Sahra Wagenknecht ist Namensgeberin der neuen Partei, die im Januar gegründet wurde. Foto: /Bildgehege

In Umfragen zu den Landtagswahlen im Osten ist die AfD stärkste Kraft, andere Parteien schließen eine Koalition aus. Auch das BSW liegt im zweistelligen Bereich – was bedeutet das für die Mehrheitsbildung?

Im September 2024 wird in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Der Politikwissenschaftler Hendrik Träger von der Universität Leipzig ordnet ein, welche Chancen dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zukommen und was eine mögliche Regierungskoalition für die junge Partei bedeuten würde.

Herr Träger, was ist die Schwierigkeit, wenn das BSW im September bei den Landtagswahlen antritt?

Was die Umfragen angeht, sind in den drei Bundesländern unterschiedliche Szenarien denkbar. Das BSW ist eine neue Partei, die Landesverbände sind noch im Entstehen. Entscheidend ist, dass die Partei zwar nach Frau Wagenknecht benannt ist, aber eine Person schlecht in allen drei Bundesländern antreten kann. Das heißt, es ist auch davon abhängig, welche Personen das BSW in den Landesverbänden repräsentieren und dann eventuell in den Landtag einziehen werden. Dann können sich die anderen Parteien überlegen, ob es zu einer Koalition kommen soll. Die Umfragewerte sind auch in erheblichem Maße Vorschusslorbeeren, die auf der Bekanntheit und Prominenz von Sahra Wagenknecht beruhen. Es wird auch darauf ankommen, wie sich das BSW inhaltlich positioniert.

Welche Regierungskonstellationen wären denn mit dem BSW vorstellbar?

Das BSW scheint derzeit sehr flexibel. Außer mit der AfD sind sie offenbar für alle Bündnisse offen. Die anderen Parteien werden sich bis zur Wahl allerdings mit Koalitionsaussagen wahrscheinlich zurückhalten. Jedes Mal, wenn ein Politiker oder eine Politikerin sagen würde, wir könnten uns vorstellen mit dem BSW Koalitionsgespräche zu führen, könnte das dem BSW mehr Stimmen bringen – was natürlich die Politiker und Politikerinnen der anderen Parteien vermeiden wollen. Sie wollen ja den Stimmenanteil ihrer eigenen Partei stärken und nicht Wahlkampfhelfer des BSW sein.

Was halten Sie von der Forderung von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, wonach die CDU ihren Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linken revidieren soll, um in Thüringen eine AfD-Regierung zu verhindern?

Ich finde, da hat Joachim Gauck völlig recht. Der Unvereinbarkeitsbeschluss hat eine sehr westdeutsche Prägung. Darin steht sinngemäß, dass die CDU Koalitionen mit der Linken und der AfD ausschließt. Fraglich ist, ob das BSW ähnlich zu bewerten ist. So ein Beschluss kann in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen aufgestellt werden, wo es keine Linke im Landtag gibt und die AfD vergleichsweise wenige Abgeordnete stellt. Aber in Ostdeutschland auf Landes- und auf Kommunalebene zu sagen, weder mit der Linken noch mit der AfD zusammenzuarbeiten, obwohl beide Parteien zum Beispiel in Thüringen über die Hälfte aller Abgeordneten stellen – das hat mit der politischen Realität nichts zu tun.

Gibt es für die anderen Parteien noch eine Chance auf eine Regierungsbildung ohne AfD oder BSW?

Stand April kann ich eigentlich nichts ausschließen. Die Umfragewerte spiegeln nichts anderes als die jetzige Situation wider. Die wenigsten Bürgerinnen und Bürger machen sich Anfang April schon Gedanken darüber, wen sie bei der Landtagswahl im Herbst wählen. In Ostdeutschland gibt es ohnehin die Situation, dass die Parteibindung in geringerem Maße als im Westen ausgeprägt ist. Das heißt, die Wählerinnen und Wähler sind wechselhafter, was das Wahlverhalten angeht.

Vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen findet noch die Europawahl statt. Wie wichtig ist die für das BSW?

Ganz wichtig. Die Europawahlen sind der erste Stimmungstest. Eine Partei kann gute Umfragewerte haben, aber ein vergleichsweise schlechtes Wahlergebnis. Deshalb wird es für das BSW darauf ankommen, wie das Ergebnis bei der Europawahl ausfällt. Ein Vorteil ist, dass es keine Sperrklausel gibt, das heißt, man kommt schon mit zwei, drei oder vier Prozent in das Europäische Parlament. Selbst wenn es für das BSW schlecht laufen würde, könnte man zumindest ein paar Abgeordnete stellen. Wenn das Wahlergebnis den Erwartungen entspricht oder sie übersteigt, dann könnte das BSW den Anfang einer Erfolgswelle erleben.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen BSW und AfD einschätzen?

Das BSW und die AfD sind in einem starken Konkurrenzverhältnis, weil beide um eine ähnliche Klientel zu konkurrieren scheinen. Frau Wagenknecht hat in ihrer alten Partei seit sieben, acht Jahren gesagt, die Linke verliert Wählerinnen und Wähler an die AfD, unter anderem wegen der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Die wollte Sahra Wagenknecht anpassen, womit sie sich in ihrer alten Partei aber nicht durchsetzen konnte. Ihr Ziel, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen, hat sie nicht erreicht – und auch deshalb die neue Partei gegründet.

Angenommen das BSW wird Teil einer Koalition. Was würde das für Brandenburg, Sachsen und Thüringen bedeuten?

Es gibt Beispiele von neuen Parteien in Regierungen, das ist aber nicht einfach, weil man Führungsfähigkeiten und Personal braucht. Es kann außerdem innerhalb der Partei zu Konflikten kommen: Die Parteifreundschaft kann schnell zu Ende sein, wenn jemand anderes einen Posten hat, für den man sich selbst viel besser geeignet hält. Nach einer erfolgreichen Wahl und dem Eintritt in eine Koalition kommt der Regierungsalltag. Fünf Jahre lang zu regieren, ohne dass wöchentlich der Koalitionsbruch um die Ecke winkt, oder die Partei mit den inhaltlichen Abstrichen durch einen Kompromiss unzufrieden ist – das ist eine große Herausforderung.

Der Politikwissenschaftler

Berufliches
Hendrik Träger ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet seit 2014 am Arbeitsbereich „Politisches System Deutschlands/Deutschland in Europa“ an der Universität Leipzig. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit Parteien und Wahlen auf kommunaler, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene.