Auch am Samstag fuhr der TGV von Stuttgart nach Paris – ohne Verspätung. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Nach den Terroranschlägen in Paris ließen sich Zugreisende, die am Samstag mit dem Schnellzug von Stuttgart nach Paris fuhren, von den Bluttaten nicht abschrecken.

Stuttgart - Der TGV mit der Zugnummer 9574 steht abfahrbereit auf Gleis 11 im Stuttgarter Hauptbahnhof. In zehn Minuten, um 12.55 Uhr, soll er die Station in Richtung Paris Est verlassen. Noch etliche Fahrgäste eilen an dem silberblauen Schnellzug entlang. Aber soll man jetzt, nach den Terroranschlägen, in die französische Hauptstadt fahren, wenn man nicht muss? Das hat sich Thomas Simon natürlich auch gefragt. „Ich bin schon schockiert“, sagt der 61-Jährige über seine Reaktion auf die Bluttaten. Dennoch hat er entschieden, die Reise nicht abzublasen. „Das Leben muss weitergehen“, sagt der Münchner. „Das wollen die Terroristen doch gerade: dass wir Angst haben und nichts mehr machen.“ Und natürlich hat er mit seinen Freunden in der Seine-Metropole telefoniert, die im achten Arrondissement, im Arrondissement de l’Élysée, wohnen. Die haben ihm erklärt, dass in ihrer Gegend alles ruhig sei. Nur weiß Simon vor dem Start in Stuttgart noch nicht, wie es am Bahnhof Paris Est weitergeht. Der 61-Jährige fürchtet, dass weder Metro noch Busse fahren werden. Und aus seinem Besuch in der Pariser Oper, den er für Samstagabend geplant hat, dürfte wohl nichts werden. „Die Aufführung wird wahrscheinlich gar nicht stattfinden“, sagt er sich.

Dominique Fourier kommt mit seiner Frau auf den letzten Drücker zum TGV. Der Senior war mit seiner Gattin in Stuttgart, und jetzt wollen sie schnell zurück in ihre Heimatstadt. Als sie von den Terrorakten erfuhren, waren die beiden sehr schockiert, aber jetzt wirken sie doch erstaunlich gelassen. In dem Viertel, in dem sie leben, sei nichts passiert, sagen die beiden, sie haben mit Freunden telefoniert. Allerdings wurde eines der Attentate ganz in der Nähe des Wohnorts ihrer Tochter verübt. „Das sind nicht mehr als 200 Meter“, sagt Dominique Fourier, weshalb er natürlich froh ist, seine Tochter bald wieder zu sehen. Und auch wenn er sich keine innere Unruhe anmerken lässt, ist ihm doch klar, dass die Taten sich auf sein Leben auswirken werden. Die geplante Reise nach Jordanien, wo die beiden sich die Wüstenstadt Petra anschauen wollten, wird das Paar nicht unternehmen. „Das wäre zu gefährlich“, sagt Fourier. „Da bleiben wir doch lieber in Paris.“

Der TGV Stuttgart-Paris fährt wie immer

Es ist 12.56 Uhr, als der TGV Fahrt aufnimmt. Francois Picaud steht mit seinen beiden Söhnen und dem Schwiegervater am Bahnsteig und winkt seiner Frau zum Abschied. „Sie muss beruflich nach Paris“, sagt der Franzose, der ursprünglich aus der Normandie stammt. „Das Leben muss weitergehen, sonst haben die Terroristen gewonnen“, sagt auch Picaud, der mit seiner Familie in München lebt und dieses Wochenende mit seiner Frau bei den Schwiegereltern in Stuttgart zu Besuch ist. Der 43-Jährige war schon erstaunt, dass der TGV überhaupt wie immer fährt. Und seine Mutter hat ihm am Telefon gesagt, dass viel Polizei und Militär für Sicherheit sorge. Ein Funken Unsicherheit aber verspürt Picaud schon. „Hoffen wir mal, dass meiner Frau in Paris nichts passiert.“

Gut eine Stunde später am Flughafen Stuttgart. An den drei Check-in-Schaltern von Air France ist nicht viel los, die Passagiere für den Flug 1509, der um 15 Uhr nach Paris fliegen soll, werden zügig bedient. Es geht nicht anders zu als sonst auch. Jürgen Liebhart will ohnehin nicht in die Pariser Innenstadt. Der Steuerberater aus Stuttgart fliegt von dort weiter nach Hongkong, wo er beruflich zutun hat. Natürlich hat sich der 57-Jährige über die Lage in der französischen Hauptstadt informiert, aber das ficht ihn nicht an. „Davon lass ich mich nicht aus der Ruhe bringen“, sagt Liebhart. Und er ist zufrieden damit, wie Air France mit der schwierigen Situation umgeht. „Die Fluggesellschaft gibt einem Statusinformationen, zum Beispiel über die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen“, erzählt der 57-Jährige. „Sie machen verschärfte Pass- und Sicherheitskontrollen – und viel mehr kann man ja auch nicht tun.“

Die meisten Fluggäste steigen in Paris nur um

Auch Natalie Diemer ist nicht beunruhigt. Die 41-Jährige nutzt den Pariser Flughafen ebenfalls nur als Drehkreuz, sie will weiter nach Johannesburg, sie lebt seit vielen Jahren im Kapstadt. „Südafrika ist viel gefährlicher als Paris“, sagt die Meeresbiologin, die ihre Familie hier besucht hat. Ihre Pläne hat sie wegen der Anschläge aber dennoch geändert. Eigentlich wollte Natalie Diemer noch ein bisschen was anschauen in Paris, sie hat dort bis zu ihrem Weiterflug eigentlich sieben Stunden Zeit. Das wird sie jetzt aber doch nicht machen, nicht weil sie Angst hätte. „Aber es ist ja alles zu – die Metro, der Eiffelturm“, sagt die 41-Jährige. Überdies verschieben sich auch An- und Abflugzeiten der Maschinen. „Wir starten hier 40 Minuten später als geplant, weil der Flieger aus Paris später eintrifft.“

So kommt es dann auch. Wie die meisten Passagiere, die am Terminal eins aus der Gepäckausgabe kommen, war Alexandre Sikler nicht auf Urlaub an der Seine, der Brasilianer kommt aus seiner Heimat via Paris. Einen Tag hat er aber doch dort verbracht, der 42-Jährige, der in der Region bei Stihl arbeitet, hat einen Freund in Paris besucht. Aber weil man sich in der kurzen Zeit viel zu erzählen hatte, bekamen sie am Freitagabend gar nichts mehr mit von den Terroranschlägen, erst am Samstagmorgen gegen acht Uhr. Die Neuigkeit verunsicherte Alexandre Sikler dann aber doch schon ziemlich. Jedenfalls ließ Alexandre Sikler sich dann von seinem Kollegen zum Flughafen fahren. „Sonst hätte ich ein Taxi genommen“, sagt der 42-Jährige.