Zwei Minuten bei sechs Grad im Eiszuber. Das Bad ist nur der Höhepunkt in einem Prozess, in dem es um ein anderes Mindset geht – der inneren Einstellung zu Themen und Fragestellungen, die negativ behaftet sind sowie zu Problemen. Es hilft natürlich auch, um das Immunsystem auf Trab zu bringen. Foto: Beate Proske, Kur und Bäder

"Im Grunde ist es nur kaltes Wasser." Nach gut einer Stunde Theorie in der Wim-Hof-Methode und einer Fragerunde nach "The Work" von Byron Katie komme ich zu der Erkenntnis, dass mich jetzt eigentlich nichts Schlimmes im Eiszuber draußen vor dem Kneipp-Bücherstüble erwartet – eigentlich.

Bad Dürrheim - Am Tag zuvor stellte ich mir allerdings schon die Frage: Warum um alles in der Welt habe ich Ja gesagt, als es darum ging, das Eisbaden mal auszuprobieren. Ein Rückzieher kurz davor? Undenkbar! Aber zugegebenermaßen bin ich jetzt eher nicht der Typ für die kalte Dusche am Morgen oder für Frühjahrsbaden im ligurischen Meer Ende Mai vor Spotornos Stränden. Oder eben Eisbaden.

Die Sporttasche über der Schulter, die mit Badehose, Bademantel, Schlappen, Handtuch und sonstigem Kram bepackt ist, finde ich mich an dem Sonntagmittag am Treffpunkt vor dem Solemar ein. 14.45 Uhr. Der Countdown läuft. Mit zwei anderen Teilnehmern führt mich Bad Dürrheims oberste Biohackerin Beate Proske wenig später über den Eingang im Kurpark in die Ruhekuppel der Solemar-Sauna. Dort warten bereits unsere beiden Trainer Wiebke Dirks und Rolf Duda, der in der Biohackerszene besser unter seiner Marke Peakwolf bekannt ist.

Noch fehlen zwei aus der Runde, die im Stau stecken geblieben sind – trotz rechtzeitiger Abfahrt zu Hause. Und so beginnt der Workshop mit einer Atemübung – und das richtige Atmen sollte an diesem Nachmittag noch eine entscheidende Bedeutung bekommen. Denn damit kann man so etwas wie den Grad der eigenen Aufregung steuern und das ganz bewusst. Es ist ein Unterschied, ob man flach und stoßweise atmet oder langsam und tief. Der Begriff Schnappatmung und die Redewendung "Ich muss erst Mal tief durchatmen" kommen da wohl nicht von ungefähr.

Mindset verändern

Noch bin ich ein bisschen skeptisch, aber durchaus bereit, mich auf die Welt der Biohacker einzulassen – und diese Bereitschaft benötigt es auch. Aber: Mit dem Begriff der Selbstoptimierung, der in Zusammenhang mit dem Biohacking immer wieder verwendet wurde, fremdelte ich dann doch etwas. Es schien mir nicht ganz so erstrebenswert, mich ständig selbst zu optimieren. Denn es benötigt auch mal ein auf dem Sofa liegen und einfach den lieben Gott einen guten Mann sein lassen – aber in einem späteren Gespräch stellt sich heraus, dass auch das zur Selbstoptimierung gehört. Und das Wort "Selbstoptimierung", das ich eigentlich erwartet hatte an diesem Tag, fällt kein einziges Mal.

Dafür ging es um das so genannte Mindset. Mit diesem Begriff umschreibt die Biohackerszene die innere Einstellung zu Problemen, zu Stress, zu Themen, die einen negativ beschäftigen und triggern. Und so meldet sich der junge Mann, der mit mir den Workshop belegt hat, freiwillig um eine Frage, die ihn bewegt, nach der Byron Katie Methode mit Wiebke Dirks abzuarbeiten.

Byron Katie Methode

Rund 20 Minuten geht die Frage-Antwort-Runde, in der es darum geht, diese andere Einstellung zu einem eher negativ besetzten Thema zu bekommen. Die vier Grundfragen, die Katie in ihrer These stellt sind folgende: Ist das wahr? Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist? Was passiert, wenn du diesen Gedanken glaubst? Wer wärst du ohne den Gedanken? Es geht darum, gedanklichen Ballast abzuwerfen. Aber natürlich ist das nur ein Ansatz dazu und manchmal benötigt es noch viel mehr als diese vier Fragen. Und es benötigt auch den Ansatz zur Lösung.

Anschließend gibt es noch die Vorstellungsrunde der Teilnehmer, auf die man am Anfang verzichtete, da noch nicht alle da waren. Und wer nun denkt, vor allem Männer werfen sich in den Eiszuber, liegt falsch. Die übrigen Teilnehmer an dem Nachmittag sind Frauen.

Unterschiedliche Gründe

Ganz unterschiedliche Gründe gibt es, für jeden Einzelnen sich zu überwinden in das kalte Wasser zu sitzen. Zwei der Teilnehmerinnen steigen nicht zum ersten Mal in den Eiszuber. Die eine erinnert sich an das Glücks- und Erfolgsgefühl beim vorigen Mal. In der Woche darauf packte sie schwierige Themen im Job an, es gelang alles, erzählt sie. Später sagt sie im Gespräch zu mir, wenn diese Woche merkwürdige Dinge passieren, dann wundere dich nicht.

Die zweite sagt einfach: "Weil ich es kann." Eine weitere betreibt ein Fitnesscenter und möchte das eventuell auch dort anbieten. Und die nächsten haben eine große Portion Neugierde und wollen diese sich selbst gestellte Aufgabe schaffen.

Kalte Dusche zu Hause hilft

So informiert und aufgeräumt im Gehirn übernimmt Peakwolf wieder und erklärt, was das kalte Wasser – in dem Fall ja eher das Eiswasser – mit dem Körper macht. Regelmäßig angewendet – da hilft auch die kalte Dusche zu Hause – fördert es das so genannte Braune Fett und die darin enthaltenen Mitochondrien. Das sind die körpereigenen Zellkraftwerke, die für die Energieproduktion zuständig sind.

Und dann wird es ganz praktisch. Es geht um die Gruppendynamik und darum, nicht vor Kälte zu Zittern und dass es beim Aufwärmen nach dem Eisbad nicht zum Kribbeln in Händen und Füßen kommt.

Die Stunde des Eisbadens rückt näher. Es geht zum Zuber. Minuten später stehen wir alle in einem Kreis im sogenannten Horsestand, sprich die Beine breit und in die Knie gesunken. Rhythmisch drehen wir den Oberkörper von links nach rechts, und bewegen auch den jeweiligen Arm mit. "Hu" – "Ho" hallt es bei jeder Bewegung über die Wiese am Bücherstüble und manch ein Passant, der auf dem Weg in oder aus dem Kurpark ist und die Szenerie beobachtet, hält verwundert inne. Stehen die Mitglieder der Gruppe doch etwas da wie aufgebrachte Maoris – nur dass wir nicht die Zunge herausstrecken und nicht bemalt sind.

Badeenten freuen sich auf Gesellschaft

Der junge Mann und ich sind die ersten, die in den hölzernen Zuber steigen sollen. Er ist randvoll, obenauf schwimmen zwei gelbe Gummibadenten, ein paar grüne Blätter, es wirkt dadurch einladender, und ja – jede Menge Eiswürfel glänzen da an der Wasseroberfläche.

"Seid ihr bereit?" Wiebke Dirks will es mehr als ein Mal wissen. Und ob nun jetzt oder in einer Minute? "Egal" denke ich mir. Wärmer wird das Wasser nicht und sage einfach "Ja". Es gibt einen Einstieg am Oval und ich bin derjenige, der auf die gegenüberliegende Seite muss. Eigentlich würde ich ja am liebsten gleich auf der anderen Seite einsteigen, ich würde mir die drei Schritte durchs Eiswasser ersparen. Doch ehe ich mich versehe, stehe ich vor dem Stufentritt, und gehe diesen nach oben.

Der Gedanke, der mir nochmals durch den Kopf geht: "Du musst an das ruhige Atmen denken." Und dann sind meine Gedanken irgendwie ausgeknipst, denn die sechs Grad Celsius sind einfach nur noch kalt bis zu den Oberschenkeln bei den drei Schritten durch das Eiswasser.

Langsam atmen nicht vergessen

Am anderen Rand angekommen geht es auch schon darum, sich ins Wasser zu setzen. Gut festhalten mit den Händen am Rande des Zubers und einsinken. Und es geht nicht langsam, Zentimeter um Zentimeter, sondern ich habe beschlossen, es schnell zu tun. Keine zwei Sekunden später sitze ich bis zum Hals im Eiswasser. Und denke nur an eines: langsam Atmen, dadurch lässt sich alles steuern.

Mein Gegenüber hat die berühmt-berüchtigte Schnappatmung vor Kälte – von der in der Theorie in der Stunde zuvor die Rede war. Meine Gesichtszüge sind am Anfang wahrscheinlich eher gequält als entspannt, aber erstaunlicherweise: es geht nach einer Weile, es geht sogar sehr gut.

Wiebke Dirks fordert uns auf, die Hände ins Wasser zu nehmen und diese auf die Oberschenkel abzustützen. Also gehen die Arme ins Wasser – und die Hände auf den Oberschenkeln. Wim Hof empfiehlt wärmstens dies zu tun, denn psychologisch betrachtet stärkt dies das Gefühl, die Situation im Griff zu haben und somit den Stress besser zu meistern. Mir hingegen kommt langsam das Gefühl der Kälte, der richtigen Kälte. Und wieder der Gedanke: langsam atmen. Ich versuche zu entspannen, so entspannt und gelassen wie die Models auf den Werbefotos der Biohacker Bad Dürrheim auszusehen. Zumindest ein Versuch.

Langsam wird es frisch im Zuber

Langsam ist es ziemlich frisch in der Wanne und Wiebke Dirks am Zeitmesser meint schon bald, es werde Zeit aus dem Wasser zu kommen. Und es sind dann doch ein paar Sekunden mehr im Eiswasser als die zwei Minuten, die maximal angestrebt sind. Nach dem Verlassen des Holzzubers bin ich zwar nicht die aus dem Schaum geborene Venus auf dem Gemälde von Botticelli, aber der dem Eisbad entstiegenen und fühle mich mindestens genauso neu geboren.

Und nun kommt er nochmals, der Horsestand – linker Arm mit Oberkörper nach rechts bewegend und der andere danach in die Gegenrichtung, um wieder warm zu werden, damit sich die Blutgefäße langsam öffnen, um das Kribbeln, das jeder kennt, zu vermeiden. Und es kommt – unmerklich – das Grinsen im Gesicht, das Gefühl es geschafft zu haben, und es geht auch so schnell nicht mehr weg. Das Grinsen nach dem Eisbad steht mir noch Tage später im Gesicht, wenn ich an das Erlebnis denke.

Dieses Mal musste es Eisbaden sein und künftig hilft morgens beim Duschen auch kaltes Wasser, um mir einen kühlen Schauer über Arme, Beine und den Körper zu jagen. Ob ich wieder in das Eiswasser steigen würde? Ja. Denn das Eisbad ist nur ein Teil eines Ganzen, wenn es auch der schwierigste Teil ist.

Info: Die Biohacker

Unter www.biohacking-bd.com gibt es alles rund um die Biohacker-Community. Vereinfacht gesagt ist das Fundament der Bewegung die Lehre von Pfarrer Kneipp, nur dass diese mit neuesten Erkenntnissen aus der Psychologie und der verbunden wurde. Wim Hof, in der Szene als The Iceman bekannt. Die sich lose zusammenfindende Szene soll in Bad Dürrheim ihre Heimat finden, so das erklärte Ziel der Kur und Bäder. Bereits vor Corona war ein Biohacker-Kongress geplant, der nun vom 28. bis 30. Oktober mit hochkarätigen Vertretern der Szene und Workshops stattfinden soll. Leiterin des Biohacker Projekts ist Beate Proske.