Im Prozess gegen einen Mötzinger Künstler stellten die Gutachter dem Beschuldigten ein vernichtendes Zeugnis aus. Foto: Arne Dedert/dpa

Im Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht gegen den Mötzinger Skulpturenkünstler Stefan E. um die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung haben nach viermonatiger Hauptverhandlung die beiden forensischen Sachverständigen eine vernichtende Prognose des 54-jährigen Mötzingers gestellt: Die Gefahr, dass er, falls er in Freiheit komme, weiterhin Tötungsdelikte begeht, sei "dramatisch hoch".

Mötzingen - Vor 15 Jahren hatte E. in Mötzingen die eigene Mutter mit einem 700 Gramm schweren Skulpturenhammer getötet. Die dafür wegen Totschlags verhängten 13 Jahre Haft sind bereits seit Januar 2020 verbüßt, doch die Staatsanwaltschaft beantragt die nachträgliche Sicherungsverwahrung und stützt sich dabei auf die große Wiederholungsgefahr des heute 54-Jährigen, Menschen zu töten, falls diese nicht seiner Meinung sind. Vier Monate lang haben die Richter der Stuttgarter Schwurgerichtskammer nunmehr in der zweiten Auflage (der erste Beschluss wurde vom BGH gekippt) dieses Verfahrens verhandelt, Bedienstete der Gefängnisse vernommen, die mit E in den letzten 13 Jahren zu tun hatten. Auch sie stellen in Sachen Verhalten gegen E. ein vernichtendes Urteil.

Schwere Persönlichkeitsstörung mit paranoider dissozialer Prägung

Am jüngsten Verhandlungstag hatten die beiden forensischen Gutachter, Dr. Joachim Schramm aus Heidelberg, und Dr. Peter Winckler aus Tübingen, zur Frage der Gefährlichkeit von E das Wort. Einhellig sind sie der Auffassung, dass der 54-Jährige kein Fall für die Freiheit sei. Seine schwere Persönlichkeitsstörung mit paranoider dissozialer Prägung verstärke dessen Gefährlichkeit dramatisch. Ähnlich wie damals im Jahre 2007, als er die eigene Mutter tötete, nachdem er im Elternhaus nach eigener Meinung grundsätzlich vom Vater unterdrückt wurde. Dafür musste die Mutter sterben – sie hatte ihm nicht den versprochenen Zehn-Euro-Schein auf die Treppe gelegt.

Und Todesdrohungen habe er auch in seiner Haftzeit gegen Vollzugsbedienstete geäußert, vor allem gegen weibliche Beamte. Nach Meinung der Gutachter habe sich bereits hier erneut seine Gefährlichkeit an den Tag gelegt. Frauen, die ihn beispielsweise brüskieren, sind "böse Frauen", denen er das Leben abspricht. So und ähnlich lesen sich die über 1200 Seiten umfassende Protokolle über das Verhalten von E. aus der Vollzugszeit in verschiedenen Gefängnissen der letzten 15 Jahre. Der Mann lasse sich – krankheitsbedingt – keinerlei Grenzen setzen, sagte Gutachter Dr. Schramm. Und genau das sei dessen Gefährlichkeit später in der Freiheit.

Abneigung gegen alle gesellschaftlichen Normen

Ähnlich sieht es auch der Tübinger Forensiker Dr. Peter Winckler. Seiner Meinung nach liege bei E. eine "ungewöhnlich schwer ausgeprägte Persönlichkeitsstörung" vor. Bei ihm liege eine absolute Abneigung gegen alle gesellschaftlichen Normen vor. Er hält sich für das Genie, und wer das nicht hinnehmen wolle, ist Feind. Daher sei die Kriminalprognose so negativ, dass er eine Gefahr für potenzielle Opfer in Freiheit darstellt. Darunter zählen nicht nur Frauen, sondern beispielsweise auch Betreuer, die nicht seiner Meinung sind, oder Justizbeamte und dergleichen.

Das Gericht hat sich allerdings zusammen mit der Staatsanwaltschaft auch um eine mögliche Entlassung von E. gekümmert und dies am jüngsten Sitzungstag andiskutiert. Dabei habe man im Auge, den Beschuldigten zwar nicht direkt frei zu lassen, sondern in eine Einrichtung zur "Wiedereingliederung" mit straffer Behandlung zu überweisen. Mehrere derartige Einrichtungen hatten aber abgelehnt, geblieben ist eine offene Anstalt in Alpirsbach. Hier werde man E. aufnehmen und zur Wiedereingliederung behandeln, sagte der Leiter der dortigen Fachgruppe im Zeugenstand. E. müsse sich allerdings den Vorgaben der Behandlung fügen, was der 54-Jährige auch zugesagt habe.

Sachverständige lehnen Freilassung ab

Dennoch lehnen die Sachverständigen diese Art der Freilassung ab. Auch in dieser Einrichtung, in der 80 Prozent der Bediensteten aus Frauen besteht, ginge von dem 54-Jährigen eine hohe Gefahr in Richtung Tötung oder Verletzung aus. Man habe grundsätzliche Bedenken gegen eine solche Maßnahme, denn Stefan E. sehe immer nur die Täter in den Anderen, und sich als Opfer, das sich wehren muss.

Der Fall geht in den beiden nächsten Prozesstagen zu Ende. Am 8. März sollen die Schluss Plädoyers gehalten und die Entscheidung verkündet werden. Nach derzeitigem Prozessstand stehen gegen E. die Zeigen deutlich auf die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, was bedeutet, dass er möglicherweise noch viele Jahre hinter Gitter bleiben wird. In der Haftzeit hat E. übrigens zahlreiche Bilder geschaffen, teils farblich mit Kaffeesatz gemalt.