Laut Verkehrsgutachter sollten Mahir K. und Bert B. gesehen haben, dass sie zwischen Wurmlingen und Hirschau einen Mensch überfahren haben. Foto: Lück

Sachverständiger: "Beide Angeklagten sahen, dass sie Mensch überfahren haben."

Rottenburg-Wurmlingen/Tübingen/Sulz - Vor den Plädoyers wird es eng für Mahir K. (24) und seinen Beifahrer Bert B. (21): Der Verkehrsgutachter ist sich sicher, dass beide gesehen haben, dass sie einen Menschen überfahren haben. Und trotzdem einfach weitergefahren sind.

Belastende Fakten für die Anklage wegen versuchten Mordes gegen BMW-Fahrer Mahir K. hat es bisher schon gegeben: Laut Gerichtsmedizin hatte er beim Unfall ungefähr 0,6 Promille im Blut. Die Sachverständige geht davon aus, dass das Unfallopfer Viktor G. (18) noch lebte, als die beiden einfach davonfuhren.

Gutachter: Angeklagte müssen gesehen haben, dass sie einen Menschen überfahren haben

Jetzt sagt Verkehrsgutachter Frank Rauland: Sowohl Mahir als auch Beifahrer Bert müssen gesehen haben, dass sie am 28. April 2019 gegen 4.45 Uhr auf der Bundesstraße zwischen Hirschau und Wurmlingen einen Menschen überfahren haben. Beide waren einfach weitergefahren – in ihre Heimat im Raum Sulz. Mahirs Schwager hatten sie dort erzählt, dass sie nicht sicher sind, ob sie ein Wildschwein oder einen Menschen überfahren hätten. Der schnappte beide und fuhr sofort zurück. Bert hatte gesagt, dass er während des Crashs mit dem Handy gespielt habe.

Siehe auch: Bewährungsstrafe nach tödlichem Unfall

Rauland zeigt ein Foto von der Bremsspur: "Sie ist 11,5 Meter lang. Die Spur sieht nach einer Vollbremsung unter ABS aus." Mahirs Verteidigerin Julia Geprägs will wissen, ob es sein kann, dass der Fahrer bei dieser Vollbremsung die Augen geschlossen hat. Rauland: "Darüber gibt es zwar keine Untersuchungen. Aber ich halte das eigentlich für ausgeschlossen. Wenn ein Autofahrer eine Vollbremsung macht, guckt er nach vorne, um zu sehen, was passiert. Und bei solch einer Vollbremsung muss auch der Beifahrer etwas mitbekommen haben." Dann ruft Rauland ein Foto auf. Er hatte vor Ort am 7. Januar ab 4.30 Uhr zwischen Hirschau und Wurmlingen untersucht, ab wann Unfallopfer Victor im Scheinwerferlicht zu erkennen war. Er war damals auf dem 19. Geburtstag seiner Freundin in Hirschau und wollte zu Fuß heim nach Wurmlingen. Das gerufene Taxi lehnte Victor, der 2,11 Promille im Blut hatte, ab.

Mit Fernlicht wäre Unfallopfer zu erkennen gewesen

Fakt ist: Das Fernlicht am BMW war nicht eingeschaltet. Glück für die Beweisaufnahme: Zwar hatte der BMW Xenon-Licht, aber das Fernlicht war eine konventionelle H7 Birne. Weil der rechte Scheinwerfer durch das Rammen von Victor beschädigt war, konnte er am Glühdraht feststellen, dass das Fernlicht vor dem Unfall nicht eingeschaltet war.

Und diese Versuche zeigen: Mit Fernlicht wäre das Unfallopfer ab 50 Meter mit seinem auffälligen orange-farbenen Rucksack und den grünen Kopfhörern deutlich zu erkennen gewesen. Mit Abblendlicht sieht man ab dieser Entfernung einen kleinen, weißen Punkt von den hellen Schuhen. Ab einer Entfernung von 35 bis 30 Metern sind die Schuhe deutlicher zu erkennen.

Fakt ist auch, so Verkehrsgutachter Rauland: 32 Meter vor dem Aufprall hat Mahir die Vollbremsung gestartet. Anhand aller Spuren ist Mahir ungefähr 75 km/h gefahren – nicht ungewöhnlich gut 90 Meter hinter dem Ortschild nach dem durchgängigen 30 Tempolimit und den Blitzern. Auffällig: Mahir muss laut den Bremsspuren ziemlich weit rechts gefahren sein.

Verkehrsgutachter Rauland: "Eins ist sicher: Wenn er das Opfer in 50 Metern Entfernung erkannt hätte, hätte der Angeklagte den Unfall vermeiden können. Es kann sein, dass er das Unfallopfer schon in dieser Entfernung erkannt hat. Wollen wir den Schuh schon als erkennbar definieren? Oder sagen wir: Das ist zu viel verlangt? Man sollte erst die unteren Beine erkennen. Das geht erst ab 32 Metern."

Fakt ist jedenfalls: Die 32 Meter bis zur Kollision bei Tempo 75 km/h reichen nicht, so der Verkehrsgutachter, um vor Victor zum Stehen zu kommen. Der wurde nach dem Aufprall über 27 Meter durch die Luft geworfen.

War der Unfallfahrer ohne Licht unterwegs?

Doch warum hat Unfallopfer Victor den BMW nicht gesehen, als er vom Rittweg über die Straße gelaufen ist? Mahirs Verteidigerin Julia Geprägs: "Kann es sein, dass das Licht des BMW gar nicht eingeschaltet war?" Verkehrsgutachter Rauland: "So, wie der Fahrer reagiert hat, muss das Abblendlicht eingeschaltet gewesen sein. Es ist ganz klar: Wenn Victor am Rittweg war und nach links geschaut hätte, hätte er den BMW gesehen. Von dort aus kann man bis zum Ortsschild gucken."

Der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski: "Gehört hat er es jedenfalls nicht. Dabei sagt man immer: Nimm die Kopfhörer runter, wenn Du über die Straße gehst."

Und was sagt der Gutachter zur Aussage, dass beide angeblich nicht wussten, ob sie an diesem Morgen nach ihrem Discobesuch in Tübingen einen Menschen überfahren haben? Rauland zeigt ein Foto der Erkennungsversuche. Die Schaufensterpuppe mit der Kleidung des Unfallopfers, Rucksack und Kopfhörern aus fünf Metern Entfernung. Der Verkehrsgutachter: "Man bremst, bremst und bremst und sieht eine aufrechte Gestalt. Da ist mir nicht mehr erklärbar, dass da kein Mensch erkannt worden sein soll!"