Naturschützer jubeln, Schäfer und Viehzüchter jammern, Jäger warnen, Wanderer sorgen sich: Der Wolf kehrt nach Deutschland zurück und fühlt sich hier pudelwohl. Politiker plädieren für ein härteres Vorgehen gegen den Rudelräuber. Werden Wölfe in Deutschland bald schon wieder gejagt?
Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des bösen Wolfes. Müssen sich nun alle Mächte des Landes zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbünden, um es zur Strecke zu bringen und den Deutschen ihren Frieden wiederzugeben?
Kehrt die Angst vor dem bösen Wolf zurück?
Viehzüchter geraten in Panik, Jäger sorgen sich um ihr Wild, das mit der neuerwachten Angst vor dem vierbeinigen Jäger plötzlich sein Verhalten ändert. Fohlen werden nachts von der Koppel geholt, Schafherden müssen geschützt werden. Kann man noch sorglos auf Waldwegen joggen und über Wiesen schlendern, ohne gleich Angst haben zu müssen, dass ein Wolfsrudel hinterm nächsten Baum oder Gebüsch lauert?
„Wolf soll eine Ziege gerissen haben“. – „Lausitzer fordern Obergrenze für Wölfe.“ – „Aggressive Wölfe im Hohwald?“ – „Wölfe reißen acht Schafe.“ – „Ziege gerissen – ist der Wolf im Landkreis angekommen?“ „Wölfe töteten in Deutschland mehr als 3500 Nutztiere.“
Meldungen aus Tageszeitungen der vergangenen Zeit. Was Tier- und Naturschützer jubeln lässt, versetzt Eltern, Spaziergänger und Schäfer in Angst und Schrecken. Der Wolf, das zähnefletschende Raubtier aus Märchen und Kinofilmen ist zurück.
Ein Überblick über die unterschiedlichen Positionen
Regierung: Abschuss erleichtern
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will den Abschuss von Wölfen in bestimmten Fällen erleichtern. „Mein Ziel ist klar: Abschüsse von Wölfen nach Rissen müssen schneller und unbürokratischer möglich sein“, sagt Lemke.
„Wenn Dutzende Schafe gerissen werden und verendet auf der Weide liegen, dann ist das eine Tragödie für jeden Weidetierhalter und eine ganz große Belastung für die Betroffenen“, fügt sie im Interview mit der Zeitung „Die Welt“ hinzu.
Die betroffenen Weidetierhalter bräuchten daher „mehr Unterstützung und Sicherheit“, sagte die Umweltministerin. Ende September will sie konkrete Vorschläge vorlegen.
FDP: Wolfspopulation dezimieren
Die FDP macht ihrerseits eigene Vorschläge zum Umgang mit Wölfen in Deutschland. Die „Welt“ zitiert aus einem Positionspapier der agrar- und forstpolitischen Sprecher der FDP in Bund und Ländern, in dem diese „einen zeitgemäßen Umgang mit dem Wolf“ forderten.
Es müssten die „Spielräume der europäischen Gesetzgebung“ genutzt werden, „um den Wolfsbestand in Deutschland auf ein ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliches Maß zu reduzieren“.
Das Bundesnaturschutzgesetz, so heißt es in einem Zehnpunkte-Katalog der Liberalen, müsse künftig so ausgestaltet werden, „dass Genehmigungen zur Entnahme schnellstmöglich rechtssicher erteilt werden“ könnten.
SPD/CSU: Nicht ausrotten, aber Zahl reduzieren
Auch Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil spricht sich für die Ermöglichung schneller Intervention bei „deutlichen Nutzungskonflikten“ aus. „Unser Ziel ist es, in Brüssel darauf hinzuweisen, dass die europäischen Regeln nicht so starr sein dürfen, dass sie die dringend notwendigen regionalen Lösungen blockieren“, betonte der SPD-Politiker.
„Niemand von uns hat den Wunsch, den Wolf auszurotten“, erklärte Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU). Aber die tägliche Bilanz falle „wirklich mittlerweile dramatisch aus“.
In Deutschland sind die Bundesländer für das Wolfsmanagement verantwortlich, doch der Wolf ist durch internationale und nationale Gesetze streng geschützt und hat den höchstmöglichen Schutzstatus.
Bauernverband: zügiger Abschuss
Der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte schon im April bei einem „Wolfsgipfel“ die Politik zum Handeln aufgefordert. Der Verband verlangt den zügigen und unbürokratischen Abschuss von Problemwölfen und Problemrudeln – nach geltendem Naturschutzrecht.
Wölfe reißen immer wieder landwirtschaftliche Nutztiere, die auf Weiden gehalten werden. Vor allem auf für Bayern typischen Weiden am Hang, die nicht eingezäunt werden können, ist das Risiko den Angaben nach hoch. Für das Jahr 2021 beziffert der Verband die Zahl der gerissenen, verletzten oder vermissten Tiere auf fast 3400. Neuere Zahlen nennt er nicht.
In einem Forderungspapier kritisiert der Umweltbeauftragte des Verbandes, Eberhard Hartelt, die Politik: „Verharmlosung, Realitätsverweigerung, romantische Verklärung und organisierte Schönfärberei haben den Konflikt mit der Weidetierhaltung eskalieren lassen.“
Das Ergebnis sei ein ungebremst wachsender Wolfsbestand, der inzwischen deutlich über dem günstigen Erhaltungszustand liege und in Deutschland im internationalen Vergleich herausragend hoch sei.
Wolfsfreie Gebiete, in denen die Ansiedlung des Wolfes verhindert wird, und volle Transparenz über den Wolfsbestand in Deutschland sind weitere Forderungen des Verbands.
Tierschutzbund: Abschuss ist rechtswidrig
er Deutsche Tierschutzbund kritisiert hingegen den Abschuss von „Problemwölfen“ als „weder rechtskonform, noch praxistauglich, also nur Wahlkampf-Rhetorik und heiße Luft“. Mehr Abschüsse von Wölfen könnten sogar zu mehr Problemen führen, weil Rudelstrukturen zerstört würden.
In Frankreich etwa gebe es weniger Wölfe, mehr Abschüsse und dennoch deutlich höhere Risszahlen als in Deutschland. „Die einzige tierschutzgerechte und nachhaltige Methode, um Weidetiere vor Wölfen zu schützen, sind hinreichende Herdenschutzmaßnahmen wie Elektrozäune, Herdenschutzhunde oder Nachtpferche“, erklären die Tierschützer.
Ausgestorben und wieder zurückgekehrt
Angriffe von Wölfen auf Menschen sind extrem selten und stehen fast immer im Zusammenhang mit Tollwut, die in Deutschland seit Jahren als ausgerottet gilt. Fast 100 Jahre lang hatte man hierzulande Ruhe vor dem Rudelräuber. Am 27. Februar 1904 war das letzte frei lebende Exemplar in der Lausitz zur Strecke gebracht worden.
Bis Ende der 1990er Jahre niemand mehr. Dann tauchte er dort wieder auf, wo der Letzte seiner Art den Tod fand – in der Lausitz. Im Jahr 2000 siedelte sich nach 150 Jahren das erste Rudel wieder in der sächsischen Region an. Seitdem nimmt der Bestand zu.
Nach Angaben des Wolfmonitorings des Nabu gab es in Deutschland zum Ende des vergangenen Jahres 161 Wolfsrudel mit im Schnitt acht Tieren, 43 Paare und 21 sesshafte Einzeltiere, die sich in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Niedersachsen konzentrieren.
Willkommenskultur für Wölfe oder romantische Verklärung?
Ein Rudel besteht aus zwei erwachsenen Wölfen und zwei bis zehn Jungwölfen. „Aus Naturschutzsicht ist es einer der größten Erfolge: In Deutschland leben wieder freilebende Wölfe.“
Wölfe seien sehr vorsichtig und würden Menschen meiden, heißt es beim Nabu. Die Naturschützer betreiben das bundesweite Projekt „Willkommen Wolf“, mit dem „Vorurteile, Sorgen und Ängste in der Bevölkerung“ abgebaut werden sollen.
Eine romantische Verklärung? Berichte von Wanderern, Spaziergänger und Passanten zeichnen ein anderes Bild. Da streift ein Wolf seelenruhig durch ein Wohngebiet. Eine Hundebesitzerin wird beim Gassi gehen von einem Rudel Wölfe „begleitet“. Ein Wolf treibt ein Schafherde vor sich her und reißt mehrere Tiere. Die Liste ließe sich fortführen.
Der Wolf, das scheue Tier, das nur in Frieden fern menschlicher Behausungen überleben will? Oder: Die Oma-, Rotkäppchen und sonstige Lebewesen verschlingende Bestie, die, wenn sie Blut gerochen hat, nichts und niemand aufhält? Was ist denn nun wahr?
Wölfe verhalten sich anders als der Mensch es erwartet
Fakt ist: Wölfe verhalten sich in Freiheit nicht so, wie es Menschen gerne hätten. Sie sind weder ungefährlich noch scheu. Seit das schlaue Tier gemerkt hat, dass ihm in Deutschland (wo es unter strengstem Artenschutz steht) niemand ans Fell will, verliert es seine Scheu und kommt den Menschen immer näher.
Angesichts der reichlich vorhandenen Rehe, Schafe, Wildschweine und dem Rotwild lebt er sich für den Beutegreifer wie im Schlaraffenland. Er muss nur die Schnauze ausstrecken und schon ist seine Tafel mit den köstlichsten Leckereien gedeckt.
Wirklich dumm, dass sich Wildtiere in freier Wildbahn nicht so verhalten wie im Zoo. Sollte es irgendwann zum ersten ernsten Aufeinandertreffen von Mensch und Wolf in Deutschland kommen und jemand verletzt werden oder ihm noch Schlimmeres widerfahren, dann ist es vorbei mit der Wolfsromantik und dem friedlichen Miteinander von Isegrim und Homo sapiens.
Der Wolf ist ein Jäger – und wird es immer bleiben
„ Canis lupus“ dafür Vorwürfe zu machen, wäre allerdings hirnrissig. Der Wolf ist ein Jäger und er verhält sich so. Es liegt in seiner Natur, so wie die Angst vor dem bösen Wolf in der des Menschen liegt. Bisher hat der Wolf im Kampf ums Überleben aber immer noch den Kürzeren gezogen.
Klar ist auch: Die Rückkehr des Wolfes hat gerade erst begonnen. Er macht sich überall breit, wo er genug Nahrung findet und auf wenig Widerstand trifft. Also potenziell überall in Deutschland. Die Population ist inzwischen so quicklebendig und vital, dass sie sich in den nächsten Jahren stark vermehren dürfte.
Wird der Wolf seinen Platz in Deutschland finden?
Die Sehnsucht nach Wildnis und Ur-Natur in allen Ehren. Aber wir leben nun mal in einem dicht besiedelten Land, so dass es zwangsläufig zu Konflikten zwischen Ortsansässigen (den Menschen) und Zuwanderern (den Wölfen) kommt. Die Tiere erst anzusiedeln und dann zu überlegen, wie man sie vor dem Menschen und den Menschen vor ihnen schützen kann, entbehrt jeder Logik.