Ein Stuttgarter Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Der Ärztemangel in Baden-Württemberg wird immer schlimmer. Insbesondere die hausärztliche Versorgung sei akut gefährdet, warnen die Ärzteverbände.

In Baden-Württemberg verschärft sich der Ärztemangel: Aktuell sind 1100 Arztpraxen nicht besetzt, darunter sind 927 in der hausärztlichen Versorgung. Das entspricht 22,5 Prozent aller Hausarztpraxen im Südwesten. „Die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung ist gefährdet wie noch nie“, sagt Doris Reinhardt, die stellvertretende Chefin der Kassenärztlichen Vereinigung von Baden-Württemberg (KVBW).

Reinhardt weist auch darauf hin, dass es immer schwerer werde, junge Mediziner für die Niederlassung in einer Praxis zu gewinnen – zugleich kämen die bestehenden Praxen ans Limit. Wenn es nicht gelingt, diesen Trend zu brechen, wird sich gerade die hausärztliche Versorgung der Kranken weiter verschlechtern. Denn im Südwesten sind 38 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre. Im Kreis Waldshut gilt dies sogar für 51 Prozent der Allgemeinmediziner (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald: 29 Prozent, Kreis Emmendingen: 27 Prozent, Freiburg: 35 Prozent, Kreis Lörrach: 41 Prozent, Ortenaukreis: 37 Prozent).

Protestkampagne der niedergelassenen Ärzte

Nach den Worten von KVBW-Vorstandschef Karsten Braun gibt es zunehmend auch beim nicht-ärztlichen Praxispersonal Engpässe: „Das gefährdet den Praxisbetrieb und damit die Versorgung der Patientinnen und Patienten.“ Bundesweit haben niedergelassene Ärzte unter dem Motto: „Praxen-Kollaps – Praxis weg/Gesundheit weg“ eine Protestkampagne gestartet. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unternehme nichts, um den Kollaps zu verhindern. Der SPD-Politiker sei auf dem ambulanten Auge blind. Im Rahmen der Kampagne fordern Ärzte unter anderem eine tragfähige Finanzierung, weniger Bürokratie und eine Digitalisierung, die funktioniere und den Praxen nicht mehr Aufwand verschaffe.

Unter den heutigen Bedingungen seien immer weniger Menschen bereit, in einer Praxis zu arbeiten, so Andreas Gassen, der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „Wenn sich nicht bald etwas ändert, geht in den Praxen das Licht aus.“ Die KBV hält es für ein Unding, dass Ärzte Bußgelder zahlen müssen, wenn sie bestimmte digitale Prozesse nicht anwendeten. Denn diese funktionierten häufig nicht oder brächten weder Ärzten noch Patienten einen spürbaren Nutzen.

580 Millionen Behandlungsfälle pro Jahr

In ihrem Koalitionsvertrag vom Herbst 2021 hat die Ampel-Koalition angekündigt, dass künftig alle Hausärzte in Deutschland alle Leistungen bezahlt bekommen, die sie erbringen – so wie dies im Südwesten schon weitgehend der Fall ist. „Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf“, heißt es im Vertrag. Dies ist bislang weder umgesetzt noch liegen konkrete Vorschläge vor, wie die so genannte Entbudgetierung aussehen soll. Eine Entbudgetierung hat Lauterbach aber bundesweit im Versorgungsbereich der Kinder- und Jugendmedizin sowie bei bestimmten Leistungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgenommen.

Nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Vereinigung ist der ambulante Sektor ein zentraler Teil des Gesundheitswesens. Jährlich gebe es bundesweit in den Praxen knapp 580 Millionen Behandlungsfälle. Darunter seien 57 Millionen Gesundheits- und Früherkennungsuntersuchungen sowie knapp sechs Millionen ambulante Operationen.