Reid Anderson. Foto: dpa

Es geht um mehr als um die Cranko-Schule – Stuttgarts Ballettintendant Anderson über die Entwicklungen.

Stuttgart - Kommt sie, kommt sie nicht? Die John-Cranko-Schule des Stuttgarter Balletts soll neu gebaut werden, das Projekt aber ist wiederholt verschoben worden. 32 Millionen Euro wollen die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg investieren.

Herr Anderson, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster kündigte nach dem Spitzengespräch von Stadt und Land am Montag an, es dürfe nun hinsichtlich des geplanten Neubaus der John-Cranko-Schule des Stuttgarter Balletts „keine weiteren Verzögerungen“ geben. Atmen Sie auf? Positive Nachrichten dieser Art gab es ja schon wiederholt.
Ich bin ein ewiger Optimist. Ja, ich atme auf!

Zuletzt rückte die Raumnot auch der Kompanie wieder stärker in den Blick. War es vielleicht ein Fehler, die Bedeutung des Neubaus gerade auch für das Stuttgarter Ballett an sich zu sehr in den Hintergrund treten zu lassen?
Die Probebühne, die der Neubau beinhalten sollte, war eigentlich schon immer ein Thema – wir haben von Anfang an darauf hingewiesen. Dies ist auch der Grund, warum wir so darauf gepocht haben, die neue Schule so nah wie möglich an die Kompanie beziehungsweise an das Staatstheater zu bauen. Damit die Kompanie dort trainieren und proben kann und damit die Schüler zu uns ins Theater kommen können, wenn sie bei unseren Vorstellungen mitmachen.

Wäre also die Frage Probebühne wie schon für die Oper und das Schauspiel mit der Spielstätte Nord das Thema, mit dem Sie jetzt in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit erzielen wollen?
Natürlich. Die Probebühne würde ermöglichen, dass die Kompanie endlich in adäquaten Räumlichkeiten proben könnte. Unsere Ballettsäle im Staatstheater haben nicht die Dimensionen der Opernhausbühne. Das bedeutet, dass die Tänzer sich ständig räumlich umstellen müssen, was für Ballette mit großem Corps de Ballet besonders schwierig ist. Außerdem würde uns die Probebühne auch erlauben, unser Publikum an unserer täglichen Arbeit teilnehmen zu lassen durch öffentliches Training und Proben. Ganz zu schweigen davon, was wir damit für Schulklassen machen könnten. Die Probebühne soll ja eine Tribune für bis zu 200 Zuschauer haben: Da könnten mehrere Schulklassen auf einmal unsere Proben und Trainings beobachten. Die neue Schule soll mitten in der Stadt stehen – und damit auch mitten im Leben der Stadt!

Eine Million Euro haben die Freunde des Staatstheaters für das Projekt bereits zugesagt. Welches Engagement lässt sich für das Stuttgarter Ballett mobilisieren? Und mit welchen Aktionen?
Unter Federführung des Fördervereins wurde mit diesem Betrag ein Grundstein gelegt. Wir möchten nun Schritt für Schritt weiterarbeiten, um dieses sehr begrüßenswerte Bürgerengagement auszubauen. Denkbar wären „Fundraising“-Ereignisse oder Vorstellungen zugunsten des Neubaus.

"Neues Theatererlebnis bieten"

Das Schauspiel muss das eigentlich sanierte Schauspielhaus wieder verlassen. Welche Folgen hat dies für das Stuttgarter Ballett?
Wir müssen hoffen, dass das Theaterzelt sich realisieren lässt. Dadurch entsteht vielleicht sogar etwas Positives, wir könnten hoffentlich unserem Publikum ein neues Theatererlebnis bieten. Sollte das Theaterzelt nicht zustande kommen, verlieren wir nächste Spielzeit eine Premiere und zudem viele Vorstellungen.

2011/2012 mussten Sie bereits betont klassisch agieren, um den Beitragsausfall der Stadt für die Feiern zum 40-jährigen Bestehen des Stuttgarter Balletts kompensieren zu können. Jetzt fehlt Ihnen wieder ein programmatischer Ort und könnten Sie erneut gezwungen sein, betont klassisch zu agieren, um aus dem Ballett selbst heraus Gelder für die John-Cranko-Schule zu erwirtschaften. Ist das nicht ein sehr schwieriger Zustand?
Wir reden hier von drei völlig verschiedenen Etats und Zuständigkeiten: Zum einen ist da die Kompanie und das, was wir durch unseren Spielplan und unsere in der Tat sehr hohe Auslastung für das Staatstheater Stuttgart erwirtschaften. Zum anderen ist da der Etat der John-Cranko-Schule, der ja separat von der Kompanie ist. Und zuletzt sprechen wir von einem Bauvorhaben der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg für eine Staatliche Ballettschule, die übrigens die erste in der Bundesrepublik Deutschland war. Diese Etats können schon aufgrund von gegebenen Strukturen nicht vermischt werden. Ich kann und werde den Neubau der Schule nicht durch 200 „Schwanensee“-Vorstellungen finanzieren, noch sollte ich das tun!

Und wie groß ist Ihr Vertrauen nach den Erfahrungen im Schauspielhaus, dass das Gesamtprojekt John-Cranko-Schule und Probebühne nicht zur Endlos-Geschichte wird?
Was mit der Sanierung des Schauspielhauses passierte, ist sehr schade und war eigentlich nicht zu erwarten. Für Tadeusz Matacz als Leiter der Schule, Marc-Oliver Hendriks als Geschäftsführenden Intendanten des Staatstheaters und mich als Intendanten des Stuttgarter Balletts aber ist diese Erfahrung sehr wichtig, denn es hat alle Alarmglocken bei uns – und nicht nur bei uns! – ausgelöst. Wir begrüßen die Initiative, eine Arbeitsgruppe zu bilden, bei der wir – Marc-Oliver Hendriks, Tadeusz Matacz und ich – aktiv mitreden und mit einbezogen werden.

Herr Anderson, im Zuge dieser Bauwirren werden die Stimmen wieder lauter, die eine Finanzierung von Kultur an sich infrage stellen. Wünschten Sie sich nicht nur, aber vielleicht gerade jetzt, mehr politische Rückendeckung für Ihre Arbeit?
Ganz ehrlich gesagt, finde ich, dass wir Rückendeckung von der Politik haben. Dass es zu Verzögerungen beim Neubau der John-Cranko-Schule gekommen ist, ist bedauerlich bis ärgerlich. Mein Eindruck jetzt ist aber, dass der politische Wille da ist, dieses Projekt endlich zu verwirklichen. Unsere Arbeit – meine Arbeit – wird geschätzt. Denn: Am meisten Rückendeckung erhalten wir ja von unserem Publikum, und das wissen die zuständigen Politiker auch. Ich spüre eine Bereitschaft seitens Stadt und Land, meinen Traum von einem Neubau für die John-Cranko-Schule Realität werden zu lassen. Denn dort werden die Tänzer der Zukunft für das Publikum von morgen ausgebildet.