Friedhold Ulonska (rechts) spricht über seine Erlebnisse als Seenotretter. Foto: Rapthel-Kieser Foto: Schwarzwälder Bote

Seenothilfe: Kapitän Friedhold Ulonska berichtet an der Lindenhof-Erzählbar von Einsätzen im Mittelmeer

"Ich kann ja was tun, ich kann solche Schiffe fahren", das war die Reaktion des Wahl-Rottenburgers, ehemaligen Journalisten und Unternehmensberaters Friedhold Ulonska nach dem Drama von Lampedusa. Ulonska hat das Kapitänspatent und ist jetzt der Mann mit der Lizenz zum Retten.

Burladingen-Melchingen. In der Erzählbar des Theater Lindenhof in Melchingen berichtete er auf Einladung des Dramaturgen und Moderators Franz Xaver Ott am Sonntagmorgen vor rund 20 Zuhörern von seinen mittlerweile neun Einsätzen für private Seenotretter-Organisationen im Mittelmeer.

Ulonska, der alle nötigen Papiere und Berechtigungen für die Hochseeschifffahrt hat, fuhr seit 2016 schon auf der Sea-Watch, der Sea-Eye und der Lifeline. Auch vor kurzem war er wieder im Einsatz – auf demselben Schiff, das durch Carola Rakete Weltberühmtheit erlangte.

Aufgewachsen ist Ulonska in Hamburg, schon sein Vater hatte ein Boot, und ein Foto zeigt den Dreijährigen Friedhold auf einem Außenborder. Damals hätte sich wohl niemand in der Familie träumen lassen, dass Unlonska als Kapitän mit allen Patenten und Lizenzen einmal mitten hinein schippern würde in die schlagzeilenträchtigen Verwicklungen von Seenotrecht, der sich abschottenden EU-Grenzpolitik, dem Salvini-Gesetz und von investigativen Journalisten aufgedeckten Geheimabsprachen zwischen Malta und Libyen.

Von all dem berichtete der Seenotretter und nannte Zahlen und Fakten. Er berichtete vom Gestank auf den Flüchtlingsbooten, wo sich ein Gemisch aus Benzin, Urin und Salzwasser zu einer die Haut verbrennenden Brühe gemischt habe und von den ängstlichen Augen der Flüchtlinge. Er berichtete von den Erzählungen der Menschen, die da auf jeden Fall Europa erreichen wollten, dass viele von ihnen schon beim Durchqueren der Sahara hätten andere sterben sehen, dass die Lager in Libyen quasi rechtsfreie Räume sind, wo Erpressung, Vergewaltigung und Folter an der Tagesordnung seien. Und davon, dass, wenn die Menschen an Bord eines Schlauchbootes seien, sie oft stunden- oder tagelang Todesängste ausstehen, andere Boote kentern sehen und erleben müssten, wie Tote einfach ins Meer geworfen würden.

S eit 2017 gebe es eine klare Tendenz, die private Seenotrettung zu behindern, kritisierte Ulonska. Angefangen habe es mit administrativem "Krempel", den die Behörden plötzlich für nötig hielten, dann damit, dass die Niederländer den holländischen Rettungsschiffen die Flagge entzogen, dass Flugzeuge privater Organisationen, die die Seenotretter im Schiff unterstützen und Flüchtlingsboote orten sollen, nicht mehr in Malta landen dürften.

Europa verlagert Verantwortung auf private Helfer

Mittlerweile sei es so, dass Italien die Zuständigkeit für Flüchtlingsboote an Libyen abgetreten habe. Und da seien die gleichen Personen, die einst als Schleuser Geld verdienten, jetzt die Macher in der libyschen Seenotrettung. "Versuchen sie mal bei der lybischen Rettungszentrale jemanden zu erreichen. Da geistern bei uns auf der Brücke mittlerweile zehn Telefonnummern rum", kommentierte Ulonska verbittert.

Europa habe die Verantwortung von Frontex auf die privaten Hilfsorganisationen verlagert und er frage sich mit Blick auf den Staatenbund: "Wollen wir die Flüchtlinge nun retten, oder wollen wir sie uns auf Teufel komm raus vom Leib halten". Seit 2014, so wird geschätzt, sind im Mittelmeer etwa 17 500 Menschen ertrunken, allein die mittlerweile drei Schiffe der Sea-Watch waren seit 2015 an der Rettung von mehr als 37 000 Menschen beteiligt.

Nachdem Ulonska fast 90 Minuten lang sachlich Fragen beantwortete und mit Zahlen und Fakten aufwartete, brachte ihn die Nachfrage einer Reutlinger Ärztin dazu, die Reaktion der Geretteten mit bewegten Worten zu schildern. Die Medizinerin, die Mütter und Kinder nach ihrer Rettung betreut, hatte berichtet, wie ein neunjähriger kleiner Junge ihr unzählige Male davon erzählt hatte, wie er am Rettungsschiff die Leiter hochgeklettert sei. "Meistens sind es die Kinder, die als erste anfangen zu lachen", bestätigte Ulonska. Die Reaktionen der Menschen seien tatsächlich sehr unterschiedlich. "Manche fangen sofort an zu beten, andere brechen fast zusammen, wieder andere singen und tanzen."

Nicht nur Spenden, sondern auch Aufmerksamkeit herstellen sei das, was Privatpersonen zur Hilfe beitragen könnten. Dazu gehöre auch Unterstützung bei der Integration und die Bewegung "Sicherer Hafen", zu der sich Städte wie Hamburg, Berlin, aber auch Rottenburg, Reutlingen, Tübingen oder Konstanz zusammen geschlossen hätten und die aus dem Mittelmeer geretteten eine Unterkunft anbieten.