Viele Eltern fahren ihre Kinder bis kurz vors Schultor. Das hohe Verkehrsaufkommen birgt Gefahren für die Kinder. Foto: dpa

Kinder sind auf dem Weg zur Schule weniger gefährdet als durch den zunehmenden Elterntaxi-Verkehr vor den Schulen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie aus Nordrhein-Westfalen. Auch vor Stuttgarter Schulen nehmen die Risiken zu, beklagen Rektoren und Verkehrspolizei.

Stuttgart - In der engen und unübersichtlichen Sackgasse, die zum Haupteingang der Silcherschule in Zuffenhausen führt, drängen sich morgens kurz vor acht Uhr die Autos. Nur einspurig kommen die Fahrzeuge aneinander vorbei. Links und rechts entlang der Fahrbahn parken die Autos der Anwohner. Teilweise müssen mehrere Pkw hintereinander rückwärts wieder aus der Gasse stoßen, um den Ausfahrenden Platz zu schaffen.

Das ist kein leichtes Unterfangen bei der unübersichtlichen Situation und doppelt gefährlich bei Regen und beschlagenen Scheiben. Einige Fahrer schauen genervt aus ihrem Fahrzeugfenster, wenn es im Schneckentempo Richtung Schultor geht. Andere lassen ihre Kinder einfach vorher aussteigen. Das ist nicht ungefährlich für die Grundschüler, die eng an den hin und her rangierenden Fahrzeugen vorbei müssen. Die Erstklässler ragen gerade mal mit dem Schopf über die Motorhauben der Autos.

„Obwohl wir gerade zu Beginn eines neuen Schuljahrs mit Handzetteln auf die beengte Haltesituation an unserer Zufahrtsstraße hinweisen, bricht hier regelmäßig das Chaos aus“, sagt Dorothea Maar, die Schulleiterin der Grundschule in Zuffenhausen. Elterntaxis nennen Verkehrsexperten die zahlreichen Privatautos, mit denen die Grundschüler zur Schule gefahren werden. Jeder möchte sein Kind nur schnell absetzen, doch das hohe Verkehrsaufkommen vor Schulen stellt vor allem für Kinder, die zu Fuß kommen, eine große Gefahr dar.

Das bestätigt eine aktuelle Studie der Bergischen Universität Wuppertal im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC). Durch regelwidriges Anhalten, riskante Wendemanöver und fehlende Sicherheitsvorkehrungen steige, so die Studie, das Unfallrisiko für die Kinder. Die Universität hat Schüler, Lehrer und Eltern an etwa 750 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen befragt. Fazit: Je weniger Elterntaxis, desto sicherer leben Schüler, die zu Fuß kommen.

Auch negativer Effekt auf die Verkehrserziehung

Die Verkehrspolizei Stuttgart hat im Jahr 2012 insgesamt 192 Unfälle mit Kindern bis 14 Jahren registriert, 19 haben sich auf dem Schulweg ereignet. Sechs der Schulkinder wurden schwer, 14 leicht verletzt, jeweils zwei mehr als noch im Vorjahr. „Die Unfälle mit Elterntaxis liegen uns nicht gesondert vor“, sagt Harald Trunk von der Verkehrspolizei. Allerdings gebe es an etlichen Einrichtungen in der Stadt Ärger und Klagen über das unkontrollierbare Verkehrsaufkommen vor den Eingängen.

In vielen Fällen, in denen die Verkehrspolizei Kontrollen vor den Schulen gemacht hatte, lauerten allerdings noch weitere Gefahren für Kinder: Zahlreiche Ordnungswidrigkeiten wie unangeschnallte Fahrzeuginsassen und falsche oder fehlende Kindersicherungen wurden festgestellt. Das erklärt eventuell ein weiteres Ergebnis der Wuppertaler Studie: Im vergangenen Jahr kamen 10 363 Kinder unter 15 Jahren im Auto ihrer Eltern zu Schaden.

Elterntaxis haben aus Sicht der Verkehrsexperten beim ADAC einen weiteren negativen Effekt, und zwar auf die Verkehrserziehung der Grundschüler. „Kinder bekommen durch Erfahrungen im Verkehr nicht nur mehr Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit, sondern verbessern ebenfalls ihre räumliche Orientierung. Und diese ist im Straßenverkehr sehr wichtig, um Gefahren schnell zu erkennen“, sagt Werner Wiesenfarth, der Leiter der Verkehrssicherheitsprogramme vom ADAC. Daher rät er allen Eltern, ihre Kinder möglichst in Laufgruppen zur Schule gehen zu lassen, sofern der Schulweg dem Schüler vertraut und sicher ist.

Die Schulen haben diesen Rat längst beherzigt. „Sie bieten in fast allen Stadtteilen mittlerweile Aktionen an, die zum Selberlaufen anregen“, sagt Peter Schwarz, der Leiter der Verkehrserziehung bei der Stuttgarter Polizei. Dabei könnten Kinder ihre selbstständige Mobilität entwickeln.

Elterntaxis aus Furcht um Sicherheit des eigenen Kindes

Die Elise-von-König-Schule in Münster wirbt deshalb zu jedem neuen Schuljahr für ihren Walking Bus. Das sind Laufgemeinschaften von Kindern, die Schüler an definierten Stopps auf dem Weg zur Schule einsammeln und anfangs von Erwachsenen begleitet werden. „Einen Pulk aus Kindern sieht der Autofahrer sofort und wird automatisch langsamer“, sagt Peter Schwarz. „Nur durch regelmäßiges Üben lernen die Kinder, sich selbstständig und sicher im Straßenverkehr zu bewegen.“

Dort, wo solche Appelle nicht fruchten, suchen die Schulen nach weiteren Lösungen. An der Silcherschule gibt es Hol- und Bringzonen, doch „viele Eltern fahren trotz dieser ausgewiesenen Parkmöglichkeiten direkt vors Schultor“, sagt Schulleiterin Dorothea Maar. „Die Kinder können deshalb das, was sie in der Verkehrserziehung und beim Schulwegtraining gelernt haben, gar nicht anwenden.“

Oftmals ist es die Furcht um die Sicherheit des eigenen Kindes, die Eltern morgens ins Auto steigen lässt. Deshalb hat die Stadt Stuttgart Schulwegpläne für jede Schule ausgegeben. Dort sind sichere Fußwege für die Kinder verzeichnet und auch Geschäfte und öffentliche Einrichtungen, wo Kindern in Notfällen geholfen wird. Susanne Putzien vom Ordnungsamt Stuttgart und mitverantwortlich für die Schulwegpläne, plädiert für den Schulweg zu Fuß, weil die Bewegung die Konzentrationsfähigkeit fördere und das soziale Verhalten schule: „Die Kinder können sich bereits auf dem Weg austauschen.“ Spätestens in den höheren Klassen wissen Schüler das zu schätzen – und wenn es nur wegen der Hausaufgaben ist.