Ingo Lenßen vertritt einen der neun Angeklagten im bisher größten Betäubungsmittel-Prozess am Landgericht Rottweil. Foto: Ralf Graner Photodesign

Akteure eines europaweiten Drogenschmuggler-Netzwerks vor Gericht. Kronzeuge soll frühere Partner zu Fall bringen.

Rottweil - Nacheinander werden die Angeklagten unter den Augen zahlreicher Zuhörer und Blitzlichtgewitter in den Gerichtssaal geführt. Damit sie sich nicht im Vorfeld absprechen können, kommen sie aus verschiedenen Justizvollzugsanstalten, werden einzeln mit Blaulicht und Sirene zum Gericht gefahren und vorgeführt. Eine Glasscheibe trennt sie von ihren Angehörigen und dem gespannten Publikum. An ihren Tischen warten schon jeweils ein bis drei Verteidiger auf sie. Laut Anklageschrift schmuggelten sie Kokain, Heroin und Ecstasy nach Deutschland und waren offenbar Teil eines europaweit agierenden Drogen-Netzwerks.

Am Dienstag beginnt am Landgericht Rottweil die Verhandlung gegen zwei deutsche und sieben nordmazedonische Angeklagte wegen gewerbs- und bandenmäßigen, teilweise bewaffneten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Es ist in vielerlei Hinsicht ein Prozess, den es laut Thomas Geiger, Pressesprecher des Landgerichts Rottweil, dort so noch nie gegeben hat. Und das nicht nur wegen der Anwesenheit von "Fernsehanwalt" Ingo Lenßen, der einen Angeklagten aus Tuttlingen verteidigt.

Sicherheit spielt eine große Rolle

Beim Betreten des Gerichtssaals wird sofort deutlich: Hier ist nichts dem Zufall überlassen. Weil es um organisierte Kriminalität geht, sind im Vorfeld umfangreiche Umbaumaßnahmen vorgenommen worden. Sitzreihen wurden entfernt, um Platz für die Angeklagten zu schaffen, das zentrale Treppenhaus wird lediglich für Verfahrensbeteiligte und Akkreditierte freigehalten, die Zuschauer werden gründlich durchsucht und vom Geschehen getrennt. Einzelne Container sind im mit Zaun und Tor abgeriegelten Innenhof des Gerichts installiert worden, um die neun Angeklagten in Verhandlungspausen getrennt unterbringen zu können.

Sicherheit spielt eine große Rolle, erklärt Geiger. Weshalb man sich im Vorfeld mit dem Landeskriminalamt und der Polizei kurzgeschlossen hatte. Schließlich handelt es sich mutmaßlich um Mitglieder einer organisierten Bande mit Schusswaffen und weiteren Akteuren im Hintergrund, die auf der Flucht sind. Mehr als 30 Sicherheitskräfte sind an diesem ersten Verhandlungstag im Einsatz; mancher Angeklagte wird mit Hand- und Fußschließen gesichert.

46 Tatvorwürfe stehen im Raum. Die Angeklagten, darunter ein Ehepaar, sind zwischen 26 und 47 Jahre alt. Acht von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Sie alle sollen von Mai 2017 bis September 2018 in den bewaffneten Handel mit Kokain, Heroin und Ecstasy einer europaweit agierenden mazedonisch-albanischen Bande verwickelt gewesen sein.

Zwei der Beklagten kommen aus Tuttlingen, der Rest aus Stuttgart, Neustadt an der Weinstraße, Rheinland-Pfalz, Bayern und Mazedonien. Unter ihnen sind Lastwagen-Fahrer, Lehrer, Informatiker, Mechaniker und Barbesitzer.

Sie sollen laut Anklage der Staatsanwaltschaft durch ihre Herkunft und verwandtschaftliche Beziehungen verbunden sein und konspirativ agiert haben. Der Kopf der hierarchisch organisierten Gruppe, der sie vermutlich von Rotterdam aus steuert, konnte bislang nicht gefasst werden.

120 Kilogramm Kokain

Beim Prozess ist von rund 120 Kilogramm Kokain, vier Kilogramm Heroin und 2000 Ecstasy-Tabletten die Rede. Die Drogen wurden in einer Wohnung in Tuttlingen sichergestellt. Die Betäubungsmittel sollen in den Niederlanden beschafft und per Auto oder Lastwagen, teils in professionellen Schmuggelverstecken, nach Deutschland gebracht worden sein.

Über Verteilungszentren in Berlin, Stuttgart, Salzburg, Düsseldorf, Neustadt an der Weinstraße und Tuttlingen wurde der Stoff dann bundesweit in Umlauf gebracht. Für die einzelnen Stationen gab es "Gebietsverantwortliche". Einige davon sitzen nun auf der Anklagebank. Bei Preisen von bis zu 60 Euro pro Gramm Kokain ist angesichts der Mengen von einem Geldfluss mehrerer Millionen Euro auszugehen.

Zur Aufklärung soll es mithilfe verdeckter Ermittler der Polizei gekommen sein. Außerdem ist an diesem ersten Verhandlungstag die Rede von einem Kronzeugen, der seine Geschäftspartner auffliegen ließ. Die Glaubwürdigkeit dieses Mannes, dessen Aussagen gesondert behandelt werden, scheint jedoch umstritten zu sein, wie einigen einführenden Äußerungen der Verteidiger zu entnehmen ist. Sie erklärten bereits vor Befragung der Angeklagten, dass die Tuttlinger Mandanten gar nicht an den Straftaten beteiligt gewesen seien.

Der Prozess wird an diesem Mittwoch ab 9 Uhr im Landgericht fortgesetzt. Insgesamt sind zunächst noch 41 Prozesstage angesetzt.