Die einzige weibliche Angeklagte wird freigesprochen. Foto: Graner Photodesign

Nur einer von neun Angeklagten muss ins Gefängnis. Bei Ermittlungen lief einiges schief.

Kreis Rottweil - Beim Prozessauftakt im November war die Rede noch von einer europaweit agierenden Drogenbande, von 120 Kilogramm Kokain und Waffen. In der Hauptverhandlung lösten sich die meisten Anklagepunkte nach und nach in Luft auf. Der Kronzeuge erwies sich als unglaubwürdig. Dementsprechend mild fiel das Urteil für die Angeklagten aus.

Nur einer von neun Angeklagten im Mammut-Prozess um mutmaßlichen bandenmäßigen Drogenhandel muss nach der Urteilsverkündung am Dienstag tatsächlich ins Gefängnis. Er erhält eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten für den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Nachgewiesen ist zum Beispiel ein Verkauf von 250 Gramm Kokain an einen verdeckten Ermittler.

Strafen zur Bewährung ausgesetzt

Zwei weitere Beschuldigte haben ihre Strafen bereits in Untersuchungshaft abgesessen; vier Angeklagte bekommen ihre Strafen – zweimal zwei Jahre sowie ein Jahr und neun Monate und ein Jahr – zur Bewährung ausgesetzt.

Der Angeklagte aus Tuttlingen, der am Anfang noch als einer der Haupttäter galt, und die einzige Frau auf der Anklagebank werden freigesprochen. Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer nennt sie Opfer. Opfer eines Prozesses, in dem zu viele Fehler passiert sind.

"Dass das nicht früher erkannt wurde, bedauern wir sehr", betont Münzer. "Die Ermittlungsbehörden sind auf den Kronzeugen reingefallen", sagt er weiter. Denn der Großteil der Anklageschrift hat sich von Anfang an auf die Aussagen dieses Zeugen gestützt. Seine Identität aber, sein Motiv und die Plausibilität seiner Aussagen hätten die Ermittler kaum hinterfragt oder überprüft.

Bei Ermittlungen lief einiges schief

So ist ein seit 2013 international gesuchter Verbrecher zu einer Vertrauensperson der Polizei geworden. Um seinen eigenen Handel mit Betäubungsmitteln zu verschleiern, gab der Kronzeuge vor, einer großen Bande das Handwerk legen zu wollen.

Dass bei den Ermittlungsarbeiten einiges schiefgelaufen war, offenbarte sich bereits an mehreren Prozesstagen. Die Angaben des Zeugen waren äußerst widersprüchlich – und für das Gericht kaum brauchbar. Dafür, dass es ein weltweit vernetztes Drogenkartell mit Hauptsitz in Rotterdam geben soll, das regelmäßig Kokain in großen Mengen nach Deutschland lieferte, konnte die Kammer keine Beweise finden.

Vielmehr waren die Angeklagten – die meisten kommen aus dem gleichen Dorf in Mazedonien und kennen sich noch aus der Kindheit – miteinander befreundet und konsumierten selbst regelmäßig Drogen. Mit Kokain handelten sie zum Teil untereinander. "Die Bandenstruktur sieht gänzlich anders aus", sagt Münzer.

Die Fehler der Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaft haben letztendlich zu "Strafrabatten" für die Angeklagten geführt. Sie haben auch finanzielle Auswirkungen. Nicht nur die beiden Freigesprochenen werden für die Untersuchungshaft und für die Durchsuchungen ihrer Wohnungen entschädigt. Die Staatskasse trägt auch zwei Drittel der entstandenen Auslagen bei den schuldig gesprochenen Angeklagten.

Es sei ein Novum für die Kammer, so Münzer. "Damit werden wir der Besonderheit des Verfahrens gerecht." Denn: Wären die Fehler nicht passiert, wäre der Prozess von Anfang an schlanker gewesen, man hätte weniger Verhandlungstage, Dolmetscher und Übersetzer benötigt.