243 Millionen Euro wird das Mautdesaster den Steuerzahler kosten. Verkehrsminister Wissing will prüfen lassen, ob sein Amtsvorgänger Andreas Scheuer für den Schaden aufkommen muss. Das wird schwierig, sagen Experten.
Für seine Taten muss man geradestehen, so ist es meistens im Leben. Auch für seine Fehler. Es ist eine Lektion, die man schon Kindern beibringt. Wer abschreibt, riskiert eine Sechs in der Klassenarbeit.
Nur eine Gruppe ist davon ausgenommen: Politiker. Deswegen ist es sehr ungewöhnlich, was Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aktuell beabsichtigt. Sein Haus prüft, ob es möglich ist, seinen Amtsvorgänger Andreas Scheuer (CSU) wegen der gescheiterten Pkw-Maut auf Schadenersatz zu verklagen.
„Wir können die Akte bei 243 Millionen Euro nicht einfach beiseitelegen“, sagte Wissing. Diese Summe muss das Ministerium an die Unternehmen zahlen, die das Projekt umsetzen und verwalten sollten. „Wir lassen ein externes Gutachten erstellen, um Rechtsfragen zu klären. Das ist letztlich keine politische Frage, sondern es ist eine rechtliche Frage. Dazu muss das Maß der Fahrlässigkeit untersucht werden.“ Bis das Gutachten fertig sei, werde es etwas dauern.
Zur Erinnerung: Andreas Scheuer hatte einen Vertrag mit einem möglichen Betreiberkonsortium unterschrieben. Doch dann entschied der Europäische Gerichtshof, dass das Vorhaben gegen europäisches Recht verstößt. Vor drei Wochen nun einigten sich Ministerium und Betreiber auf einen Vergleich.
Wie wahrscheinlich ist es nun, dass Scheuer für die 243 Millionen Euro Schaden persönlich haftbar gemacht werden kann? Kurz gesagt: nicht besonders. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte sich 2019 mit dem Thema befasst. Darin heißt es, alle Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen, hafteten für Schäden, die sie in der Ausübung des Amts „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ zugefügt haben. Dies beträfe auch Bundesminister. Grundlage dafür ist Artikel 34 des Grundgesetzes. Jedoch bedarf es dafür einer rechtlichen Grundlage im Bundesministergesetz. Die gibt es aber bislang nicht.
Christian Pestalozza, emeritierter Staatsrechtler von der Freien Universität Berlin, interpretiert das Bundesministergesetz jedoch so, dass dies zwar nicht die Möglichkeit vorsieht – aber eben auch nicht explizit ausschließt.
„Grobe Fahrlässigkeit“ wäre wohl schwierig nachzuweisen
Scheuer hat sich in der Vergangenheit darauf zurückgezogen, dass Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat das Gesetz verabschiedet hatten. Auch der Bundespräsident hatte es unterschrieben. Diesen Einwand lässt Pestalozza nicht gelten. „Niemand hat ihn gezwungen, den Vertrag so schnell zu schließen. Die europarechtlichen Bedenken waren weithin bekannt, doch Scheuer ging ins Risiko, indem er die Entscheidung des EuGH nicht abwartete.“ Nach Ansicht von Pestalozza sei nun die Frage, ob Scheuer „grob fahrlässig“ gehandelt habe. Allerdings sei es schwierig, das nachzuweisen.
Steffen Augsberg, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Gießen, vertritt eine andere Meinung. „Das Bundesministergesetz gibt solche Schadenersatzansprüche nicht her“, sagte er unserer Redaktion. Auch rein praktisch hätte dies seiner Meinung nach nur geringen Nutzen. „Selbst wenn man das persönliche Vermögen und die Pensionsansprüche von Herrn Scheuer pfändet, reicht das lange nicht, um einen substanziellen Teil der 243 Millionen Euro zurückzubekommen.“ Augsberg betont zudem: „Politiker handeln nicht für sich, sondern für uns alle. Damit sind auch die Fehler, die sie machen, nicht individuell zurechenbar.“
Doch trotz Kritik der Öffentlichkeit und der Opposition trat Scheuer nicht zurück. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte mit Blick auf Rücktrittsforderungen gegen ihren Verkehrsminister 2019: „Ich finde, dass Andi Scheuer eine sehr gute Arbeit macht.“ Auch Scheuers eigene Partei, die CSU, drängte ihn nicht, sein Amt aufzugeben. Bis heute steht sie zu ihm. „Eine Regressforderung ist vollkommen abwegig“, sagte Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Bundestag, am Montag.
Unabhängig vom Fall Scheuer sagt Staatsrechtler Pestalozza jedoch, dass es ratsam sei, Spitzenpolitiker nicht persönlich juristisch für ihre Entscheidungen haftbar zu machen. Er gibt zu bedenken: „Wenn man potenziell für jede Entscheidung haftbar ist, würde sich wohl kaum jemand für das Amt eines Bundesministers finden.“