In Stuttgart spielt zunehmend Gewalt in der Pflege eine Rolle. Foto: dpa

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. In Stuttgart spielt zunehmend Gewalt in der Pflege eine Rolle. Anfang 2014 tritt ein Interventionsplan in Kraft, der die Hilfe verbessern soll.

Stuttgart - Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. In Stuttgart spielt zunehmend Gewalt in der Pflege eine Rolle. Anfang 2014 tritt ein Interventionsplan in Kraft, der die Hilfe verbessern soll. Auf den vier Flaggen, die von diesem Montag an für eine Woche an der Ecke König- und Bolzstraße gehisst sind, steht zu lesen: „Frei leben“. Lustig flattern sie im Wind, die Fahnen, doch die Freiheit, die hier gemeint ist, hat nichts damit zu tun, frei wie der Wind zu sein, sondern vielmehr damit, gewaltfrei leben zu können.

Eine Selbstverständlichkeit, ja ein Grundrecht, sollte man meinen. Doch für viele Menschen – besonders Frauen – ist es noch immer bittere Realität, Gewalt ausgesetzt zu sein. Deshalb findet immer am 25. November der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Gewalt gegen Frauen kann ganz verschiedene Ausdrucksformen haben: Sie reicht von Demütigung über Vergewaltigung bis zu Armuts- und Zwangsprostitution.

In Stuttgart spielt zunehmend Gewalt gegen Ältere und in der Pflege eine Rolle. Die Studie „Gewalt und Gesundheit bei älteren Menschen in Europa“ der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg aus dem Jahr 2013 ergab, dass von 648 in Stuttgart befragten Menschen im Alter zwischen 60 und 84 Jahren 44,8 Prozent angaben, schon einmal eine körperliche Gewalterfahrung mit Verletzung erlebt zu haben.

2010 wurde ein Runder Tisch ins Leben gerufen

Ein Grund für diese alarmierenden Zahlen sei, dass häusliche Gewalt in der Pflege aufgrund der alternden Gesellschaft eine immer größere Rolle spiele. Und: „Etwa 80 Prozent der Pflegebedürftigen sind Frauen“, sagt Ursula Matschke, Leiterin der Abteilung für individuelle Chancengleichheit.

Umso wichtiger seien Hilfsangebote. Die städtische Gleichstellungsstelle und der Bürgerservice Leben im Alter Stuttgart haben 2010 einen Runden Tisch ins Leben gerufen, um Betroffenen und Pflegenden beratend zur Seite zu stehen. Viermal im Jahr kommen seitdem Beratungsdienste, Berufsverbände, der Medizinische Dienst der Krankenkassen, Pflegedienste, Polizei sowie weitere städtische Ämter zusammen.

Interventionsplan zum Umgang mit Gewalt in häuslicher Pflege

Zudem haben die Gleichstellungsstelle und der Bürgerservice erreicht, dass vom 1. Januar 2014 an ein Interventionsplan in Kraft tritt – zum Umgang mit Gewalt in der häuslichen Pflege. Dieser Plan, den Stuttgart dann als einzige Kommune bundesweit hat, legt fest, wie die Handlungs- und Hilfskette funktioniert. „Der schwierigste Punkt war bisher, dass diese Form von Gewalt oft nicht gerichtsfest gemacht werden konnte“, sagt Theresa Rütten, Leiterin des Bürgerservices Leben im Alter Stuttgart. „Die Polizei kann sich etwa nicht auf die Angaben einer dementen Person verlassen.“

Deshalb ist fortan der Medizinische Dienst der Krankenkasse dafür verantwortlich zu prüfen, ob eine pflegebedürftige Person misshandelt wird. „Die wissen, ob die blauen Flecken von einer Krankheit oder von Gewalt kommen.“ Ziel sei es jedoch nicht, den Täter – oft der pflegende Ehemann – zu bestrafen, da er oft selbst in einer Notsituation sei, sondern die Lage für alle zu verbessern.

Terre des Femmes legt beim diesjährigen Gedenktag den Schwerpunkt auf sexualisierte Gewalt. „Das beginnt bei der Sprache und reicht hin bis zur Straftat“, sagt Barbara Simons von der Ortsgruppe Stuttgart. Sie betont, dass in Deutschland nur fünf Prozent aller Vergewaltigungen angezeigt und noch weniger Taten geahndet würden. Terre des Femmes fordert, dass der Täter beweisen muss, dass der sexuelle Akt einvernehmlich stattfand. Bisher trägt die Frau die Beweislast zu zeigen, dass dem nicht so war.