Ein Lastwagen fährt über die Neckarbrücke bei Remseck. Foto: Petsch

Das in Stuttgart geltende Durchfahrtsverbot für Lkw sorgt andernorts für mehr Verkehr.

Remseck - Das in Stuttgart geltende Durchfahrtsverbot für schwere Lastwagen sorgt nicht nur auf Bundesstraßen für einen deutlichen Verkehrszuwachs. Auch kleine Landstraßen sind zu Ausweichrouten für die Brummis geworden - allein auf der Neckarbrücke in Remseck sind täglich 750 Lkw mehr unterwegs.

Wer ein halbes Dutzend Gäste zum Abendessen erwartet, schaut ziemlich verdutzt, wenn sich plötzlich mehr als 30 Personen um den Tisch drängen. So ähnlich geht es der Stadt Remseck mit dem im Januar 2010 in Stuttgart eingeführten Durchfahrtsverbot für schwere Lastwagen: Vor der Sperrung der Landeshauptstadt für die Brummipiloten hatte das Stuttgarter Regierungspräsidium einen vergleichsweise moderaten Anstieg der Verkehrsbelastung prophezeit. Um etwa 170 Lastwagen pro Tag, so die Hochrechnung der behördlichen Straßenplaner, werde sich die Zahl der 40-Tonner und Sattelzüge auf der als Engstelle zwischen dem Kreis Ludwigsburg und dem Rems-Murr-Kreis geltenden Neckarbrücke erhöhen. Doch eine vom Remsecker Rathaus im Frühjahr in Auftrag gegebene Verkehrszählung belegt, dass sich weitaus mehr Lastwagen durch das enge Nadelöhr quälen als gedacht. Unterm Strich nämlich steht ein Plus von 765 Brummis pro Tag - das sind fast fünfmal so viele Lastwagen wie von der Planungsbehörde erwartet.

Insgesamt ist der Schwerverkehr auf der Neckarbrücke laut dem Verkehrsexperten Gunter Kölz durch die Einführung des Stuttgarter Durchfahrtsverbots um ein Viertel gestiegen - statt wie früher knapp 2900 rollen inzwischen täglich rund 3550 Brummis in Remseck über den Fluss. "Ein Lastwagen produziert acht- bis zehnmal mehr Lärm und Abgase als ein Auto - und das wird auch so empfunden", erklärte der von der Stadt beauftragte Verkehrsplaner bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse im Remsecker Gemeinderat.

Der Schwerlastanstieg auf der Neckarbrücke ist beileibe kein Einzelfall. Auch auf anderen Straßen der Region hat sich durch das Stuttgarter Durchfahrtsverbot die Zahl der Brummis deutlich erhöht. Während auf der Weinsteige, im Schwanentunnel oder auf dem Schattenring inzwischen weitaus weniger Lastwagen unterwegs sind, hat etwa die automatisch zählende Messanlage auf der B 10 in Plochingen ein Plus von knapp 20 Prozent registriert - seit der Einführung rollen täglich fast 600 Lastwagen zusätzlich durch. Auch an der Zählstelle auf der B 27 bei Kornwestheim ist ein Anstieg um etwa 300 zusätzliche Brummis pro Tag zu verzeichnen. Und selbst weit am Rand der Region in Göppingen oder Walheim im Kreis Ludwigsburg sind die Auswirkungen der Stuttgarter Verkehrslenkung spürbar.

Lkw-Zunahme auf vielen Strecken

Eine der höchsten Zuwachsraten beim Lkw-Verkehr hat eine Strecke, die gern als Bypass für den staugefährdeten Weg übers Leonberger Dreieck und das Stuttgarter Kreuz genutzt wird: Weil sich Lastwagenfahrer den Ärger auf der Autobahn sparen und von Mundelsheim im Kreis Ludwigsburg (A 81) über die B 14 und die B 10 zum Anschluss in Wendlingen (A 8) kurven, weist die nur zweispurig ausgebaute Landesstraße 1115 von Großbottwar nach Backnang einen Anstieg um 21,4 Prozent auf. Im Schurwald wird bereits ein eigenes Durchfahrtsverbot für Lastwagen gefordert. Und die Stadt Ludwigsburg erwägt gar eine Klage: Obwohl die Kommune ebenso wie Stuttgart unter viel zu hohen Feinstaubwerten in der Luft leidet, hat das zuständige Regierungspräsidium ein ebenfalls beantragtes Durchfahrtsverbot hier abgelehnt - schon um Kornwestheim und Remseck vor noch mehr Lkw-Verkehr zu schützen.

Auch deshalb fordert Remsecks Oberbürgermeister Karl-Heinz Schlumberger vom Regierungspräsidium, engagiert am Planfeststellungsverfahren für eine zweite Neckarbrücke weiterzuarbeiten. "Ohne eine vernünftige Verkehrsentlastung durch eine zusätzliche Flussquerung kommen wir in Remseck nicht weiter", sagt der Rathauschef. Das Dilemma: Just an der Stelle, an der die Stadt in den nächsten Jahren ein attraktives Zentrum mit Geschäften und Gastronomie rund um den Stadtbahn-Halt errichten will, liegt eine täglich von Tausenden Autos und Lastwagen befahrene Straßenkreuzung - der seit 1995 immer wieder diskutierte Traum von einer florierenden Stadtmitte scheiterte bisher stets an den über die Neckarbrücke rollenden Fahrzeugen.

Im Frühjahr hat das Remsecker Rathaus eigens einen Ideenwettbewerb für den staugeplagten Ortskern auf den Weg gebracht. Mitte September soll sich ein Preisgericht mit den Entwürfen beschäftigen. Zumal sich eine andere Hoffnung auf Verkehrsentlastung zerschlagen hat: Spätestens seit dem Regierungswechsel im Land ist auch der jahrelang diskutierte Bau eines Nordostrings um Stuttgart wieder in der Schublade verschwunden - das Regierungspräsidium hat die Planungen offiziell ausgesetzt.