Versteckspiel: Drazen D. vor Gericht Foto: dpa

Anwalt wirft Polizei "Komplettversagen" vor. Angeklagter verfolgt Plädoyers reglos.

Rottweil/ Villingendorf - "Es tut mir leid, mehr kann ich nicht sagen – für die Familie", mit diesen Worten beendet Drazen D. am Donnerstag den Prozesstag. Zuvor hört er, welche Strafe die Staatsanwaltschaft für ihn fordert: Lebenslang wegen dreifachen Mordes und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.

Nicht nur die Anwälte der Angehörigen folgen in ihren Plädoyers der Forderung der Staatsanwaltschaft, auch die Verteidiger von Drazen D. machen deutlich, dass sie mit den Ausführungen des Leitenden Oberstaatsanwaltes Joachim Dittrich zum Großteil übereinstimmen – allerdings hoffe man, dass die schwere Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, seine lange Krankheitsgeschichte und die Vorgeschichte der Tat im Urteil Berücksichtigung finde.

Zwischen den Plädoyers wird die Verhandlung auf Antrag der Verteidigung mehrfach unterbrochen. Drazen D. brauche Medikamente, die erst besorgt werden müssten, nennt der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer den Grund für die Verzögerung. Der Angeklagte wirkt blass, zeigte aber auch an diesem Tag sonst kaum eine Regung.

Für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass am Abend des 14. September in Villingendorf drei Menschen sterben mussten, weil Drazen D. es so wollte. "Dieses furchtbare Verbrechen hat drei Familien zerstört", so Joachim Dittrich. Der Prozess habe den Tatablauf so bestätigt, wie in der Anklage geschildert.

Tat war angekündigt

Dass Drazen D. seine Tat bereits am 19. August genau so angekündigt und beschrieben hat, sei "unheimlich und beklemmend". Er habe die Waffe in Kroatien beschafft und die seiner Ex-Partnerin nahen Menschen getötet, um sich an der 31-Jährigen zu rächen. "Die Liebe zu seinem Sohn war eine rein egoistische Liebe", so der Oberstaatsanwalt. Drazen D. habe seine Kinder als sein Eigentum betrachtet.

Mit dem Angriff auf der Terrasse hätten die Opfer zu dem Zeitpunkt nicht rechnen können. "Er hatte die Waffe im Anschlag – sie hatten keine Chance mehr." Drazen D. habe sofort geschossen. Die Rekonstruktion habe gezeigt, dass der getötete Lebensgefährte nicht mal Zeit hatte, sich umzudrehen.

Sowohl das Mordmerkmal der Heimtücke als auch das der niederen Beweggründe sieht der Oberstaatsanwalt klar erfüllt. Der Tod der Opfer sei reines Mittel zum Ziel gewesen. Zweifel an Drazen D.s Schuldfähigkeit gebe es nicht. "Er hat in voller Verantwortlichkeit das schwerste aller Verbrechen begangen", so Joachim Dittrich. Es werde die besondere Schwere der Schuld festzustellen sein, sodass eine Strafaussetzung nicht nach 15 Jahren, sondern erst später geprüft werden kann.

Eindringlich schildert Wido Fischer, Anwalt der Mutter des getöteten Jungen, wie sich die Bedrohungslage für die 31-Jährige und ihren Sohn vor der Tat zugespitzt hatte, wie sie sich wieder und wieder bei den Behörden Hilfe suchte – ohne Erfolg. Die Gewalttätigkeiten Drazen D.s und die konkrete Morddrohung im August seien der Polizei ebenso bekannt gewesen wie die Tatsache, dass er die geheime Adresse seiner Ex-Partnerin in Villingendorf herausgefunden, dort die Rolläden zerstochen und Autos zerkratzt hat.

Anwalt wirft Polizei "Komplettversagen" vor

Nahezu fassungslos schildert Anwalt Fischer, dass die einzige Maßnahme der Polizeisachbearbeiterin in Rottweil darin bestanden habe, Drazen D. anzurufen und am Telefon eine "Gefährderansprache" durchzuführen. "Man muss der Polizei Komplettversagen vorwerfen", so Fischer. Es sei nichts unternommen worden. Dabei hätten viele Menschen im Umfeld von Drazen D. von seine Racheplänen gewusst. Und: Zwei Wochen vor der Tat habe seine Mandantin sich verzweifelt in einer Mail an das Jugendamt in Rottweil gewandt. "Wir sind in Lebensgefahr", stand darin. Die Mail sei nach Tuttlingen weitergeleitet worden mit der Bitte, mal die Akte zu besorgen. Die Mailadresse war falsch. Passiert ist nichts.

Für Rechtsanwältin Elga Eisenschink aus Berlin, die die Geschwister der getöteten 29-Jährigen vertritt, steht fest, dass es rechtliche Mittel gegeben hätte, um das Unheil zu verhindern. Allein dass die geheime Adresse in Villingendorf bei den Behörden ohne weitere Hinweise herumgeschickt wurde, sei ein Unding. Es sei nichts zum Schutz des Kindes unternommen worden. "Keiner hat sich mal aus seinem Büro herausbewegt."

Laut Anwalt Benjamin Waldmüller, der den Ehemann der von Drazen D. getöteten 29-jährigen Frau vertritt, mache die Tat für die Angehörigen nur dann überhaupt einen Funken Sinn, "wenn Behörden und Polizei künftig solche Situationen ernst nehmen, statt teilnahmslos zu bleiben". Er schilderte, wie dramatisch sich das Leben der einst glücklichen kleinen Familie geändert hat. Zwei Kinder müssen nun ohne ihre Mutter aufwachsen. Drazen D.s Verbrechen sei an Grausamkeit nicht zu überbieten.

Mehrfach fällt an diesem Tag das Wort "Overkill". Drazen D. schießt dreimal auf seinen Sohn, er schießt danach nochmal auf den wehrlos am Boden liegenden Lebensgefährten. Allein das sei ein gewichtiges Argument für die besondere Schwere der Schuld, so Anwalt Unger, der die drei Kinder des getöteten 34-Jährigen vertritt. Was ihn schockiere, sei die Empathielosigkeit des Angeklagten. "Als die Notrufe eingespielt wurden, hat er nicht mit der Wimper gezuckt."

Es ist ein besonderer Fall – dies zeigt auch das Plädoyer von Drazen D.s Verteidiger Bernhard Mussgnug. "Diese Tat erschüttert auch erfahrene Anwälte", sagt er. Das Gericht habe das Geschehen hochprofessionell aufgearbeitet, an den Ausführungen des Oberstaatsanwalts gebe es wenig zu kritisieren. Für ihn und seinen Kollegen Fritz Döringer habe die Aufgabe in diesem Prozess auch darin bestanden, den Angeklagten "ins Gleis zu stellen". Man habe eine schonende Verteidigungsführung gewählt, auch im Sinne der Opfer. Drazen D. gleich zu Beginn eine Aussage machen zu lassen, hätte angesichts seiner psychischen Verfassung auch den Angehörigen geschadet. "Wir mussten unterbinden, dass er die Hauptverhandlung für sich zur Bühne macht."

Zwar seien die Voraussetzungen für eine verminderte Schuldfähigkeit nicht gegeben, aber Drazen D. sei angesichts seiner Persönlichkeitsstörung "nahe dran". Dies müsse ebenso berücksichtigt werden wie die narzisstischen Kränkungen, beispielsweise durch den Entzug seines Sohnes, vor der Tat. Dass die ersten beiden Schüsse "in Handlungseinheit" als eine Tat gewertet werden könnten, wies der Oberstaatsanwalt zurück.

Verteidiger Fritz Döringer lobte den "Fleiß" des Gerichts und die ausführliche Beweisaufnahme. Leider sei es Drazen D. nicht gelungen, "den Sachverständigen davon zu überzeugen, wie krank er ist." Döringer bat das Gericht um eine "Strafe mit Augenmaß" nDas Urteil wird am 26. Juni um 9 Uhr gesprochen.

Zur Chronologie des Prozesses geht es hier.

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