Deutsch ist zum Problemfach geworden. Immer mehr Schüler haben elementare Probleme mit der Sprache. Foto: dpa/Armin Weigel

In Deutsch sind die Neuntklässler im Land gefährlich abgesackt. Mehr als die Hälfte ist am unteren Ende der Leistungsskala. Wieso das ein enormes Risiko für die Schüler, das Land und die Schulen ist.

Dass die Schüler bundesweit und in Baden-Württemberg in Deutsch schlechter geworden sind, ist bekannt, seit der jüngste IQB-Bildungsbericht über die Sprachkenntnisse der Neuntklässler veröffentlicht wurde. Wie miserabel die Deutschfähigkeiten der Schüler mittlerweile sind und welche Risiken daraus erwachsen, ist dagegen bisher unterbelichtet geblieben. Die Kernfrage lautet: Können die baden-württembergischen Schüler in der deutschen Sprache noch gut genug lesen und Gehörtes verstehen, um überhaupt lernen zu können?

Mehrheit ist schwach in Deutsch

Die Antworten, die der 500 Seiten dicke IQB-Bericht zusammenträgt, sind erschütternd. Die Mindestanforderungen für den Hauptschulabschluss, von denen die Chefin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Petra Stanat, sagt, dass die wirklich jeder Schüler schaffen sollte, verfehlen in Baden-Württemberg beim Lesen schon mehr als zehn, beim Zuhören sogar fast zwanzig Prozent. Wäre der IQB-Test die Abschlussprüfung der Realschule gewesen, hätten beim Lesen 28 und beim Zuhören 32 Prozent nicht bestanden. Dabei entwickelt dieses Niveau sich laut den Bildungsforschern international zur Mindestanforderung für jegliche Schulbildung. Zusätzlich krebsen im Land 27 Prozent (Lesen) und 20 Prozent (Zuhören) der Schüler auf einem Realschulvierer herum.

Damit ist mehr als die Hälfte der Neuntklässler im Land in Deutsch am unteren Ende der Leistungsskala. Das ist der prekäre Bereich, in dem die Fähigkeit zum Weiterlernen nicht oder nur mit Ach und Krach vorausgesetzt werden kann. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen beim IQB-Test im Durchschnitt nur die Lesefähigkeit eines schlechten Realschülers gezeigt haben, der die mittlere Reife gerade schafft. Beim Zuhören ist der Durchschnitt immerhin im unteren Mittelfeld.

Die Schul-Befunde sind eine Katastrophe

Weil Deutsch die Unterrichtssprache in allen Fächern ist, sind diese Leistungsmängel ein großes Risiko. Noch einmal: Mit den Deutschkenntnissen im „grünen Bereich“ ist in Baden-Württemberg nur noch eine Minderheit der Neuntklässler von 44 Prozent im Lesen und 47 Prozent im Zuhören. Eine Insel der Seligen ist nirgends in Sicht. Auch in den Gymnasien erfüllt jeder fünfte Neuntklässler maximal die Mindestanforderungen für die Mittlere Reife.

Im Zeitalter rasch wachsenden Wissens ist diese Lernstandsdiagnose ein schwerer Nachteil, der alle Jugendlichen während ihrer gesamten Bildungs- und Berufslaufbahn belastet. Für das Land Baden-Württemberg, dessen Wohlstand seit Generationen auf der Leistung von Ingenieuren und Facharbeitern beruht, sind die Befunde eine Katastrophe.

Dass der Trend bei den Neuntklässlern sich schon beim IQB-Bildungsbericht über die Kernkompetenzen der Viertklässler gezeigt hat, ist kein Grund zur Beruhigung, im Gegenteil. Das Sprichwort vom Hans, der nimmermehr lernt, was Hänschen nicht gelernt habe, müsste wegen der Notwendigkeit zum lebenslangen Lernen längst eingemottet sein. Dass es beim Deutschlernen stattdessen schon ab dem Ende der vierten Klasse gilt, ist fatal. Zwar fühlen sich die Bildungsforscher des IQB weniger für die Ursachenforschung zuständig als für die Beschreibung der Schulleistungen. Doch in aller Vorsicht machen Petra Stanat und ihr Team zwei Ursachen für die bundesweit negative Entwicklung aus. „Einiges spricht dafür, dass die Pandemieeinschränkungen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürften“, heißt es in dem Bericht. Und: „Eine weitere Ursache der Ergebnismuster, die im IQB-Bildungstrend 2022 für die untersuchten Kompetenzen identifiziert wurden, dürfte im weiter gestiegenen Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund liegen.“

Problematischer Mix

Offenbar war die Kombination aus Pandemie und starker Zuwanderung eine problematische Mischung für die Schulen. Dabei haben sicher auch andere Faktoren eine Rolle gespielt – etwa, dass die Aufmerksamkeitsspanne im Internetzeitalter abnimmt und der Deutschunterricht mit seiner eher traditionellen Methodik nur noch 18 Prozent der Schüler zu interessieren vermag.

Schaffen die Schulen es, sich aus dieser Deutsch- und Lernmisere wieder herauszuarbeiten, oder droht ihnen der Kollaps? Auch wenn man nicht glaubt, dass es bald zu einer neuen Pandemie mit fast einjährigem Wechsel- und Fernunterricht kommt, spricht nichts dafür, dass das Leistungsproblem in Deutsch sich von selbst erledigt. Denn der Zuwanderung der Jahre 2015/16, die eine Ursache der aktuellen Deutschschwäche ist, folgt 2022/2023 eine weitere Migrationswelle, die die Schulen erneut herausfordert. Außerdem wollen Bundes- und Landesregierung dem Fachkräftemangel durch gezielte Zuwanderung begegnen.

Schule und Migration

Der Umgang mit frisch zugewanderten Schülern wird so zur Daueraufgabe für die Schulen. Deshalb lohnt es sich, das Thema genauer zu beleuchten. Im Südwesten hatten zum Testzeitpunkt 2022 45,7 Prozent der beim IQB-Trend getesteten Jugendlichen Migrationshintergrund. Damit ist der Südwesten nach Hessen (52,5 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (45,8 Prozent) das Flächenland mit dem dritthöchsten Anteil zugewanderter Schüler. Von 2015 bis 2022 ist der Anteil der baden-württembergischen Neuntklässler, die zu Hause immer Deutsch sprechen, um 15 Prozent auf knapp 62 Prozent gesunken. 35 Prozent sprechen zu Hause manchmal, drei Prozent nie Deutsch. Trotzdem hat die Gesamtheit der Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Land beim Lesen 437 und beim Zuhören 401 Punkte erreicht, was knapp die Mindestanforderungen der Realschule erfüllt.

Dass ihre Deutschkenntnisse im Land bei einem Vierer im Realschulabschluss liegen, ist zwar nicht gut, aber trotzdem ein Erfolg. Sieben Länder bringen ihre zugewanderten Schüler lediglich auf das Niveau des Hauptschulabschlusses. Dazu zählen auch Länder wie Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo der Zuwandereranteil unter den Schülern mit 10,6 beziehungsweise 12,3 Prozent am niedrigsten ist.

Bundesweites Systemversagen

In ganz Deutschland ist es den Schulen nicht gelungen, die Schüler der ersten Zuwanderergeneration (wo beide Eltern und das Kind im Ausland geboren sind) angemessen zu fördern. Obwohl diese Jugendliche im Schnitt mehr als sechs Jahre in Deutschland unterrichtet wurden, erreichten sie im Lesen ( 380 Punkte) und Zuhören (349 Punkte) bundesweit lediglich die Mindestanforderungen für den Hauptschulabschluss. Ein Viertel dieser Gruppe ist laut dem IQB-Bericht seit 2015 nach Deutschland geflüchtet.

Obwohl diese Schüler im Schnitt fast sechs Jahre an einer deutschen Schule waren, haben sie nur „eingeschränkte Möglichkeiten, sich die Instruktionssprache auf bildungssprachlichem Niveau anzueignen“. Hier formuliert der IQB-Bericht einen klaren Auftrag. Auch wenn in der Fluchtbewegung ad hoc viel geleistet worden sei, sei es dringend erforderlich, die Sprachförderung von Kindern zu verbessern, die mit geringen Deutschkenntnissen ins System kommen.

Auch für Baden-Württemberg ist das wichtig. Die Landesregierung hat sich vorgenommen, mit einem Förderschwerpunkt in den Grundschulen und der frühkindlichen Bildung gegen die Deutschschwäche anzugehen. Doch das wird nicht ausreichen. Denn bei den Kindern der ersten Zuwanderergeneration lernt die Hälfte die Unterrichtssprache erst im Alter von mehr als zehn Jahren. Deutsch lernen sie im Südwesten in den Vorbereitungsklassen der weiterführenden und beruflichen Schulen. Auch sie sind gemeint, wenn die IQB-Forscher schreiben, die aktuellen Angebote seien „nicht ausreichend“, um Schüler der ersten Zuwanderergeneration „in die Lage zu versetzen, die verfügbaren Bildungsangebote in der Instruktionssprache Deutsch zu nutzen“.

Zwei gute Nachrichten aus dem IQB-Bericht zur Integration

Schüler
So sehr die sprachliche Integration frisch zugewanderter Kinder und Jugendlicher hapert, so gut ist die soziale Integration gelungen. Insgesamt bekunden drei Viertel der befragten Jugendlichen beim IQB-Test eine hohe Schulzufriedenheit. Dabei sind die Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Zuwanderungshintergrund gering.

Lehrkräfte
Es gibt keine Hinweise, dass der Einsatz fachfremd unterrichtender Lehrer im Fach Deutsch negativ auf die Kompetenzen der Schüler durchschlägt. Stattdessen erkennt der IQB-Bericht „keine statistisch signifikanten Leistungsunterschiede“, egal ob der Lehrer „vom Fach ist“ oder nicht.