Justiz: Eine Beziehung endet mit Messerstichen, einem Sprung in die Tiefe und vor dem Amtsgericht

Eigentlich ist die Tat eindeutig: Sie sticht mit einem Messer auf ihn ein – dann lässt sie sich über die Mauer fallen und springt von der Hochbrücke in die Tiefe. Sie überlebt, er überlebt. Ein knappes Jahr später treffen sich beide vor dem Amtsgericht Rottweil wieder.

Kreis Rottweil (apf). Sie ist angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung, er ist Zeuge. Während der Verhandlung werden Details einer nicht glücklichen Beziehung angesprochen, die einen Einblick in die Ursache des Geschehens vom Abend des 26. April 2017 vermitteln.

Sie lernte ihn mit 15 Jahren kennen, kam mit ihm zusammen, als sie 18 war. Er ist etwa zehn Jahre älter. Sie blieben etliche Jahre zusammen, bis sie im März 2016 zu ihrer Mutter nach Nordrhein-Westfalen gezogen ist. Für ein halbes Jahr. Dann kehrte sie wieder zurück – zu ihm. Doch das war keine gute Entscheidung. Es lief nicht wirklich besser, sagt sie. Er habe ihr immer wieder Angst gemacht. Er habe ihr gesagt, sie solle sich das Leben nehmen. "Ich hatte solche Panik vor ihm", sagt sie.

In ihrer Familie vermisste sie Rückhalt. Ihre Eltern hatten sich getrennt. Zu ihrer Mutter hatte sie keinen, zu ihrem Vater wenig Kontakt. Als sie einmal mit ihm gesprochen habe, habe er ihr gesagt, sie solle ihm, ihrem Lebenspartner, vertrauen. Doch das fiel ihr schwer.

Von K.-o.-Tropfen ist die Rede (von denen es aber keinen Beweis gibt). Von Überwachung in der Wohnung. Wurde sie aus dem Fernseher beobachtet? War ihr Handy angezapft? Er habe gewusst, wo sie sei. Warum seien Sachen aus ihrem Computer verschwunden? Und er? Er sei dann daneben gestanden und habe gegrinst.

Vor Gericht kommt aber auch noch ihr Cannabis-Konsum zur Sprache. Seitdem sie 16, 17 Jahre alt war. Und sie habe zu Amphetaminen gegriffen. Als sie jedoch zu ihrer Mutter gezogen sei, habe sie – bis auf ein, zwei Züge – keinen Joint mehr konsumiert. Über ihn und sein Tun will sie nichts sagen.

Immer wieder getrunken

Und der Alkohol. Bis zu ihrem 29. Lebensjahr selten. Als sie ihr Studium abgebrochen habe, habe sie aber immer wieder getrunken. Regelmäßig. "Weil es mir nicht gut ging." Baccardi-Cola. Vier Gläser. Nach einem Unfall auf der Autobahn mit Alkohol im Blut war der Führerschein sogar für zehn Monate bis April 2016 weg. Und heute? Da genehmige sie sich lediglich hin und wieder ein Feierabendbier. Genuss statt Sucht.

Ein Freundeskreis? Damals, in der ersten Zeit, habe sie sich komplett auf ihn fixiert. Und seine Freunde hätten ihr kein besseres Gefühl vermittelt. Sich gegen ihn zu äußern, sei ihr schwer gefallen. "Ich hatte nicht den Mut", sagt sie.

Sie fühlte sich von ihrem Partner unter Druck gesetzt, erklärt ein Sachverständiger und Gutachter aus dem Vinzenz-von-Paul-Hospital. Sie habe sich ihrem Partner unterlegen und emotional vernachlässigt gefühlt. Er sei lieblos zu ihr gewesen. Von einem extremen Desinteresse von ihm an ihr, spricht sie, als sie ihre Beziehung Revue passieren lässt.

K.-o.-Tropfen im Spiel?

Der Gutachter erwähnt aber auch einen Vorfall aus ihrer Vergangenheit, als sie in einer anderen Stadt neben einem anderen Mann aufgewacht sei mit blauen Flecken an ihren Oberschenkeln. Eine Vergewaltigung? Mit K.-o.-Tropfen? Kurz: Das Schicksal einer jungen Frau, das Zuhörer im Gerichtssaal nicht kalt lässt.

Doch bevor Gedanken in eine besondere Richtung gehen, merkt der Gutachter an, dass sie gesagt habe, dass sie keine Botschaften von Stimmen erhalten habe, dass sie nicht beeinflusst worden sei. Der Fachmann sagt, dass bei ihr kein psychotisch-schizophrenes Verhalten diagnostiziert werden könne.

Dafür spricht auch, als sie über ihr aktuelles Leben erzählt. Sie freue sich, dass es weiter gehe. Sie gehe gerne zur Arbeit. In einer Tankstelle, damit sie Geld verdiene. Auch für ihr Studium, das sie im Herbst wieder aufnehmen werde. Ihr würden noch vier Prüfungen fehlen für den Abschluss in pharmazeutischer Chemie. Sie habe wieder Kontakt mit den Eltern, dem Bruder, und sie habe seit Dezember einen Freund.

Nein, in eine psychotherapeutische Behandlung werde sie nicht gehen. "Je weniger ich darüber rede, umso besser geht es mir", sagt sie. Vor Gericht muss sie darüber reden – und sie schluchzt immer wieder.

Halt in der Grafengasse

Vor knapp elf Monaten war die Lage jedoch eine andere. Sie hat sich dramatisch zugespitzt. An diesem bewussten Tag sind sie und er am Abend nach Rottweil gefahren. Sie haben sich am Friedrichsplatz einen Imbiss geholt und schließlich am Ende der Hochbrücktorstraße Richtung Grafengasse angehalten. Besteck hätte gefehlt. Sie habe an diesem Tag beschlossen, ihm zu sagen, dass sie von ihm fortgehe.

Sie habe Todesangst vor Grausamkeiten, vor der kommenden Nacht verspürt, führt der Sachverständige aus, und Panik gehabt. Sie habe den Gedanken gehabt, von der Brücke zu springen. Und gedacht, er dürfe nicht ungeschoren davon kommen. Die Absicht, ihn zu töten, hätte sie jedoch nicht gehabt.

All dies habe zu einem eruptiven Affektdurchbruch geführt, wie der Mann aus dem Vinzenz-von-Paul-Hospital sagt. Hat er sie provoziert? Sie deutet es an. Er sagt, an eine Unterhaltung könne er sich nicht mehr erinnern.

Ein Klappmesser, zwölf Zentimeter lang der Schaft, zehn Zentimeter die Klinge, hatte sie in der Handtasche. Es gehörte ihm. Er habe es ihr einst überlassen. Damit stieß sie zu. Dreimal. Traf ihn zweimal in der linken Oberarm-Außenseite, einmal oberhalb des linken Schlüsselbeins. Dann ließ sie sich über die Mauer fallen. Es ging in die Tiefe. Zwölf Meter. Es war 21.24 Uhr.

Bei ihm habe keine konkrete Lebensgefahr bestanden, erklärt ein zweiter Sachverständiger aus Freiburg vor Gericht. Abstrakt lebensgefährdend seien die Stiche sehr wohl gewesen. Immerhin sind es die linke Seite und die Halsgegend gewesen.

Sie wurde am Fuß und am Rücken operiert. Sie lag etwa vier Wochen in einem Klinikum, kam dann noch für kurze Zeit ins Rottenmünster. Wenn sie längere Zeit stehe, verspüre sie Schmerzen im Fuß und im Rücken.

Elf Monate auf Bewährung

Dann das Urteil. Elf Monate auf Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Da sie einen labilen Eindruck hinterlässt, steht ihr in dieser Zeit ein Bewährungshelfer zur Seite. Außerdem muss sie 2000 Euro Geldbuße begleichen, 100 Euro pro Monat.

Gesprächstermine bei der Suchtberatung, wie vom Staatsanwalt gefordert, muss sie nicht führen. Sie mache einen normalen Eindruck, sagt die Richterin. Eine längere Freiheitsstrafe (Staatsanwalt: eineinhalb Jahre auf Bewährung) gibt es ebenfalls nicht. Die gezeigte Reue, ihre Entschuldigung bei ihm, als sie ihn als Zeugen sieht, und die günstige Sozialprognose hebt das Gericht hervor.

Dann endet die Verhandlung. Möglichkeit zur Revision besteht. Innerhalb einer Woche. Die Amtspersonen gehen, die Zuschauer gehen. Und sie mit ihrer Verteidigerin verlässt ebenfalls den Gerichtssaal. Und er? Seine Zeugenaussage liegt bereits zwei Stunden zurück. Er ist längst nicht mehr zu sehen.