Demonstrierte an Pfarrerin Marlies Haist symbolisch, was die Bibel mit ihrem bekannten Rat sagen will: Oliver Weidermann Foto: Karina Eyrich

„Dunkle Worte der Bibel ins Licht gerückt“ hat Oliver Weidermann vom Bildungswerk Balingen und Sulz der evangelischen Kirche beim Sakristeigespräch in der Martinskirche. Manches ist sprachlich knifflig.

Der Apostel Paulus war gar kein Frauenfeind und Jesus hat durchaus doppeldeutig gesprochen. Das ist die Erkenntnis aus einem Abend in der Sakristei der evangelischen Martinskirche, an dem Oliver Weidermann mit einer ganzen Reihe von Missverständnissen aufgeräumt hat.

Von diesen wimmelt es im Buch der Bücher für jene, die nur lesen, den Blick dabei aber nicht tiefer richten, wie Weidermann an Beispielen gezeigt hat: „Die Rache ist mein“ (Dtn 32,35) etwa lasse einen rachsüchtigen Gott erwarten. Sagen wolle der Satz jedoch, dass die Rache die Sache Gottes und nicht die des Menschen sei – und das Volk Israel habe zu biblischer Zeit stets daran festgehalten.

Noch mehr prügeln lassen muss sich keiner

„Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar“ (Mt 5,38ff) bedeutet laut Weidermann nicht, dass der Geschlagene sich weiter prügeln lassen solle – vielmehr lenke er die Gewalt, die auf ihn zukomme, in seinem Sinne um. Was er meinte, demonstrierte er – symbolisch – an Pfarrerin Marlies Haist, die ihm gegenüberstand: Die Römer, so Weidermann, hätten die Juden mit dem Handrücken, also auf ihre rechte Wange, geschlagen und ihnen damit gezeigt, dass sie ihnen nicht ebenbürtig gewesen seien. Wollten sie einem Juden auf die linke Wange schlagen, mussten sie zwangsläufig die Handfläche nehmen, was bedeutet habe, dass sie dem Geschlagenen auf Augenhöhe begegneten.

Reiche Bildsprache kann zuweilen erschrecken

In Israel spreche man – wie im ganzen Orient – sehr metaphorisch, betonte Weidermann und nannte ein Beispiel aus der Neuzeit: Als Nikita Chruschtschow 1956 vor den Vereinten Nationen gesprochen habe, habe er gesagt: „Wir werden Euch begraben.“ Die westliche Welt sei gehörig erschrocken, doch auch der sowjetische Staatschef habe das bildhaft gemeint im Sinne von: „Wir werden euch und euer System“ – den Kapitalismus – „überwinden.“

Ein ähnliches Beispiel findet sich in Psalm 137: „Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert!“ Doch gemeint seien nicht die Kinder Babels, sondern dessen Zukunft. Die eigentliche Aussage: „Möge Babylon mit der Gewalt, die es gegen uns ausübt, keine Zukunft haben.“

Als wohl bekanntestes Beispiel dafür, wie wichtig der genaue Blick sei, nannte Weidermann die Herbergssuche Josefs und Marias im Neuen Testament: „Da steht nicht: ‘Sie wurden überall abgewiesen‘, sondern ‘Sie hatten keinen Raum in der Herberge‘“, betonte er und erklärte: „In altorientalischen Herbergen schliefen alle in einem Raum. Zur Geburt Jesu mussten Maria und Josef also runter ins Erdgeschoss, in den Stall – das war so zusagen der Kreißsaal.“

Will Paulus wirklich die Unterordnung der Frauen in der Gemeindeversammlung?

Missgedeutet werden bis heute auch ein Satz aus dem ersten Korintherbrief des Apostels Paulus, in dem es heißt: „Wie in allen Gemeinden der Heiligen 34 sollen die Frauen schweigen in den Gemeindeverssammlungen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.“ Drei Kapitel vorher aber spreche Paulus davon, dass eine Frau ihr Haupt bedecken solle, wenn sie bete oder prophetisch rede, also predige. „Damit akzeptiert Paulus die aktive Rolle der Frau im Gottesdienst“, betonte Weidermann und verriet, dass Bibelexperten herausgefunden hätten, dass der Satz über das Schweigen der Frau nicht von Paulus stamme, sondern von einem seiner Schüler. Und dass die erste christliche Gemeinde in Europa, im griechischen Philippi, von einer Frau gegründet worden sei: der Purpurhändlerin Lydia.

Die Spülmaschinenaffäre

Einen Fall aus Friesland
hat Oliver Weidermann als Beispiel für die falsche Auslegung des Satzes aus dem Korintherbrief, Kapitel 14, und ihre Folgen im Hinblick auf die Rolle der Frau in der Kirche genannt: Die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Stapelmoor hatte eine gespendete Spülmaschine wieder zurückschicken müssen, weil der Kirchenrat der Meinung war, dass die Kommunikation zwischen den Frauen der Gemeinde zusammenbreche, wenn sie nicht mehr gemeinsam den Abwasch machten. Wann das passiert ist? Darüber berichtet „die tageszeitung“ in ihrem Artikel vom 10. März 2023 nicht, wohl aber darüber, dass Pastorin Barbara Wündisch-Konz, die dort 2019 ihren Dienst angetreten habe, erst vor kurzem das Handtuch geworfen und sich im 60 Kilometer entfernten Krummhörn beworben habe. Sie kritisiere, dass junge Frauen in der Gemeinde nicht zum Zug kämen, schreibt die „taz“.