Der Häftling, der in Rottenburg heißes Öl über einen Justizangestellten gegossen hat, wurde jetzt vom Landgericht Tübingen verurteilt. Foto: Tom Weller/dpa

Ein Häftling in Rottenburg gießt heißes Öl über einen Justizangestellten. Die Verbrennungen sind fürchterlich. Jetzt wurde der Täter vom Landgericht Tübingen verurteilt.

Tübingen/Rottenburg - Die Tat, die der heute 31 Jahre alte Mann aus dem afrikanischen Gambia im September vergangenen Jahres begangen hat, ist monströs. Zunächst erhitzt er das Öl in der Gemeinschaftsküche der Haftanstalt Rottenburg auf eine Temperatur von vermutlich weit über 200 Grad, dann tritt er vor sein Opfer, gießt das Öl über den Mann.

Doch was das Monströse und Erschreckende der Tat nochmals steigert, ist die Tatsache, dass beim Prozess in Tübingen trotz aller Bemühungen nicht geklärt wurde, wie es zu der Tat kommen konnte.

Richter Armin Ernst wendet sich an das Opfer

Gab es so etwas wie ein Motiv, einen Anlass, einen Auslöser für die Tat? Hatte der Täter einen Plan, hatte er ein bestimmtes Opfer im Auge oder hätte es jeden Beamten in der Haftanstalt treffen können? Weder die Staatsanwaltschaft, noch die Verteidigung und auch nicht Richter Armin Ernst haben darauf eine Antwort gefunden. Das Urteil lautet am Ende: sechs Jahre und zwei Monate Haft wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung.

Ausdrücklich wendet sich Richter Ernst zum Abschluss des Prozesses an den jungen Mann mit den schweren Verbrennungen im Gesicht, der als Nebenkläger mit im Gerichtssaal saß: "Ihre Hoffnung, zu erfahren, warum Sie Opfer einer solchen Tat wurden, konnte der Prozess leider nicht erfüllen."

Mitfühlende Worte sind ein Schlüsselmoment des Prozesses

Der Angeklagte habe sich während der gesamten zwei Verhandlungstage geweigert, über seine Beweggründe zu sprechen. "Sie sind zum Opfer einer sinnlosen Tat geworden." Die mitfühlenden Worte des Richters sind ein Schlüsselmoment des Prozesses.

Auch zum Abschluss der zweitägigen Verhandlungen zeigte der Verurteilte keinerlei Regung, keinerlei Gefühl oder Empathie. Sein Blick ist leer, seine Miene ausdruckslos. Auch die Chance zu einem letzten, klärenden Wort lässt er verstreichen. Er wiederholt lediglich die mechanisch klingenden Sätze, die er schon zu Beginn der Verhandlung sagte. "Ich habe nichts zu sagen. Ich bitte um Vergebung. Ich will zurück nach Mannheim ins Gefängnis."

Beschuldigter wiederholt einen Satz mehrfach

Staatsanwalt Malte Müller braucht sich in seinem Plädoyer mit dem Tathergang selbst kaum aufzuhalten. Der Angeklagte ist geständig: "Das, was berichtet wurde, ist das, was geschehen ist", lautet der Standardsatz, den der Beschuldigte mehrfach wiederholt.

Auf 200 bis 430 Grad habe der Angeklagte Öl in einer Karaffe auf dem Herd erhitzt, fährt der Staatsanwalt fort, habe das Öl anschließend "zielgerichtet auf den Kopf- und Gesichtsbereich des völlig arglos sitzenden Opfers" geschüttet. Es sei die klare Absicht des Beschuldigten gewesen, seinem Opfer schlimmste Verbrennungen zuzufügen.

Ein anderer Beamter wird in den Oberschenkel gebissen

Die Folgen seien heute noch sichtbar, der Staatsanwalt spricht von "erheblichen Veränderungen des Erscheinungsbildes" des Opfers – eine eher noch zurückhaltende Beschreibungen angesichts der stellenweise schwer entstellten Gesichtspartien. Einen anderen Justizbeamten, der herbeigeeilt war, habe der Angeklagte im Handgemenge in den Oberschenkel gebissen. Über das Motiv schweige der Angeklagte, Staatsanwalt Müller gibt sich aber überzeugt: "Es gab keinerlei Auslöser, es gab keinerlei Anlass."

Erschwerend mit Blick auf ein Urteil seien zudem die zahlreichen Vorstrafen. Müller fordert eine Gesamtstrafe von acht Jahren. Noch schärfer argumentiert der Anwalt des Nebenklägers, er spricht von einem "äußerst überlegten und planmäßigen Vorgehen". Dem Täter sei sehr wohl bewusst gewesen, dass erhitztes Öl mindestens doppelt so heiß wird wie kochendes Wasser. Ihm sei auch bewusst gewesen, dass er das Leben seines Opfers aufs Spiel setzt.

Anwalt des Nebenklägers fordert zehn Jahre Haft

Es sei unerträglich für das Opfer, beim Prozess nichts über die Beweggründe des Täters zu erfahren – doch der Angeklagte habe "einfach keine Lust gehabt", sich zu diesen Fragen zu äußern. "Der Angeklagte hatte es nicht für nötig gehalten, seinen Mandanten auch nur eines Blickes zu würdigen", so der Anwalt des Nebenklägers. "So sieht keine echte Reue aus". Der Angeklagte stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, zehn Jahre Haft seien daher angemessen.

Da der Angeklagte jede weiteren Aussagen verweigert, auch zu seiner Person und zu seinem einstigen Leben im westafrikanischen Gambia, muss das Gericht Berichte früherer Prozesse heranziehen. Der Angeklagte, so das Bild, das sich ergibt, habe keinerlei nennenswerte Schulbildung erhalten, er könne weder lesen noch schreiben, er sei 2016 über Libyen und Italien nach Deutschland gekommen, Asyl habe er allerdings nicht erhalten.

Erhöhter Cannabis- und Alkoholgenuss

Er habe keinerlei soziale Kontakt zu seiner Heimat in Gambia, und keinerlei soziale Kontakte in Deutschland. Einer ordentlichen Arbeit sei er in Deutschland zu keinem Zeitpunkt nachgegangen, und er habe auch keine Chance, eine solche Arbeit zu erhalten. Hinzu kämen erhöhter Cannabis- und Alkoholgenuss sowie eine ganze Latte an Vorstrafen, darunter mehrere Gefängnisstrafen, unter anderem weil er bereits zuvor einen Mithäftling mit einer Glasscherbe schwer am Auge verletzt hatte.

Auch der Verteidiger Christian Niederhöfer äußert sich "rat- und fassungslos" angesichts des brutalen Verbrechens. Für einen Verteidiger gelte es aber "nicht die Tat zu verteidigen, sondern den Menschen". Mit Blick auf den geringen Bildungsstand seines Mandanten sei es fraglich, ob sich dieser "tatsächlich bewusst ist, in welcher Situation er sich befindet".

War wirklich böser Wille oder Empathielosigkeit im Spiel?

Es sei unklar, ob wirklich "böser Wille oder Empathielosigkeit" im Spiel sei, verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit sei zumindest nicht auszuschließen. Darauf deuteten etwa Zeugenaussagen hin, die "von einem Tunnelblick" des Täters gesprochen hatten. Niederhöfer stellte keinen konkreten Strafantrag, hielt die Forderungen von Staatsanwaltschaft und Nebenkläger aber für deutlich zu hoch.

Mit dem Urteil von sechs Jahren und zwei Monaten blieb Richter Ernst hinter den Forderungen von Staatsanwalt und Nebenkläger deutlich zurück. Als strafmildernd sei zu werten, dass der Angeklagte einer Zahlung von 51.800 Euro Schmerzensgeld zugestimmt habe.

Übernimmt das Land die Zahlung des Schmerzensgeldes?

Allerdings räumte der Richter ein, dass "dies zunächst einmal nur auf dem Papier besteht". Denn der Verurteilte habe "keine großen Chancen, an einen solchen Betrag zu kommen". Das Opfer könne nur hoffen, dass das Land Baden-Württemberg die Zahlung des Schmerzensgeldes übernimmt.