Bald startet der Zensus. Foto: Burgi

Der Zensus naht. Wie viele Einwohner hat Baden-Württemberg tatsächlich? Die Ergebnisse werden auch zeigen: Hinken die ländlichen Regionen den Städten hinterher?

Bereits jetzt ist klar: Der Zustrom in die Städte nimmt ab. Das zeigen schon Zahlen aus dem Jahr 2020: Sieben der neun Großstädte im Südwesten haben laut Statistischem Landesamt Einwohner verloren. Kaum noch freie Wohnungen oder gar Einfamilienhäuser, teure Mieten: Das schreckt potenzielle Städter offenbar ab.

Ab aufs Land, ist das die Lösung? Zum ländlichen Raum zählen fast 69 Prozent der Fläche Baden-Württembergs, unter anderem große Teile des Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb. Allerdings wohnen dort nur knapp 35 Prozent der Menschen. Der Zensus, der Mitte Mai anläuft, wird klären, ob der ländliche Raum dazugewinnt oder verliert.

Die Kreise vertrauen auf ihre Zahlen

Experten aus den Landkreisen rechnen nicht damit, abgehängt zu werden. "In den vergangenen Jahren ist die Einwohnerzahl konstant angewachsen", sagt etwa Janina Dinkelaker, Pressesprecherin des Landkreises Calw. "Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass dieser Trend auch in der Volkszählung fortbesteht."

Die Kreise vertrauen auf ihre Zahlen. Im Zollernalbkreis klingt das so: "Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der in den Einwohnermeldeämtern gemeldeten Einwohnerinnen und Einwohner sehr nahe an der Realität liegt", berichtet Anja Heinz vom Landratsamt. "Zwischen 2011 und 2022 erwarten wir keine Veränderungen in dem Ausmaß, wie es sie beim vergangenen Zensus gegeben hat", sagt auch Andreas Junt vom Landkreis Freudenstadt mit Blick auf die Volkszählung aus dem Jahr 1987. Der Abstand zwischen den beiden Erhebungen liegt diesmal bei elf Jahren, zuvor waren es 24.

Es gibt auch Zweifel an den Zahlen

An der Belastbarkeit der Zahlen gibt es dennoch Zweifel. Christopher Heck vom Gemeindetag Baden-Württemberg weist auf eine mögliche Verzerrung hin. Der Grund: ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine. Der Stichtag 15. Mai sei aufgrund der "komplett unklaren Zugangslage der flüchtenden Menschen mit großen Unsicherheiten verbunden", sagt Heck unserer Redaktion. "Wenn an diesem Tag in einer Stadt aufgrund organisatorischer Zufälle Tausende Menschen gezählt werden, diese eine Woche später dann aber woanders sind, dann gilt für den Zensus trotzdem der Stichtag." Und weiter: "Da kann es zu erheblichen Verschiebungen kommen."

Möglich, dass nach Ergebnisbekanntgabe erneut einzelne Städte und Gemeinden die Zahlen anfechten. Denn in Sachen Einwohnerzahl geht es auch ums liebe Geld. "Im Rahmen der Haushaltebefragung ist das wichtigste Ergebnis die amtliche Einwohnerzahl", berichtet Ingrid Noé, Leiterin der Zensuserhebungsstelle im Landratsamt Ortenaukreis, unserer Redaktion. "Diese ist so bedeutend, weil daran die Finanzzuweisungen hängen, sowohl auf kommunaler Ebene als auch auf Länderebene."

Das Land könnte Zahlungen erhöhen oder kürzen

Das betont auch Heck vom Gemeindetag. Ob es künftig einen Vorteil für Städte oder ländliche Regionen geben könnte und wie groß dieser ausfallen würde, könne jedoch "noch niemand verlässlich sagen".

Das Land könnte Zahlungen erhöhen oder kürzen, je nachdem, wie viele Einwohner gezählt werden. Inwieweit es die Zensusergebnisse sofort oder in Teilschritten umsetze, bleibe abzuwarten, heißt es in einer Mitteilung aus dem Rottweiler Landratsamt. "Insofern können wir im Vorfeld noch keine weitergehende Planungen anstellen. Dies wäre zu spekulativ."

Zuspruch erhält das Projekt im Raum Lörrach

Allein um Bevölkerungszahlen wird sich der Zensus indes nicht drehen. Die Landkreise rechnen auch mit verlässlichen Daten zur Struktur, wie Torben Pahl vom Landkreis Lörrach unserer Redaktion sagt: "Durch die Ergebnisse des Zensus können wir deutlich mehr über die gesellschaftliche Vielfalt" erfahren. Dabei gehe es um soziodemografische Daten und deren Verteilung in unserem Landkreis, in Ballungsgebieten sowie im ländlichen Raum. In einem Landkreis "unserer Größe und Diversität" sei es "wichtig, die politischen Entscheidungen auf eine fundierte Basis zu stellen".

Von den Bürgern im Kreis Lörrach habe das Projekt bislang vor allem Zuspruch erhalten, betont Pahl. Kritik ist auch im Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis noch nicht zu hören, wie es aus Villingen-Schwenningen heißt: "Wie die Bürger den Zensus dieses Jahr annehmen werden, zeigt sich erst während des Befragungszeitraums." Der Gemeindetag erhebt dagegen bereits seine Stimme, Heck spricht von einem immensen bürokratischen Aufwand. "Nach mehr als zwei Jahren Pandemie und der jetzigen Ausnahmesituation aufgrund des Krieges in der Ukraine sind die Kommunalverwaltungen mit Krisenmanagement voll ausgelastet. Der Zensus kommt daher zur Unzeit."

Wichtiges zum Zensus

Der Zensus findet EU-weit alle zehn Jahre statt. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der aktuelle Zensus von 2021 auf 2022 verschoben. Erhoben wird, wie viele Menschen zum Stichtag 15. Mai in Deutschland leben, wie sie wohnen, wie sie arbeiten. Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder arbeiten zusammen, in den Kommunen wurden Erhebungsstellen eingerichtet.