Im Hafen von Greetsiel liegt die größte Flotte von Küstenfischern. Mit den schwarzen Kreuzen protestieren sie gegen die Pläne der EU, die Schleppnetze zu verbieten. Foto: Krohn/Krohn

Die EU-Kommission will den Meeresboden besser schützen. Aus diesem Grund sollen Grundschleppnetze verboten werden. Es droht das Ende einer jahrhundertealten Tradition.

Seebär ist eine treffende Beschreibung für diesen kantigen Mann. Mit tausend Mal geübten Handgriffen vertäut er seinen Krabbenkutter an der Mole im Hafen von Greetsiel. Die neugierigen Touristen würdigt er keines Blickes, ihre immer gleiche Frage beantwortet er mit einem abweisenden Knurren. „Nein, ich habe keine frischen Krabben zu verkaufen!“ Mehrere Tage war der Fischer auf See und will nun nur noch nach Hause, wo eine Dusche und ein paar Stunden Schlaf auf ihn warten. Danach geht es wieder raus auf die Nordsee.

„In der Krabbenfischerei gibt es keine Acht-Stunden-Schichten, das ist nicht nur eine harte, sondern auch eine gefährliche Arbeit“, sagt Gerold Conradi. Der Mann weiß, wovon er redet. Über 40 Jahren ist er mit seinem Kutter auf Krabbenfang gefahren und das Meer lässt ihn auch im Ruhestand nicht los. „Ich bin mit 16 Fischer geworden und mit 24 habe ich mein erstes Schiff gekauft, da kann man nicht einfach aufhören“, sagt Conradi. Noch immer ist er Stellvertretender Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Weser-Ems und kümmert sich um die Belange der Krabbenfischer. „In meiner Zeit als Kapitän habe ich viele Höhen und Tiefen erlebt, „erzählt Conradi, „aber auch die schlechten Jahre waren so, dass man überleben konnte.“ Doch nun droht in seinen Augen das Ende einer jahrhundertealten Tradition, die einst ganze Dörfer an der Küste ernährt hat.

Die Fischerei in der EU soll nachhaltiger werden

Den Grund für diese Sorge liefert die Europäische Union. Die möchte, dass die Fischerei in Europa nachhaltiger wird. Ziel ist es, über die EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 mindestens 30 Prozent der EU-Gewässer unter Schutz zu stellen. Das sei grundsätzlich eine gute Sache, sagt Gerold Conradi, doch seien in diesem Fall im fernen Brüssel Dinge entschieden worden, die alle seine Vorurteile über die lebensfremden Eurokraten bestätig. „Da sitzen offensichtlich Menschen in ihren klimatisierten Büros und bewegen sich fern jeglicher Realität“, urteilt er.

Der EU-Plan sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen zum Schutz der Natur ergreifen. Unter anderem soll das Fischen mit Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten, etwa in Nationalparks oder sogenannten Natura-2000-Gebieten, schrittweise verboten werden. Mit solchen Netzen werden Plattfische wie Schollen oder Seezungen, aber auch Krabben gefangen. Umwelt- und Fischereikommissar Virginijus Sinkevicius sieht in den Netzen eine Bedrohung für die Artenvielfalt. Und: vor den Küsten der Europäischen Union gelten nach Angaben der EU fast 80 Prozent des Meeresbodens als beschädigt.

Labiles Gleichgewicht im Lebensraum Wattenmeer

Gerold Conradi treiben solche pauschalen Aussagen auf die Palme. Er räumt ein, dass die Kettengeschirre der Schollen- und Seezungenfischer auf den Meeresboden einwirken. „Aber die wesentlich leichteren Netze der Krabbenfischer, die mit Rollen über den Meeresgrund gezogen werden, richten nachweislich einer Studie des Thünen-Instituts zufolge keinen Schaden an“, betont Conradi. Immer wieder werden in Gesprächen die Forschungsarbeiten des Thünen-Instituts für Seefischerei in Hamburg zitiert. Die belegen tatsächlich, dass die Krabbenfischerei keinen großen Einfluss auf die Bodenlebensgemeinschaften im Wattenmeer habe.

„Die Fischer haben schon immer versucht, die Natur zu schonen“, sagt Gerold Conradi, „wir sägen uns doch nicht den Ast ab, auf dem wir sitzen.“ Dann erzählt er sehr ausführlichen von weiteren Maschengrößen, um den Beifang zu verringern und anderen technischen Weiterentwicklungen wie Siebnetzen mit integrierten Fluchtschleusen für die Fische. 2017 haben die Krabbenfischer aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden deshalb das begehrte MSC-Zertifikat für nachhaltige Fischerei bekommen.

Greetsiel lebt von den Krabbenfischern

Hilke Looden, Bürgermeisterin der Nordsee-Gemeinde Krummhörn, betont, dass es nicht nur um die Zukunft der Krabbenfischer gehe. „Wir haben 26 Kutter im Hafen von Greetsiel, das ist die größter Küstenfischerflotte in Deutschland“, sagt sie in einem Podcast des Thünen-Instituts für Seefischerei. Die kleine Gemeinde lebe vom Tourismus und dazu gehöre, dass die Gäste die Kutter in den Häfen sehen möchten. In manchen Gemeinden werde schon überlegt, selbst Schiffe zu betreiben, damit noch zumindest für die Touristen ein Krabbenkutter im Hafen liegt.

In den vergangenen Jahren sei schon ein großer Teil der Infrastruktur abgebaut worden, sagt Gerold Conradi. „In den meisten Häfen gibt es keine eigenständigen Verarbeiter für die Krabben mehr, auch keine Werften oder Motorenhersteller. Wenn ein Fischer heute ein neues Netz braucht, muss er nach Holland oder Bremerhaven fahren.“

Gefahr für die Absicherung im Alter

Ein Schlag sei die Situation auch für die alten Krabbenfischer, die sich zur Ruhe setzen wollen. „Bis Anfang 2023 war es so, dass die Kapitäne und Eigner ihre Kutter zu einem annehmbaren Preis an den Jungfischer verkauft haben und dadurch eine zusätzliche Absicherung für das Rentenalter hatten,“ sagt Conradi. Aber angesichts einer unsicheren Zukunft seien die Fangschiffe heute schlicht nichts mehr wert. „Manche stehen plötzlich vor dem Nichts.“

Wie es weitergeht, weiß Gerold Conradi inzwischen auch nicht mehr. Im Frühjahr, als die Pläne der EU bekannt geworden sind, war die Aufregung groß. „Manche dachten, dass wir schon 2024 einpacken können“, erzählt er. Seit jenen Monaten säumen unzählige schwarze Holzkreuze mit Fischernetzen die Hafenanlagen in den vielen Nordseegemeinden, aufgestellt als Protest und Symbole des drohenden Todes einer jahrhundertealten Tradition. Inzwischen hat die EU allerdings betont, dass sie die Krabbenfischerei gar nicht verbieten wolle. Die Forderung an die Mitgliedsländer sei nur gewesen, bis 2024 Pläne auszuarbeiten, wie die neuen Vorgaben für die Schutzgebiete umgesetzt werden könnten, heißt es aus Brüssel. Das bedeutet, dass für die Krabbenfischer nun eine Art Hängepartie mit offenem Ausgang begonnen hat.

Einige Fischer satteln um auf Hummerfang

Unterstützung bekommen die Fischer auch aus der Politik. Der Plan der Kommission, die Natur zu schützen sei eine „nachvollziehbare Absichten“, betont der Europaabgeordnete David McAllister (CDU), „aber er verwendet absolut unverhältnismäßige Mittel.“ Dazu gehöre das vorgeschlagene Verbot von Grundschleppnetzen, das das „Aus für die norddeutsche Krabbenfischerei“ bedeute. Insbesondere kleine Betriebe hätten keine Ausweichmöglichkeiten, erklärt David McAllister und fordert eine Regelung, die den Fortbestand der Krabbenfischerei ermöglicht.

Die Krummhörner Bürgermeisterin Hilke Looden hofft in dieser schwierigen Situation auch auf die Hartnäckigkeit und den Einfallsreichtum ihrer Landsleute. Sie betont, dass sich die Fischer an der Nordsee immer wieder an neue Situationen anpassen mussten und das auch geschafft hätten. Als kleinen Lichtblick nennt sie zwei Kutter in Greetsiel, die nun Hummer fischen. „Das ist eine Folge des Klimawandels“, erklärt sie. Zum einen werde das Wasser wärmer, zum anderen bieten die inzwischen zahlreich aus dem Meer ragenden Windparks den Tieren Schutz an den Fundamenten. „Normal ist der Boden hier eher schlickig, die Hummer aber brauchen Hartboden.“ Doch die Bürgermeisterin weiß, dass das allenfalls für eine Handvoll Fischer eine neue Verdienstmöglichkeit ist, eine Lösung des Problems ist es nicht.