Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen Rechtsextremismus am 14. Februar 2024 in Rostock trägt ein Plakat mit der Aufschrift „AFD-Verbot jetzt“. Foto: dpa/Jens Büttner

„AfD-Verbot“ ist derzeit bei Demonstrationen häufig auf Transparenten und Plakaten zu lesen. Immer mehr Politiker liebäugeln mit einem Verbotsverfahren, um den Aufstieg der Partei zu stoppen. Doch die Verfassungsorgane, die ein solches Verbot beantragen könnten, zögern. Was sind die Gründe?

Hunderttausende gehen gegen das Erstarken des rechten politischen Spektrums in Deutschland auf die Straße, demonstrieren und stimmen mit den Füßen ab. Reihenweise sprechen sich Politiker für einen Verbotsantrag der Partei Alternative für Deutschland – AFD – aus.

Dass die AfD und ihre Nachwuchsorganisation, die Junge Alternative – JA –, von Jahr zu Jahr mit radikaleren Sprüchen auffallen, ist in diversen Gutachten, Gerichtsentscheidungen und Protokollen von Plenarsitzungen nachzulesen. Der Verfassungsschutz darf den AFD-Jugendverband offiziell als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnen.

Und dennoch: Eine Mehrheit von Verfassungsrechtlern und Politikern hält bislang wenig von dem bei Demos gegen Rechts oft vorgetragenen Wunsch nach einem Verbot. Was sind die Gründe? Was spricht – derzeit – gegen ein Verbot der AFD?

Verbotsantrag könnte AfD im Wahlkampf nutzen

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, warnt: Ein voreilig gestellter Antrag auf ein Verbot der AfD würde der Partei in den 2024 anstehenden Wahlkämpfen einen Vorteil verschaffen. Tatsächlich könnte sie dadurch für Protestwähler womöglich noch attraktiver werden.

„Wir müssen die AfD, einschließlich ihrer Untergliederungen vor allem politisch bekämpfen und bei jedem Verbotsverfahren sehr sorgfältig prüfen, ob es dieser Partei, zumindest kurzfristig, nicht mehr nutzen als schaden könnte“, sagt der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte Jahre dauern

Ob eine Partei verboten wird, entscheidet allein das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe. Einen entsprechenden Antrag kann nur ein Verfassungsorgan stellen: der Bundestag, die Bundesregierung und/oder der Bundesrat.

Einen überregional agierenden Verein kann dagegen nur die Bundesinnenministerin verbieten. So hatte Nancy Faeser (SPD) im vergangenen Jahr die Neonazi-Gruppierung „Hammerskins Deutschland“ verboten. Bis eine Entscheidung über einen AFD-Verbotantrag vorliegt, dürften nach Einschätzung von Fachleuten wahrscheinlich mehrere Jahre vergehen.

Besser ist es abzuwarten, als mit einem Verbotsantrag zu scheitern

Der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio beurteilt die Erfolgschancen eines Antrags auf ein Verbot der AfD momentan als gering, zumindest wenn man nur auf das Programm der Partei und die öffentlichen Äußerungen ihres Führungspersonals schaut. „Das, was ich von außen sehen kann, ohne nachrichtendienstliche Quellen, da bin ich eigentlich ziemlich sicher, dass das nicht ausreicht.“

De Fabio warnt davor, einen solchen Antrag, über den das BVG vermutlich erst in einem Jahr oder in zwei Jahren entscheiden würde, jetzt schon zu stellen. Falls 2025 oder 2026 ein Verbotsantrag abgelehnt würde, wäre es aus seiner Sicht sehr schwer, einen neuen Antrag zu stellen, falls es im Jahr 2027 eine „ernsthaft verfassungsfeindliche AfD“ geben sollte.

Gesamte AFD müsste als rechtsextremistisch eingestuft werden

Dass ein solcher Verbotsantrag gestellt wird, ohne dass der Verfassungsschutz die gesamte Partei als gesichert rechtsextremistisch einstuft, gilt als unwahrscheinlich. Ob das in absehbarer Zeit geschehen wird, hängt stark davon ab, welche Positionen führende AFD-Politiker intern und öffentlich vertreten und mit welchen extremistischen Gruppierungen sie regelmäßigen Kontakt pflegen.

Zunächst wird der Nachrichtendienst eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster abwarten. Dort geht es Mitte März in einer Berufungsverhandlung um die Frage, ob eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln Bestand hat. Das hatte die Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erlaubt.

Hürden für ein Parteiverbotsverfahren sind hoch

Für das Verbot einer Partei gelten in Deutschland sehr hohe verfassungsrechtliche Hürden. Im Grundgesetz (GG) ist in Artikel 21, Absatz 2 definiert:

„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BVG reicht es für ein Verbot nicht aus,dass eine Partei verfassungswidrige Haltungen verbreitet. Entscheidend ist, dass sie eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung“ gegenüber der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vertritt.

Konkrete Gefährdung der Demokratie müsste nachgewiesen werden

Die AFD müsste eine realistische Chance haben, die Gefährdung für den Staat konkret umzusetzen. Dieser Aspekt wurde im Jahr 2017 vom Bundesverfassungsgericht herausgehoben, als die Karlsruher Richter entschieden, die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands, seit Juni 2023: Die Heimat) nicht zu verbieten. Die Partei scheiterte regelmäßig an der Fünf-Prozent-Hürde.

Die letzte politische Partei, die vom BVG verboten wurde, war im Jahr 1956 die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands).

Landesverbände könnten zunächst verboten werden

Verfassungsrechtlich könnte auch ein Verbot einzelner Landesverbände in Erwägung gezogen werden, die vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft werden.

So stuft der sächsische Verfassungsschutz den Landesverband der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist es der dritte AfD-Landesverband mit einer solchen Bewertung.

AFD-Nachwuchsorganisation zu verbieten ist heikel

Bei der AfD und Jungen Alternative ist nach Aussage von CDU-Politiker Krings eine „immer weiter fortschreitende Radikalisierung“ zu beobachten. Ein Verbot zumindest der Jungen Alternative sei deshalb sorgfältig zu prüfen.

Das Kölner Verwaltungsgericht lehnte vergangene Woche einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab, mit dem die AfD und JA versucht hatten, eine Beobachtung der Jungen Alternative als gesichert extremistische Bestrebung durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Die JA hat dagegen Beschwerde eingelegt.

Unter Fachleuten ist umstritten, ob die JA als eigenständige Gruppierung anzusehen ist oder nicht. Schließlich sind JA-Mitglieder als AfD-Abgeordnete in Parlamente eingezogen beziehungsweise in den Bundesvorstand der Partei gewählt worden.

Info: Rechtsextreme Szene in Deutschland

Rechtsextremismus
Rechtsextremismus ist ein Oberbegriff für politische Orientierungen und Aktivitäten, die den demokratischen Staat in Deutschland ablehnen und dafür eine autoritär geführte „Volksgemeinschaft“ errichten wollen. Dabei wird von einem vermeintlich naturgemäßen „Volkstum“ und einem „gewachsenen Volkskörper“ ausgegangen. Andere Menschen werden durch rassistische Parolen ausgegrenzt und abgewertet. Rechtsextremisten glauben an eine naturgegebene ethnische („rassische“) Ungleichwertigkeit der Menschen. Ethnische, kulturelle, geistige und körperliche Unterschiede begründen für sie einen minderen Wert und Rechtsstatus bestimmter Individuen und Gruppen.

Rechtsextremistische Szene
Dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge stellt der Rechtsextremismus in Deutschland kein einheitliches Phänomen dar. Rassistische, antisemitische und nationalistische Ideologie-Elemente treten in verschiedenen Ausprägungen auf. Eine Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und damit einhergehend die Ablehnung des Gleichheitsprinzips der Menschen sind jedoch bei allen Rechtsextremisten festzustellen.

Ideologie
Nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg verbindet die rechtsextreme Szene in Deutschland folgende ideologische Merkmale:

• „Ideologie der Ungleichheit“ (darunter: Nationalismus, Sozialdarwinismus, Rassismus und (Rassen-)Antisemitismus)

• „Ideologie der ‚Volksgemeinschaft’“, auch „Völkischer Kollektivismus“ genannt (darunter: Fremden- und Ausländerfeindlichkeit)

• Autoritarismus (darunter: Militarismus, Antiliberalismus,

• Revisionismus (darunter: Geschichts- und Gebietsrevisionismus)

• Antimodernismus

Neonazis
Der Neonazismus ist eine von mehreren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Als neonazistisch werden Personenzusammenschlüsse und Aktivitäten bezeichnet, die ein Bekenntnis zu Ideologie, Organisationen und/oder Protagonisten des historischen Nationalsozialismus erkennen lassen und in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten eines totalitären Führerstaates nach dem Vorbild des „Dritten Reiches“ ausgerichtet sind.

Neue Rechte
Im Verfassungsschutzbericht heißt es: „Unter die Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen.“

Identitäre Bewegung
Laut Verfassungsschutz zählte die „Identitäre Bewegung“ 2020 etwa 575 Mitglieder. Sie stammt ursprünglich aus Frankreich und konnte sich 2012 auch in Deutschland etablieren. Nachdem die „Identitäre Bewegung“ zunächst vor allem im Internet aktiv war, organisiert sie inzwischen zahlreiche Aktionen auf der Straße.

Ethnopluralismus
Die Identitäre Bewegung verfolgt die Idee eines „Ethnopluralismus“. Dahinter steht die Vorstellung, dass jedes „Volk“ eine eigene Kultur oder Identität besäße, die sich nicht mit anderen „mischen“ sollte. Dem Verfassungsschutzbericht zufolge sind die Positionen der Identitären Bewegung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie zielten darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin darf die Identitäre Bewegung als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet werden.