Am Landgericht in Tübingen fällt das Urteil zum Macheten-Raub in Hirsau. Foto: Menzler

Unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen überfielen zwei maskierte Männer mit einer Machete den Rewe in Hirsau. Zum Glück ging der Fall "glimpflich" aus und der Kassierer trägt keine schwere Folgen davon. Doch beide müssen nun die Konsequenzen tragen.

Calw-Hirsau/Tübingen - Vorsitzende Richterin Manuela Haußmann betritt am dritten Prozesstag den Saal. Das Urteil steht an. Sven F. und Paul H. (Namen von der Redaktion geändert) sitzen angespannt im Saal. Die beiden werden nach zwei Prozesstagen für besonders schweren Raub sowie besonders schwere räuberische Erpressung verurteilt. Sven F. als "treibende Kraft" muss vier Jahre ins Gefängnis. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist vorgesehen. Paul H. als Mittäter mit "wesentlichem Eigenbeitrag zur Tat" muss für zwei Jahre und neun Monate hinter Gitter.

"Ich weiß, beide Verteidiger plädierten auf eine bewährungsfähige Strafe", richtet sich Haußmann an die beiden Angeklagten. "Doch wenn Sie sich das Tatbild mal auf der Zunge zergehen lassen", merke man, wie schlimm die Tat eigentlich sei: "Zwei Täter, maskiert, mit Waffe, zur besten Kundenzeit in einem Supermarkt, an einer Kasse – an der abgerechnet wird – und sie bedrohen den Kassierer." Beide Verurteilten sollen sich, so Haußmann, überlegen, wie das auf die Kunden wirkt, wie das auf die Allgemeinheit wirkt – und dass dies sehr wohl eine schwerwiegende Tat sei. Denn schwerer Raub und schwere räuberische Erpressung sind im Gesetz mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis 15 Jahren angedacht.

Die Begründung

Haußmann begründete das Urteil einerseits mit dem Tatverlauf: die Absprachen im Vorhinein, einer erwarteten Beute von 2000 Euro für jeden, der Drohung mit der Machete. Und der Drohung "Mach’ schon oder ich hack’ dir die Hand ab", die mehrfach fiel. Der besonders schwere Raub geschah, als Sven F. selbst in die geöffnete Kasse griff und sich Geld nahm; die besonders schwere räuberische Erpressung, als der Kassierer ihm das restliche Geld übergab.

Paul H. ist aus richterlicher Sicht der Mittäter. Er habe einen Beitrag zur Tat geleistet. "Und die Fluchtwegsicherung ist ein wichtiger", betont Haußmann: Es stimme Sven F. sei die treibende Kraft gewesen, doch Paul H. wurde nicht zur Tat gezwungen.

Für beide habe die Enthemmung durch Alkohol- und Drogenkonsum gesprochen, wie auch das psychologische Gutachten ergab. Ebenso die Motivation durch die Suchterkrankungen der beiden sowie Paul H.s paranoide Schizophrenie, die ebenfalls aus dem Gutachten der Sachverständigen hervorgehen.

Außerdem sei die Beute nicht besonders hoch und der Rewe-Filiale zurückgegeben worden. "Die Drohung war zwar vehement, doch lange keine Lebensbedrohung", rechnete Haußmann den beiden an. Ebenso strafmildernd waren beide umfangreichen Geständnisse. "Die Hilfe bei den Ermittlungen war ein ganz, ganz großer Pluspunkt", betont die Richterin.

Doch was den beiden den größten Pluspunkt bescherte: "Sie hatten wirklich Glück", sagt Haußmann mit Nachdruck, "dass der Geschädigte so einen starken Charakter und das so super verkraftet hat". Zudem seien Täter-Opfer-Ausgleich und die Entschuldigungen an den Kassierer hinzugekommen.

Allerdings müsse das Gericht ebenfalls die Vorstrafen beider Angeklagten mit ins Gewicht setzen. "Und ein ganz, ganz starkes Gewicht", meint die Richterin, dass den Stand der Waage verschob: "Die kriminelle Energie des Verbrechens. Sie waren maskiert, bewaffnet und haben gedroht."

Zuletzt noch die Frage wie erfolgreich eine therapeutischen Behandlung der Suchterkrankungen der beiden wäre. Dabei stimmte das Gericht dem Ergebnis der Sachverständigen zu. Bei Sven F. sehe man eine Erfolgschance. "Doch das ist ihre einzige Chance und die müssen sie nutzen", betont Haußmann. Bei Paul H. dagegen sehe man diese Erfolgschance in einer Entziehungsklinik nicht. Durch seine paranoide Schizophrenie würde er dort überlastet werden. "Sie sollten sich dennoch dringend um ihren Drogenkonsum kümmern", wendet sich Haußmann an Paul H.

Das psychologische Gutachten

Bereits am Mittwoch erklärte die Sachverständige in einem psychologischen Gutachten, dass beide Angeklagten schuldfähig seien. Alkohol und Drogen hätten jeweils nur einen "leichten Rauschzustand" verursacht, Steuerungsfähigkeit und Einsicht seien "nicht eingeschränkt oder gar aufgehoben gewesen". Allerdings sei von einer erhöhten Enthemmung auszugehen, ergab das Gutachten.

Beide leiden "zweifelsfrei" an einer Polytoxikomanie. "Das ist der Konsum vielfältiger, unterschiedlicher Substanzen", erklärte die Sachverständige. Bei Paul H. diagnostizierte sie noch eine weitere Erkrankung. "Paul H. lebt zeitweise in einer anderen, seiner eigenen Realität." Damit ergebe sich eine schizophrene Psychose. Doch wie er selbst bestätigte, habe er während des Tatzeitpunkts nicht unter einer psychotischen Episode gelitten.

Die Staatsanwaltschaft

Mit diesem Urteil bleibt das Gericht leicht hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück. Diese, namentlich Staatsanwalt Tobias Freudenberger, hatte tags zuvor für eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten für Sven F. und eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten für Paul H. plädiert. "Sie hatten Glück, und das darf man auch mal haben", begann Freudenberger. Allerdings müsse man die Vorstrafen der beiden vorhalten, führt der Staatsanwalt aus. Und: "Auch wenn nur kurzfristig, aber die Tat war geplant. Man hat sich vorbereitet – mit versteckten Handys, mit Masken, mit verschiedenen Überfallmöglichen."

Die Verteidigung

Anschließend konnte Sebastian Gauss, der Verteidiger von Sven F., viele Argumente des Staatsanwalts nur bestätigen. Allerdings: "Ich gehe hier von einer minderschweren Straftat aus." Er plädierte für eine Strafe von zwei Jahren auf Bewährung. Es sei stets ausgeschlossen gewesen, jemanden zu verletzen, die Machete sei lediglich Drohobjekt gewesen. "Und um den Staatsanwalt zu wiederholen: ›Es ist glimpflich ausgegangen‹", betonte Gauss.

Benjamin Fischer, Verteidiger von Paul H., sagte: Er plädiere für "keine genaue Strafe". Er forderte jedoch eine bewährungsfähige Strafe von maximal zwei Jahren. Denn er sieht seinen Mandanten nicht als Mittäter der Tat, sondern lediglich als Gehilfe. Für eine Mittäterschaft bräuchte es einen eigenen Beitrag zur Tat, diesen haben Paul H. nicht getätigt. "Was wäre, wenn Paul H. nicht dabei gewesen wäre? Ich denke, es wäre dasselbe passiert", argumentierte Fischer bei seinem Schlussplädoyer.