Eltern wollen vom Verwaltungsgericht Sigmaringen die Kosten für die Schülerbeförderung an den Staat verweisen lassen. Die Kammer sieht gravierende Hindernisse.
Sigmaringen - Pünktlich zum Prozessbeginn vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen verziehen sich die Regenwolken über dem Leopoldplatz, die Vertreter der Initiative „Eltern für Elternrechte in Baden-Württemberg“ eröffnen ein paar Steinwürfe vom Verhandlungssaal entfernt ihr Kuchenbuffet. Bunte Luftballons haben sie aufgehängt, Feststimmung macht sich breit. Mittendrin tummeln sich die die Initiatoren Brigitte Reuther aus Bad Waldsee und Stephan Ertle aus Leutkirch. Sie wollen nach langen erfolglosen Vorstößen bei Landespolitikern endlich die Schülerbeförderungskosten zu Fall bringen. „Der Ärger hat sich über ein Jahrzehnt aufgebaut“, sagt Ertle. Der Landkreis Ravensburg, in dem sich die Initiative gründete, gehört zu den sehr ländlichen im Südwesten: Kleine Dörfer, oft weite Wege bis zur nächsten weiterführenden Schule, hohe Kosten, weil manchmal Schulbusse gleich zweier Verkehrsverbünde in Anspruch genommen – und bezahlt – werden müssen.
Im Sitzungssaal 1 sitzt der Musterkläger Theo Keck mit seinem 15-jährigen Sohn, flankiert vom Staats- und Verfassungsrechtler Thomas Würtenberger. Keck, wohnhaft im Rottenburger Teilort Obernau, früherer Vorsitzender des Landeselternbeirates, zahlt monatlich gut 40 Euro, damit Sohn Benjamin täglich mit dem Bus das Gymnasium erreichen kann. Das Geld für die Schülerfahrkarte müsse er „ohne eine politische Legitimation“ zahlen. In Bayern oder Hessen dagegen würden auch die Schülerbeförderungskosten vom Staat übernommen.
Bruch völkerrechtlicher Vereinbarungen
Die Beklagte ist der Landkreis Tübingen. Der Landrat Joachim Walter (CDU) ist selber erschienen, er spricht als einziger im Stehen. Zwar zahle das Land pauschal jährlich 193 Millionen Euro an die Landkreise für die Schülerbeförderung, wovon auch sein Kreis profitiere, sagt er. Doch das seien 77 Millionen Euro weniger als noch 1997 und in Summe zu wenig zur Deckung aller Beförderungskosten. „Wir gehen davon aus, dass 220 Millionen Euro fehlen“, sagt der Landrat für seine sämtlichen Amtskollegen. Würde der Kreis Tübingen verurteilt, alle Elternanteile selber zu tragen, müsse das über eine höhere Kreisumlage zurückgeholt werden. „Das Geld würde dann möglicherweise bei der Ausstattung der Schulen wieder fehlen.“
Der Vorsitzende Richter Malte Graßhof, zugleich Präsident des Verwaltungsgerichts, hört gut zu, als der Staatsrechtler Würtenberger die Klage vor allem mit einem behaupteten Bruch völkerrechtlicher Vereinbarungen begründet. Konkret geht es um den internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 1966 von der UNO verabschiedet und auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Im Artikel 13 ist der uneingeschränkte, unentgeltliche Zugang jedes Einzelnen zu Schule und Bildung beschrieben. Schulfahrkarten seien genauso zu behandeln wie Schuluniformen in anderen Ländern, so die Klägerseite: sie müssten durch die Schulträger bezahlt werden.
Landkreis die falsche Adresse
Richter Graßhof hat seine Bedenken. Handle es sich bei dem Völkerrechtsparagrafen um ein national bindendes Gesetz, aus dem sich wiederum subjektive Rechte ableiten lassen, fragt er – „oder um eine zielgerichtete Norm in Sinne eines Projekts?“ Quasi eine „Denkschrift“? Der Pakt ist bindend, sagen die Kläger. Nein, entgegnet die Rechtsvertreterin des Kreises Tübingen. Den internationalen Pakt habe der Bund ratifiziert, zuständig für Bildungsfragen seien aber die für Bildungsfragen verantwortlichen Länder. Und überhaupt: Der Landkreis sei die falsche Adresse für eine so grundlegende Klage. Die Eltern hätten eine Normenkontrollklage vor dem Verwaltungsgerichtshof anstrengen müssen, um die Satzungen der Kreise, die den Eigenanteil der Eltern bei der Schülerbeförderung regeln, zu Fall zu bringen. Eine Feststellungsklage gegen den Kreis Tübingen sei das falsche Mittel, Sigmaringen der falsche Ort.
Prinzipien der Gewaltenteilung
Auch der Richter Graßhof hat sich darüber Gedanken gemacht. Er sinniert, ob in dieser Streitfrage überhaupt ein Gericht Befriedung schaffen könne, oder ob nicht ein Parlament entscheiden müsse. „Ist das nicht eine politische Frage?“, fragt er. Ein Urteil des Sigmaringer Gerichts, das dem Land vorschreibe, ob und wie es Völkerrecht umzusetzen habe, könne womöglich das Prinzip der Gewaltenteilung verletzen.
Noch eine Nacht will die Kammer ihre Entscheidung überdenken. Für diesen Freitag, 10 Uhr, ist das Urteil angekündigt. Die Elternvertreter haben eine Schlappe vorsorglich einkalkuliert. Komme man in Sigmaringen nicht zu seinem Recht, dann eben später vor dem Staatsgerichtshof, sagt der Leutkircher Stephan Ertle schon vor Prozessbeginn. Die von ihm mitorganisierte Party auf dem Leopoldplatz geht, als das Ergebnis dieses Verhandlungstages bekannt wird, dann doch recht kühl zu Ende.