Vladimir Malakhov Foto: dpa

War es die Befürchtung, dass er unkündbar werden könnte? Über die Gründe, warum sein Vertrag als Intendant des Berliner Staatsballetts nicht verlängert wurde, kann Vladimir Malakhov nur spekulieren. Der Mann aus der Ukraine blickt lieber nach vorn und freut sich auf die Zukunft in Tokio.

War es die Befürchtung, dass er unkündbar werden könnte? Über die Gründe, warum sein Vertrag als Intendant des Berliner Staatsballetts nicht verlängert wurde, kann Vladimir Malakhov nur spekulieren. Der Mann aus der Ukraine blickt lieber nach vorn und freut sich auf die Zukunft in Tokio.
 
Berlin – Herr Malakhov, Ihre Zeit als Intendant in Berlin neigt sich dem Ende zu. Sie haben sich von einer Kompanie verabschiedet, deren Gründungsintendant Sie seit zehn Jahren gewesen sind. Sie kehren Deutschland den Rücken, werden künstlerischer Berater des Tokyo Ballet. Fühlen Sie sich hier nicht mehr zu Hause?
In Berlin, in meiner Wohnung hier, mit meinen Hunden fühle ich mich sehr wohl zu Hause. Wohnungen habe ich zwar immer gehabt. Aber wo mein Zuhause ist, weiß ich im Moment wirklich nicht. Ich stamme aus der Ukraine, habe die österreichische Staatsbürgerschaft, arbeite in Deutschland, bin das, was man einen Weltbürger nennt. Da fällt es zugegebenermaßen schwer, heimatliche Gefühle zu entwickeln – zumal dann nicht, wenn man vor so großen Veränderungen steht: Ich lege gewissermaßen meine alten Klamotten ab und kaufe mir neue mit einem Gefühl der Unsicherheit. Das braucht Zeit der Gewöhnung. Kurz: ich muss sehen, wohin mich das Leben führt – ob ich gelegentlich noch tanze oder mich ganz meiner neuen Aufgabe widme.
Sie müssen sich Ihrer Arbeit ja nicht schämen. Ihre Kollegen sprechen mit großer Hochachtung von dem, was Sie erst als Direktor der Staatsoper Unter den Linden und seit 2004 als Intendant des Staatsballetts Berlin geleistet haben.
Was ich mir vorgenommen habe, habe ich erreicht: Ich habe die wichtigsten Choreografien im Repertoire. Meine Tänzer bestehen mühelos im weltweiten Vergleich. Und die Kompanie ist nicht nur durch Gastspiele in der Schweiz, in Spanien, Japan, China und Taiwan weithin bekannt, sondern inzwischen international durchaus konkurrenzfähig. Und das alles, obwohl ich nicht wissen konnte, ob die Arbeitsteilung zwischen drei Häusern überhaupt funktioniert. Sicher, ich habe dabei Fehler gemacht. Aber besteht nicht das Leben aus Fehlern?
Wenn überhaupt, wird Ihre Vermarktungsstrategie in Zweifel gezogen. Man sagt, Sie hätten die Arbeit des Staatsballetts schlecht verkauft, insgesamt aber wird Ihre Arbeit positiv bilanziert.
Natürlich habe ich mir im Vorfeld die Arbeit meiner Kollegen angeschaut und gedacht, so wie ich das plane, funktioniert das auch. Vielleicht hätte ich auch einen Plan B machen, andere Varianten berücksichtigen sollen. Ich habe für mich nur eine Strategie entwickelt, und das war ohne Zweifel ein Fehler. Ich habe daraus gelernt und mir für meine Arbeit beim Tokyo Ballet quer durch das Alphabet eine ganze Reihe von Plänen zurechtgelegt, aber selbst dann kann man nicht alle Leute glücklich machen.
In Berlin ist Ihr Vertrag jedenfalls nicht verlängert worden.
Schwer zu sagen, warum. Vielleicht befürchtete man, ich könnte eines Tages unkündbar werden. Der Zeitfaktor spielte bei den Vertragsverhandlungen jedenfalls eine Rolle. Auch stellte man mir als Bedingung einer Verlängerung, dass ich nicht mehr tanze. Darauf konnte, darauf wollte ich nicht eingehen. Möglicherweise gab es auch einen dritten Grund, ich weiß es nicht. Es interessiert mich nicht: Ich beginne ein neues Leben, und das ist gut so.
Kein Blick zurück im Zorn?
Nein, insgesamt bin ich zufrieden mit dem, was hier geleistet wurde. Natürlich habe ich mir das Ende anders vorgestellt. Aber warum soll ich deswegen jetzt lange lamentieren. Ich habe eine Vision. Vielleicht kann ich sie mit einer anderen Kompanie realisieren.
Sie verabschieden sich von der Berliner Ballettbühne in den Hauptrollen von „Caravaggio“ und „Tschaikowsky“.
Es hätte auch ein anderes Ballett sein können, „Onegin“ beispielsweise. Aber ich muss ein gutes Gefühl dabei haben, und für die Cranko-Choreografie müsste ich wahrscheinlich zehn Jahre jünger sein. Diese beiden Rollen liegen mir besonders am Herzen. Beide Inszenierungen sind sehr emotional und wurden von den Choreografen mit mir und für mich erarbeitet. Aber man darf bei einer solchen Veranstaltung nicht bloß an sich selber denken. Für die Kompanie bedeutet das Spielzeitende Stress, und eine Woche nach meiner Abschiedsvorstellung hat der „Don Juan“ in der Komischen Oper Premiere. Das kann ich nicht einfach ignorieren. Auch mögen meine Tänzer beide Choreografien. Und beide stehen in der nächsten Saison nicht mehr auf dem Spielplan, wenn sie denn überhaupt noch einmal aufgeführt werden. Nacho Duato macht in seiner ersten Spielzeit vier eigene Stücke – so viel wie ich in zehn Jahren.
Also doch so etwas wie Wehmut?
Ach ja (seufzt). Aber so ist das eben im Leben: Jeder muss mal den Platz freigeben für einen anderen. Wenn auch nach einer Karriere, die man als Verkettung glücklicher Umstände bezeichnen kann. Petr Pestov, mein Mentor an der Bolschoi-Ballettschule, hat nur ein einziges Mal in seinem Leben eine Klasse vom Anfang bis zum Abschluss unterrichtet, und ich war dabei – anders als Alexei Ratmansky, mit dem ich die ganze Zeit über das Zimmer teilte. Pestov, den Alex Ursuliak auf meine Bitte hin an die John-Cranko-Schule nach Stuttgart holte, ist es letztlich zu danken, dass ich so lange tanzen konnte. Wien, Stuttgart, Toronto und New York: eine Station hat sich aus der anderen ergeben. Zuletzt Berlin, wo ich 1996 zum ersten Mal in Nurejews „Dornröschen“ gastierte: Niemand hat voraussehen können, wie sich mein Engagement dort entwickelt: 2002 wurde ich Ballettdirektor der Staatsoper Unter den Linden, zwei Jahre später Gründungsintendant des Staatsballetts.
Von dem Sie sich jetzt verabschieden, nicht ohne in Berlin Ihre Spuren zu hinterlassen.
Am 7. Januar, meinem Geburtstag, habe ich die Malakhov Foundation mit Sitz in Berlin gegründet, deren Ziel es ist, vor allem erkrankten oder bedürftigen Tanzkünstlern oder deren Familien eine Beihilfe zu Rehabilitation, Umschulung oder Fortbildung zu ermöglichen. Auch wird in Berlin als ein erstes Projekt der Stiftung am 26. und 27. September der Prix Taglioni vergeben, ein Europäischer Ballettpreis, der junge Talente, Spitzenleistungen, Tradition und Innovation würdigen will, wie es in den Statuten heißt. Wenn man so will, ist dies mein Vermächtnis.