Das Foto ist nachgestellt, das Abstimmungsverhalten aber dasselbe wie bei der Entscheidung über die Reaktivierung der Talgangbahn, die der Gemeinderat Albstadt am Donnerstagabend getroffen hat. Fünf Stadträte stimmten dagegen, zwei Stadträtinnen fehlten, alle anderen waren dafür, inklusive Oberbürgermeister Klaus Konzelmann. Foto: Eyrich

Die Talgangbahn kann reaktiviert werden; der Albstädter Gemeinderat hat dem Projekt am Donnerstagabend mit deutlicher Mehrheit zugestimmt.

Albstadt - Fast zwei Jahrzehnte, nachdem die Reaktivierungspläne äußerst knapp im Gemeinderat gescheitert waren, hat wieder ein Albstädter Stadtparlament über sie abgestimmt – in modifizierter Form, versteht sich – , und die Mehrheit dafür, den Zug wieder auf die Schienen zu setzen, war am Ende größer, als so mancher erwartet respektive befürchtet hatte.

"Wenn nicht jetzt, wann dann?" hatte Oberbürgermeister Klaus Konzelmann nach dem Aufruf des Tagesordnungspunktes rhetorisch gefragt, und die Stadträtinnen und Stadträte hatten, von fünf Skeptikern abgesehen, ein unmissverständliches "Genau jetzt" zur Antwort gegeben.

Berlin und Stuttgart machen’s möglich

Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Ratsmehrheit gegen (!) die Reaktivierung nicht weniger deutlich ausgefallen wäre, wenn die Voraussetzungen noch die gleichen wären wie vor 20 Jahren. Damals gab es weder Zusagen von Bund, Land und Kreis, Streckensanierung und -ausbau zu bezahlen, noch die Perspektive, sich vom Land den Betriebsstandard – ein Zug pro Stunde – finanzieren zu lassen. Niemand stellte am Donnerstagabend in Abrede, dass Albstadt und auch keine andere Kommune heutzutage in der Lage wäre, aus eigenen Kräften auch nur den kleinsten Teil der Last zu schultern, die diese Reaktivierung darstellt. Selbst die Aufrüstung des Standards auf einen Halbstundentakt, der die Bahn zu einer halbwegs konkurrenzfähigen Alternative fürs Automobil machen könnte, mag man nicht allein bezahlen – die Forderung ans Land, sein Angebot noch einmal aufzubessern, ist bereits formuliert; andere Städte haben es vorgemacht. Ganz klar: Ohne die großzügigen Offerten aus Berlin und Stuttgart wäre die Zustimmung zur Reanimierung der Bahn nie zustande gekommen.

"Reines Wunschdenken"

Einige beantworteten die Frage des OB auch diesmal mit "Dann halt nie!" Siegfried Schott, scheidender Onstmettinger Ortsvorsteher und einziger Reaktivierungsgegner in der Fraktion der Freien Wähler, nahm es seinen Ratskollegen keineswegs übel, dass sie den geschenkten Gaul dankend annahmen – vielmehr verübelte er es Bund und Land, dass sie bereit sind, solche Geschenke zu machen:

Als "Glücksspiel" und Generosität mit der Gießkanne geißelte er die Strategie des Landes, das die ersten 100 reaktivierten Schienenkilometer betriebskostenfrei stellt, ganz gleich, wo sie verlaufen und wie aussichtsreich die Investition erscheint, als fundamentalen Mangel an Flexibilität das Beharren auf dem Verkehrsweg Schiene.

Warum nicht kleine E-Busse einsetzen, intelligent getaktet? – Die seien auf dem Land doch viel sinnvoller, der Schienenweg dagegen ein Irrweg. "Reines Wunschdenken – die Bahn wird wie eh und je den Schülern vorbehalten bleiben."

"Dieses Risiko ist mir zu hoch"

Die W.S.A.-Stadträte Thilo Frizenschaf, Jessica Beck und Steffen Bendrin sahen es ähnlich – selbst nach dem Ausbau einer Regional-Stadtbahn werde die schwerfällige Bahn sich gegen die wendigeren Alternativen Auto, Rad und selbst Schusters Rappen nicht behaupten können. Die Topographie Albstadts sei nun mal nicht bahnverträglich; wer von Onstmettingen nach Hechingen wolle und einigermaßen bei Kräften sei, solle lieber gleich zu Fuß gehen; dann brauche er weniger lang, empfahl Frizenschaf.

Matthias Strähler (CDU) wiederum stieß sich an der Stuttgarter Zusage, die Betriebskosten zu übernehmen. Schwarz auf Weiß habe man das von Winfried Hermanns Verkehrsministerium auch auf wiederholte Nachfrage nicht bekommen. "Die drücken sich – das Risiko ist mir zu hoch!"

35 000 Autofahrten weniger

Dass ein Risiko dabei sei, mochte Strählers Parteifreund Roland Tralmer nicht bestreiten. "Wir verlassen uns auf die Zusagen, auch wenn sie wenig konkret erscheinen." Im Gegensatz zu Siegfried Schott hält er auch die Prognosen der Planer vom Zweckverband Regional-Stadtbahn Neckar-Alb für belastbar – dessen Geschäftsführer Tobias Bernecker hatte der Talgangbahn vor der Aussprache durchschnittlich 2040 zusätzliche ÖPNV-Nutzer pro Tag sowie einen Rückgang der täglichen Autofahrten um 35 000 prophezeit.

Allerdings warnte Tralmer davor, jetzt Grabreden auf den Individualverkehr zu verfassen – in einer Flächenstadt wie Albstadt werde er gewiss nicht verschwinden. Überhaupt dürften die Bahnbefürworter nicht allzu lautstark triumphieren. "Wie werden Überzeugungsarbeit leisten und versuchen müssen, alle mitzunehmen."

Viel zu viele Unbekannten

Sehr dezente Überzeugungsarbeit hatte zuvor bereits Hartmut Jaißle von der NahverkehrsBeratung Südwest geleistet, und zwar im Hinblick auf die Kosten der Anschlussmobilität, die bekanntlich die Stadt tragen müsse – nein, darüber könne er eigentlich gar nichts sagen, weil die Rechnungen viel zu viele Unbekannte enthielten. Gewiss, E-Busse, P&R, Fahrradgaragen würden sicher Geld kosten – wer allerdings glaube, der Status Quo ohne Bahn sei auch ohne Mehrkosten zu haben, der irre sich gewaltig: Emissionsfreie Busse müsste die Stadt Albstadt auch dann anschaffen, wenn sie auf die Talgangbahn verzichte, und die bevorstehende Neuaufteilung der Naldo-Einnahmen werde den großen Stadtverkehren zugute kommen – und der Schiene. "Kann schon sein, dass Sie da mit der Bahn günstiger fahren."

Kommentar: Die Bahn kommt

Von Karina Eyrich

In einem hatte Ulrich Deufel nicht Recht: Wie die Fachvorträge und die Diskussion zur Reaktivierung der Talgangbahn gezeigt haben, war darüber noch längst nicht alles gesagt. Konnte es auch nicht – ganz aktuelle Entwicklungen auf dieser Welt liefern neue Argumente. Südeuropa brennt. Wladimir Putin ist längst nicht überall geächtet, sondern bei den Despoten im Mittleren Osten beliebter denn je, und zusammen hocken sie auf den fossilen Energien, von denen wir folglich dringend weg müssen. Und dass es auch jenseits von den Folgekosten der Klimakrise viel Geld kosten würde, auf die Talgangbahn zu verzichten, war so deutlich bisher auch noch nicht gesagt worden. Erstaunlich ist, wie viele derer, die einst gegen die Reaktivierung waren, sich davon umstimmen ließen, dass Land und Bund zahlen. Doch egal aus welchem Grund: Hauptsache, die Bahn kommt!