Auf diesem Schlauchboot im Mittelmeer retteten Friedhold Ulonska und seine Mannschaft 204 Menschen. Foto: Schneider

Der Seenotretter Friedhold Ulonska kritisiert die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union scharf. Das Bündnis Ankerstadt Horb diskutierte mit ihm, wie man mit dem massenhaften Sterben im Mittelmeer umgehen solle. Seine Antwort: Es braucht Solidarität.

„Wie viele Menschen sind auf diesem Boot?“, fragt Friedhold Ulonska. An der Nordsee geboren, verschlug es ihn als Student nach Tübingen. Jetzt ist er regelmäßig mit Hilfsorganisationen im Mittelmeer unterwegs, um Menschen aus Seenot zu retten.

„Es waren 204 Personen“, erklärt Ulonska den Anwesenden im Evangelischen Gemeindehaus. In einem Fischerkahn hätte seine Mannschaft sogar 310 Menschen gefunden.

Nur wenige fliehen nach Europa

Seit 2016 ist der Wahlrottenburger als Offizier oder Kapitän für unterschiedliche Organisationen wie Sea Eye oder Sea Watch tätig. Am kommenden Freitag geht es mit Resqship erneut Richtung Mittelmeer.

„Über 30 Millionen sind auf der Flucht, aber nur zwei Prozent wollen nach Europa“, räumt er mit der Behauptung auf, man müsse „ganz Afrika“ aufnehmen. Denn 98 Prozent der Menschen blieben als Binnenflüchtlinge auf dem Kontinent.

2800 Tote in neun Monaten

Laut italienischem Innenministerium hätten in diesem Jahr 133 617 Menschen das Meer überquert, mindestens 2800 seien ertrunken. Um dieses Sterben zu verhindern, wird Ulonska bald wieder mit der 20 Meter langen „Nadir“ in See stechen, deren Zielgebiet zwischen Lampedusa, Libyen und Malta liegt.

Wenn man dort auf Flüchtlingsboote stoße, verteile die Crew Rettungswesten, versorge medizinische Notfälle und nehme die Menschen an Bord. Darunter seien etwa eine im neunten Monat Schwangere gewesen oder eine Mutter samt Kinder, die ihre Mädchen vor der Zwangsbeschneidung schützen wollte.

Zwangsarbeit in Libyen

Die meisten Menschen starteten von Libyen oder Tunesien aus. „In libyschen Lagern müssen die Flüchtlinge unentgeltliche Zwangsarbeit leisten, um sich den Platz auf einem Boot zu ,verdienen’“, erläutert er das ausbeuterische Prinzip der Schlepper-Banden.

Friedhold Ulonska plädiert für mehr Solidarität gegenüber Menschen in Seenot. Foto: Schneider

Menschen, die von der libyschen Küstenwache aufgegriffen wurden, würden eher ins Meer springen und ertrinken, als von den Behörden erneut dorthin zurückgebracht zu werden, erklärt der Kapitän.

Kein sicheres Herkunftsland

Zur Seenotrettung sei jeder verpflichtet, wenn ein seeuntüchtiges Boot in Sicht komme oder die Anzahl der Personen zu groß für das Gefährt seien. Die Geretteten müsste an einen „sicheren Ort“ gebracht werden, wo sie keiner menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt seien.

„Italienische Gerichte haben mit dieser Begründung die Rückführung nach Tunesien verboten“, sagt er. „Unsere Politiker wollen den Staat jedoch als ,sicheres Herkunftsland’ einstufen“, kritisiert er. Und das, obwohl im Koalitionsvertrag der Bundesregierung stehe, man wolle sicherstellen, dass Menschen nach ihrer Rettung an sichere Orte gebracht würden.

EU finanziert „Straftaten“

Stattdessen erhalte die libysche Küstenwache von der Europäischen Union jedoch einen dreistelligen Millionenbetrag, um Flüchtlinge wieder zurück nach Nordafrika zu schaffen. „Die EU leistet Beihilfe zu Straftaten“, zitiert Ulonska aus einem UNO-Bericht.

„Es geht nur um Abwehr und Zäune“, beschreibt er die Flüchtlingspolitik der EU. Niemand frage, was die Menschen bräuchten. Denn durch den Klimawandel hervorgerufene Dürren und Hungersnöte in der Subsahara könne man nicht mit noch schärferen Stacheldraht stoppen.

„Es braucht einen europäischen Verteilungsschlüssel“, fordert der Seenotretter. Wichtig sei Solidarität mit den Menschen und keine populistische Stimmungsmache gegen in Seenot geratene Flüchtlinge.