Im Saal des Landgerichts Tübingen gestehen beide Angeklagten die Tat und erläutern ihre Motive. Foto: Menzler

Sie hatten Schulden, sie waren drogenabhängig, sie brauchten Geld: So schildern die Angeklagten, die im Mai dieses Jahres den Rewe in Hirsau überfallen haben sollen, ihre Motive. Und wie es so weit kommen konnte.

Calw-Hirsau/Tübingen - Es herrscht Stille im Gerichtssaal im Landgericht Tübingen – Angeklagte und Richter sind noch nicht im Raum. In Handschellen werden Sven F. und Paul H. (Namen von der Redaktion geändert) von Polizisten in den Saal geführt. Paul H. mit gesenktem Kopf, Sven F. scheint im Auftreten sicher.

Die beiden sollen laut Anklageschrift den Rewe am 2. März dieses Jahres mit einer Machete in der Hand überfallen haben. Mehrfach habe der Tatverdächtige Sven F. den Kassierer dazu aufgefordert, die Kasse zu öffnen, drohte mit den Worten: "Mach jetzt auf oder ich hack’ dir die Hand ab." 360 Euro musste der Kassierer Sven F. aus der Kasse übergeben. Der andere Tatverdächtige habe solange den Fluchtweg – die Schiebetüren des Rewe – bewacht.

Ein Tatverdächtiger nimmt schon seit er 16 ist Drogen zu sich

Vor Gericht ist Sven F. zuerst an der Reihe zu sprechen. Mit kräftiger Stimme beginnt der 35-Jährige. Nach mehreren Umzügen wohnt er nun seit zehn Jahren mit seiner Freundin im Kreis Böblingen. Diese sitzt aufgewühlt und in Tränen im Zuhörerbereich. Mit 16 Jahren habe er angefangen Drogen zu nehmen. Anfangs noch Marihuana, mit 18 dann auch Partydrogen wie Ecstasy, Speed und Kokain. Etwa vor sieben Jahren seien verschiedene Medikamente und Heroin dazugekommen.

Mit 17 Jahren verbrachte er etwa ein Dreivierteljahr in einem Heim. Aufgrund der schlechten Beziehung zu den Eltern. Er sei aber nach knapp einem Jahr wieder zurück zu diesen. Nach Abschluss einer Ausbildung und Beginn im selben Betrieb wurde er aus wirtschaftlichen Gründen arbeitslos.

Finanzielle Unterstützung bleibt seit knapp einem Jahr aus

Seit Oktober 2021 würde er nun keinerlei finanzielle Unterstützung mehr bekommen. Drogen und Alkohol gehörten zu seinem Alltag. Hinzu kommen rund 15 000 Euro Schulden. 6500 Euro davon auf dem Konto – und die restlichen 8500? "Ich habe da keinen Überblick", meint Sven F. mit Blick auf den Tisch vor sich. "Eine dringende Empfehlung: Gehen Sie schleunigst zu einer Schuldnerberatung", meint Richterin Manuela Haußmann.

"Wo sehen Sie sich denn in Zukunft", wollte Haußmann wissen. "Drogenfrei und Alkoholfrei", schnellt es aus dem Angeklagten heraus. In seiner Untersuchungshaft in Stuttgart habe er einmal die Woche Einzelgespräche zur Therapie.

Durch Drogen habe er eine Psychose diagnostiziert bekommen

Paul H. lässt seine Aussage von seinem Verteidiger Benjamin Fischer verlesen. Er selbst sei zu aufgeregt. Der 37-Jährige aus dem Kreis Böblingen habe die Realschule abgeschlossen. Allerdings die angefangene Ausbildung 2002 im zweiten Jahr abgebrochen. "Aufgrund von Drogen", bestätigt er selbst eine Frage von Richterin Haußmann.

Im Jahr 2003 habe er mit Drogen begonnen – mit Cannabis und später Pilzen. Seit 2015 laufe es allerdings ganz schief, meint der Angeklagte auf Rückfrage. Er nahm Medikamente und Alkohol zu sich. Heroin sogar täglich, gibt er zu. Ebenfalls 2003 sei eine Psychose diagnostiziert werden, ebenfalls durch Drogen ausgelöst. Auf Nachfrage schildert er: "Ich habe dann Angstzustände. Und höre Stimmen. Die meinen’s nicht gut."

Beide haben hohe Schulden

Unter ständiger Betreuung habe er bis zu Verhaftung alleine gewohnt. Finanziert habe er sein Leben von der Erwerbsunfähigkeitsrente sowie ein bisschen Nebenarbeit. Auch er habe Schulden – etwa 7000 Euro. Allerdings habe er Privatinsolvenz bereits angemeldet. "Die ist schon halb durch", meint er.

In der Untersuchungshaft in Tübingen gehe es ihm "gar nicht gut". Vor allem der Drogenentzug mache ihm zu schaffen. Aber auch er habe alle zwei bis vier Wochen Einzelgespräche. In Zukunft sehe er sich wieder in einer Werkstatt. Von Drogen gänzlich wegzukommen, schien er sich dagegen nicht so ganz vorstellen zu können. Er entschuldigte sich allerdings für die Tat.

Und beide Angeklagten entschieden sich am ersten Prozesstag dazu, die Tat zu gestehen. Jeder schilderte seine Sicht der Geschehnisse vom besagten 2. Mai.

Wie es am Tathergang ablief

"Wir haben uns circa 15 Uhr beim Netto getroffen", erzählt Sven F. Dort hätten die beiden zwei Jacky-Cola getrunken und seien im Gespräch auf ihre Schulden gekommen. Und eben wie man da Abhilfe schaffen könnte.

Sven F. habe dann einen Überfall vorgeschlagen. Dafür könnten sie Masken und eben auch eine Waffe – die Machete – aus seiner Wohnung holen. Wie Paul H. später ergänzte, habe er wie Sven F. auch Schulden bei seinem Dealer. Bei diesem habe Paul H. dann für beide Drogen gekauft.

Diese hätten die beiden konsumiert und sich dann auf den Weg nach Hirsau gemacht. Unterwegs hätten sie ihre Handys deponiert, falls die Polizei diese orten sollte. Von dem Parkplatz am Thermenhotel ging es weiter nach Hirsau. Dort wollten sie die Tat begehen. Laut Polizeiverhör und Paul H. sei erst eine Tankstelle in Hirsau das Objekt der Begierde gewesen. Da dort zu viel los war, entschieden sie sich stattdessen für den Rewe.

Der eine wollte den anderen eigentlich noch vom Überfall abhalten

Paul H. versuchte laut eigener Aussage und Polizeiverhör von Sven F, letzteren von der Tat abzubringen. Sven F. meinte sich daran nicht richtig zu erinnern – zum mitzumachen gezwungen habe er Paul H. nicht. Aber wie im Polizeiverhör am Abend des 2. Mai zu lesen ist: Sein "Sturkopf" sei zu stark gewesen.

Geparkt wurde beim Aldi in der Liebenzeller Straße, zu Fuß dann zum Rewe. Vollständig maskiert und mit Latexhandschuhen drangen sie dort ein. Während Paul H. den Fluchtweg sicherte, begab sich Sven F. zur Kasse. Dort habe er die Machete "zum Angst machen" in der rechten Hand gehalten. "Aber von allen Menschen weg, ich wollte nie wirklich jemanden verletzen", betont er vor Gericht.

Fast wollten sie ohne Beute wieder abhauen

Als die Kasse nicht direkt geöffnet wurde, habe er sich auch schon überlegt, wieder ohne irgendetwas zu gehen. Doch bei einer Drohung mehr habe der Kassierer die Kasse geöffnet. Erst griff Sven F. mit der linken Hand selbst in die Kasse und holte einige Scheine heraus. Dann forderte er den Kassierer auf, das restliche Geld herzugeben.

Mit der Beute flüchteten die beiden maskiert zurück zum Aldi und von dort mit einem Auto Richtung Bad Liebenzell. Zeugen setzten sich hinter die beiden und gaben den herbeigerufenen Polizeistreifen den Standort der beiden Tatverdächtigen durch.

Demnach wurden die Tatverdächtigen auf dem Parkplatz des Thermenhotels in Bad Liebenzell bereits beim Aussteigen aus dem vermeintlichen Fluchtfahrzeugs von zwei Streifenwagen erwischt.

Geschädigter Kassierer kann weiterhin arbeiten

Nach Aussagen der Polizeibeamten verhielt sich Paul H. ruhig und konnte allen Anweisungen Folge leisten. Sven F. dagegen sei verbal sehr laut geworden. Im Sinne von "Wir haben nichts getan, wir waren gar nicht dort." Auch er wehrte sich nicht körperlich gegen die Festnahme, konnte allerdings ebenfalls sinngemäß auf Fragen und Maßnahmen der Polizisten handeln.

Von dem Alkohol- und Drogenkonsum im Vorhinein konnten weder Beamten noch der geschädigte Kassierer etwas bemerken. Diesem gehe es laut eigener Aussage vor Gericht wieder gut. Er habe noch am selben Tag weitergearbeitet. Sein Chef wollte ihn zwar nach Hause schicken, "aber ich hab ihm gesagt ›Wenn ich jetzt nicht weiter mach, dann ...‹‹, meint der Geschädigte. Bis auf zwei schlaflose Nächte nach dem 2. Mai, habe er keine großen Schäden davon getragen.

Als Täter-Opfer-Ausgleich wollten die Angeklagten jeweils 500 Euro an den Kassierer übergeben. Paul H. übergab 500 Euro; Sven F. konnte nur "sehr schwierig" 300 Euro zusammenbekommen. Beide entschuldigten sich persönlich bei dem Kassierer. "Ich bin sehr froh, dass es Ihnen so gut geht", meint Paul H. Und Sven F. schließt sich an: "Ich wünsche Ihnen nur das Beste."