Polizeisprecherin. Bei allem Verständnis für das Mitteilungsbedürfnis der Betroffenen: Die Polizei kann an den Beben auch nichts ändern. Der Notruf sollte unbedingt freigehalten werden. Bei einem Erdbeben 2004 in Waldkirch war der Notruf mehr als 90 Minuten blockiert.
Was war das stärkste Erdbeben in unserer Region?
1978 wurden bei einem Erdbeben der Magnitude 5,7 in der Region 25 Personen verletzt und ungefähr 8500 Gebäude beschädigt. Vor vier Jahren hat sich das Erdbeben zum 40. Mal gejährt. „Das stärkste ereignete sich aber mit einer Magnitude von 5,9 oder womöglich 6,0 oder 6,1 bereits im Jahr 1911 im Gebiet um das heutige Albstadt“, sagt Stefan Stange, der Leiter des Landeserdbebendienstes. Damals habe es nicht nur Dutzende Verletzte und Schäden an den Häusern, sondern auch Hangrutschungen gegeben. Etliche Quellen waren aufgrund der Erdbewegungen versiegt oder entsprangen plötzlich an anderen Stellen. Es war das größte Beben Mitteleuropas seit 150 Jahren. Bei einem Erdbeben mit einer Magnitude von 6,1 spricht der Geologe von einem starken Beben mit Zerstörungen im Umkreis von 70 Kilometern.
Ist der Zollerngraben der Grund für die Erdbeben?
Der Zollerngraben ist eine zwei Kilometer tiefe tektonische Störungszone mit einem Alter von 15 Millionen Jahren. Dort kommen sich Gesteinsschichten in die Quere, verhaken sich und reißen hin und wieder mit einem Knall auseinander. Hauptverantwortlich ist der Zollerngraben für die Erdbeben in der Regel allerdings nicht.
Stefan Stange, Leiter des Landeserdbebendienstes vermutet mit dem Erdbeben vom 9. Juli jedoch einen Zusammenhang mit der Grabenstruktur. "Das Beben hat vermutlich an einer Graben-Basisstörung und mehrere Kilometer abseits des zentralen Bereichs der Albstadt-Scherzone gelegen", sagt Stange. Und weiter: "Dies und die beobachtete Bewegung auf der Bruchfläche legen einen Zusammenhang des Erdbebens mit der Grabenstruktur nahe."
Was kann noch Ursache für Erdbeben sein?
Die Beben, die die Region seit Beginn des 20. Jahrhunderts rumoren lassen, werden von einer Schwächezone verursacht, die den Zollerngraben in zehn Kilometern Tiefe kreuzt: die so genannte Albstadt-Scherzone. Dort wollen sich zwei unterirdische Gesteinskomplexe aneinander um wenige Zentimeter in verschiedenen Richtungen bewegen. Diese „schwäbische Erdbebenlinie“ erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung entlang eines Bruchsystems, das vom westlichen Bodensee über Albstadt bis in den Raum Stuttgart reicht. Im Gegensatz zu den meisten anderen Beben in der Welt handelt es sich bei den in Süddeutschland vorkommenden Erschütterungen um Intraplattenbeben. Das sind – wie der Name schon sagt – Beben mitten in einer Kontinentalplatte und nicht an deren Rändern.
Wie schnell bewegen sich die Platten?
Die Spannungen zwischen den Gesteinskomplexen bauen sich nur sehr langsam auf. Unter der Westalb gleiten die beiden Blöcke nur mit einer Geschwindigkeit von 0,1 Millimetern pro Jahr aneinander vorbei. Ein Vergleich: In Japan schiebt sich der Pazifik mit 80 Millimetern pro Jahr unter Asien. Entsprechend lange dauert es, bis sich bei uns die für ein größeres Beben entsprechenden Spannungen aufgebaut haben. Allerdings lassen sich vor allem wegen der langsamen Bewegungen tief unten in der Erde kaum Prognosen für zukünftige Erschütterungen machen. Auch beim letzten großen Alb-Beben von 1978 wurden keinerlei Vorzeichen registriert, obwohl es inzwischen viele hochempfindliche Messstationen gibt.
Ist es wahrscheinlich, dass es bald wieder zu einem schweren Erdbeben kommt?
"Auf der Alb ist es immer möglich, dass es stärker wackelt – das muss man einfach so sagen", sagt Seismologe Martin Hensch unserer Redaktion. Er erklärt, wie Experten die Lage einschätzen und warum die Beben rund um Jungingen offenbar unabhängig von jenen in Hechingen auftreten.
Wie viele Erdbeben gab es in diesem Kalenderjahr schon Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und benachbarten Regionen?
Derzeit haben wir in 2022 in Baden-Württemberg schon die 300er Marke überschritten, vom Landeserdbebendienst erfasst wurden sogar 433 (Stand: 16. Oktober 2022).
Verschwörungstheoretiker sehen einen geheimen Sprengplatz als Ursache für die Gesteinsbewegungen. Stimmt das?
Nein, das ist totaler Quatsch. Martin Hensch, Seismologe beim Landeserdebendienst in Freiburg: „Wir können sehr deutlich eine Sprengung von einem Erdbeben unterscheiden.“ Gerade auf der Alb seien so viele Geräte zur Tiefenvermessung installiert, dass die Geologen bis tief ins Erdreich erkennen können, was vor sich geht. Im Übrigen könne eine Sprengung gar nicht so geheim sein, dass die Erdforscher sie nicht mitbekämen.
Wann gab es zuletzt Erdbeben im Landkreis Freudenstadt?
Am 5. März 2022 wurde in Alpirsbach ein Erdbeben mit einer Stärke von 1,5 gemessen. Im Landkreis Freudenstadt sind sie ansonsten trotz des Freudenstädter Grabens relativ selten, kommen nur ein paar Mal pro Jahr vor. Richtig geballt kamen sie allerdings am 9. und 11. Juli 2019. Damals verzeichnete der Landeserdbebendienst acht Beben nordöstlich von Freudenstadt unter Obermusbach mit einer Stärke zwischen 0,5 und 1,4. Für Stefan Stange, Leiter des Landeserdbebendienstes: „Es ist ein wenig überraschend, dass es gerade an dieser Stelle bebe, normalerweise liegen die Zentren der Erdbeben westlich von Freudenstadt.“
Wann gab es zuletzt Erdbeben im Landkreis Lörrach?
Das ist noch gar nicht so lange her: Am 20. August 2022 lag das Epizentrum in Malsburg-Marzell (1,4). Davor bebte die Erde am 20. Juni 2022 in Neuenweg (1,1). Weil am Rhein war am 12. Mai 2022 betroffen (0,6), Schopfheim am 11. Mai 2022 (1,3) und am 3. Mai 2022 (0,6), zudem das Kleine Wiesental am 2. Mai 2022 (0,8).
Wann gab es zuletzt Erdbeben im Landkreis Ortenau?
1,7 auf der Richterskala wurde am 20. September 2022 in Ringsheim angezeigt. Davor waren Lahr (14. August, 1,6), Offenburg (22. Juni, 0,7), Oberharmersbach (7. Juni, 0,8) und Rust (18. Mai, 0,4) betroffen.
Wann gab es zuletzt Erdbeben im Landkreis Schwarzwald-Baar?
In Furtwangen stand am 10. Juni 2022 eine 1,2 auf der Richterskala. Gütenbach war am 21. Februar 2022 betroffen (0,7), Blumberg am 17. Februar 2022 (0,9).
Erdbeben in Rottweil sind sehr selten
Wann gab es zuletzt Erdbeben im Landkreis Calw?
Zum zweiten Mal in diesem Kalenderjahr bebte es in Calw am 27. August 2022 (Wildberg, 0,5). Ebenso am 19. April 2022 (1,2). Davor war es lange Zeit ruhig. Nagold war am 10. Juli 2020 (1,9) und 15. Juni 2020 (0,5) betroffen. Wildbad im Schwarzwald verzeichnete am 18. September 2019 ein Beben (0,9).
Wann gab es zuletzt Erdbeben im Landkreis Rottweil?
Erdbeben in Rottweil? Da muss man schon länger zurückschauen. Zuletzt war dies am 29. September 2021 (1,1) und 9. November 2020 (1,7 und 1,4), jeweils in Schenkenzell der Fall. Es waren die einzigen drei Fälle seit 2019. Betroffen war die kleinste selbstständige Gemeinde im Landkreis Rottweil.
Was ist eigentlich eine Richter-Skala?
Die Richter-Skala gibt an, wie heftig die Anzeige auf einem Seismographen, einem Aufzeichnungsgerät, bei einem Erdbeben ausschlägt. Dieser Ausschlag nennt sich Magnitude. Sie reicht von weniger als 2 bis zu mehr als 10 – ein Wert, der in der Realität noch nie registriert wurde.