Die Zahl der bekannt gewordenen Täter, die sich an Kindern oder Jugendlichen vergangen haben, liegt in der Diözese Rottenburg erschreckend hoch. (Symbolfoto) Foto: Filippo Carlot/ Shutterstock

Das Thema sexueller Missbrauch treibt die Katholische Kirche seit langem um. Immer mehr Menschen treten aus. Schafft es die Kirche, verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen?

Rottenburg-Wurmlingen - Seinen Vortrag über sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche, beginnt Karlheinz Heiss mit einem eher unerwarteten Statement. "Der Großteil des Missbrauchs in unserer Gesellschaft findet nicht in der Kirche statt", sagt der Vorsitzende des Familienbundes der Diözese Rottenburg. "Am gefährlichsten ist die eigene Familie. Das ist schrecklich, es muss aber gesagt werden."

Allerdings: Auch die Zahl der bekannt gewordenen Täter, die sich vornehmlich an kleinen Jungen oder Jugendlichen vergangen haben, liegt auch in der Diözese Rottenburg erschreckend hoch – nämlich bei 117 registrierten Fällen. Die Dunkelziffer dürfte erheblich sein. Grund genug, so Heiss, sich immer wieder mit dem Thema zu beschäftigen. Denn, so seine Eingangsthese bei seinem Vortrag in der Kelter in Wurmlingen: "Wer schweigt, stärkt die Täterstrukturen."

Nach wie vor bekennender Katholik

Trotz des Missbrauchsskandals und immer wieder neuen Enthüllungen über Missbrauch und Vertuschungen durch Kirchenleute: Heiss ist nach wie vor bekennender Katholik, liebt die Rituale der Kirche, könnte sich einen Sonntag ohne Kirchgang und Messe nur schwer vorstellen. "Ich schätze die Katholische Kirche, ich schätze ihre Spiritualität."

Heiss, der sich bereits länger mit dem Thema beschäftigt und darüber mehrfach geschrieben hat, schlägt bei seinem Vortrag einen weiten Bogen, er spricht vom Bewussten und Unbewussten des Menschen, von Sexualität und Verstand. Dass Missbrauch in der Kirche grassiert, sieht er allerdings nicht zuletzt durch die hierarchischen Strukturen in der Kirche begründet – es gehe dabei auch um Macht und Ohnmacht in der Kirche. "Glaubensgemeinschaften sind hierarchisch...und in der Katholischen Kirche haben wir eine Monarchie."

Das "völlig überhöhte Bild des Priesters"

So sei etwa in der Vergangenheit sexueller Missbrauch von Priestern lediglich als ein Verstoß gegen das Zölibat angesehen worden – und nicht als eine Straftat und als Verbrechen. Mitschuld tragen "systemische Faktoren" wie etwa das "völlig überhöhte Bild des Priesters" sowie das "geschlossene System der Kirche, das allein von Männern bestimmt wird". Fazit: "Die Kirche täte gut daran, traditionelle Zwänge und Abhängigkeiten abzulegen."

Die Frage allerdings, ob denn das Zölibatsgebot für Priester eines der entscheidenden Ursachen für Pädophilie und Missbrauch in der Kirche ist, wollte Heiss nicht eindeutig beantworten. "Ich glaube nicht, dass das Zölibat ursächlich für den Missbrauch ist." Dennoch ist Heiss der Meinung, dass eine Abschaffung des Zölibatsgebots "sehr gut tun würde", für viele Priester eine "große Erleichterung" wäre – wer dennoch zölibatär leben möchte, könne dies ja durchaus weiterhin tun.

Vertrauen zurückgewinnen?

Kann die Kirche es denn überhaupt schaffen, das verlorene Vertrauen zurück zu gewinnen? Auch hier zeigt Heiss ganz offen seine Unsicherheit. "Das ist eine schwierige Frage", meint er. Fest stehe allerdings, "dass die Aufarbeitung nicht allein in der Kirche selbst passieren kann – das wird nicht funktionieren."

Entscheidend sei Ehrlichkeit und unbedingte Offenheit. "Es muss alles auf den Tisch, wir müssen über alles sprechen."