Der Stammsitz des Oberndorfer Waffenherstellers Heckler & Koch. Foto: von Dewitz

Oberndorfer Waffenhersteller erwägt, juristisch gegen Auftragsvergabe vorzugehen.

Oberndorf/Suhl/Berlin - Nachdem der erste Schock am Stammwerk des schwäbischen Waffenherstellers Heckler & Koch (HK) in Oberndorf (Kreis Rottweil) verdaut war, hat das Unternehmen eine Stellungnahme zur verlorenen Bieterschlacht um das neue Sturmgewehr für die Bundeswehr abgegeben: "Vorbehaltlich einer ausgiebigen juristischen Überprüfung bedauern wir diese Entscheidung", wird der Vorstandsvorsitzende Jens Bodo Koch in einer Pressemitteilung zitiert, die unserer Zeitung vorliegt. Gleichzeitig sei man aber von der Qualität seiner Sturmgewehre "absolut überzeugt". Koch weiter kämpferisch: "Wir müssen mit unseren Produkten keinen Wettbewerb scheuen."

Und nicht nur das: Nachdem das Bundesverteidigungsministerium am Dienstag offiziell mitteilte, den rund 245 Millionen schweren Auftrag über 120.000 Gewehre nicht nach Oberndorf, sondern an den thüringer Konkurrenten C.G.Haenel in Suhl zu vergeben, erwägt man im Schwarzwald rechtliche Schritte. "Wir werden die Entscheidung nun juristisch ausführlich prüfen und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen", sagt Koch.

"Für das Unternehmen ein Rückschlag"

In Oberndorf und Umland wird die Entscheidung gegen HK rege diskutiert. Oberndorfs Bürgermeister Hermann Acker (Freie Wähler) bleibt sachlich: "Wir gehen von einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren aus und bedauern natürlich, dass HK bei der Vergabe nicht den Zuschlag erhalten hat", erklärt er auf Anfrage unserer Zeitung. Welche Auswirkungen diese Entscheidung für den Wirtschaftsstandort Oberndorf hat, könne man momentan nicht beurteilen.

Stefan Teufel, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion und Abgeordneter des Wahlkreises Rottweil, sagt auf Nachfrage: "Wir brauchen für unsere Bundeswehr hinsichtlich der Ausstattung einen sicheren und zuverlässigen Anbieter. Die Entscheidung, nach einem langen Bieterverfahren, die Sturmgewehre nicht mehr über HK zu beziehen, ist für das Unternehmen ein Rückschlag."

Geschäftsführung in Thüringen nicht zu sprechen

Weltuntergangsstimmung ist trotz des entgangenen Auftrags aber nicht zu spüren. "Wir werden es überleben", äußert sich ein HK-Mitarbeiter zuversichtlich. Den 950 Mitarbeitern in Oberndorf versicherte der Vorstand derweil, dass ihre Jobs nicht bedroht seien. "Wir haben nach dem Wechsel des Mehrheitsaktionärs vor einigen Wochen erklärt, dass die Jobs in Oberndorf sicher sind. Daran hat sich nichts geändert", sagt Finanzvorstand Björn Krönert.

Während sich HK bereits am Dienstag öffentlich zur Vergabe äußerte, hält man sich im Thüringer Wald noch bedeckt mit Stellungnahmen zum Erfolg um den an Land gezogenen Großauftrag: "Es handelt sich um ein laufendes Verfahren, das wir nicht kommentieren. Bitte wenden Sie sich an das Verteidigungsministerium", sagt eine Haenel-Mitarbeiterin am Telefon. Geschäftsführer Olaf Sauer? Ist nicht zu sprechen.

Vorstandsboss verweist auf gut gefüllte Auftragsbücher

Die Zurückhaltung bei Haenel hat durchaus Gründe. Da ist die Tatsache, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Am Dienstag teilte das Verteidigungsministerium mit, dass der Bundestag noch in diesem Jahr seine Zustimmung geben soll. Entsprechende Unterlagen würden gerade vorbereitet. Doch wohl auch aus persönlichen Gründen verlässt bislang noch kein Statement die Pressestelle von Haenel. Geschäftsführer Sauer kommt aus dem Schwarzwald, war vor seinem Engagement bei Haenel lange Jahre Mitarbeiter bei HK. Ein Insider berichtet, dass er nach wie vor ein feines Gespür dafür habe, was so ein entgangener Auftrag für HK bedeutet.

Für das Traditionsunternehmen HK kommt der Rückschlag zur Unzeit. Jahrelang liefen die Geschäfte mehr schlecht als recht – die Maschinen veraltet, die Abläufe ineffizient und der Schuldenberg schier erdrückend hoch. Mit neuem Management und einer Kraftanstrengung, bei der auch die Belegschaft mitmachte und unbezahlte Mehrarbeit akzeptierte, gelang 2019 die Rückkehr in die schwarzen Zahlen. Ein Investitionspaket von 25 Millionen Euro wurde geschnürt – die Hälfte davon für neue Maschinen.

Werden die höheren Produktionskapazitäten nun überhaupt noch gebraucht? Vorstandsboss Koch verweist auf derzeit gut gefüllte Auftragsbücher – es werde mehr bestellt als abgearbeitet werden könne. "HK ist und bleibt wieder ein profitables Unternehmen." Dennoch: Rein rechnerisch gehen HK pro Jahr rund 41 Millionen Euro durch die Lappen. Allerdings bleibt davon weniger in der Firmenkasse, weil der Gewehrhersteller noch Zulieferer bezahlen muss – etwa für Visiere, Taschen und Trageriemen. Angesichts hoher Nachfrage aus den USA und anderen Staaten scheint der Verlust schmerzhaft, aber verkraftbar zu sein.

Auch das für den Auftrag bereit gestellte Gewehr vom Typ HK416 dürfte sich weiterhin – wenn auch nun nicht an die Bundeswehr – gut verkaufen. "Dieses Gewehr hat sich seit seiner Markteinführung zum europäischen Sturmgewehr gemausert. Es befindet sich in zahlreichen Nato-Ländern im Einsatz, zum einen als Standardwaffe in Norwegen, Frankreich und im US Marine Corps sowie als Sturmgewehr neben vielen anderen bei den Spezialkräften der USA, Polens und Großbritanniens", heißt es in der Pressemitteilung.

Das ändert aber nichts daran, dass in Oberndorf eine Ära zu Ende geht, denn schon 1959 haben die Schwarzwälder mit dem G3 ihre ersten Sturmgewehre an die Bundeswehr geliefert. In den 90er-Jahren erhielt HK den Zuschlag für das Nachfolgegewehr des G3, das G36.

Ähnliche Überraschung gab es vor drei Jahren in Frankreich

Und nun? Nun scheint das Kapitel Sturmgewehr für HK abgelaufen zu sein. Ausschreibungssieger Haenel soll die Bundeswehr mit etwas besseren technischen Resultaten und einem günstigeren Angebot beim MK556 überzeugt haben. Bereits Stunden nach der offiziellen Bekanntgabe machten schon Gerüchte die Runde, warum HK diesen wichtigen Auftrag nicht für sich gewinnen konnte. Eines davon: Der Eigentümerwechsel durch die Luxemburger Finanzholding namens CDE habe damit zu tun. Das sieht der Vergaberechtler Jan Byok von der Kanzlei Bird & Bird anders und verweist darauf, dass Haenel zur Merkel Gruppe gehört, Teil der Tawazun Holding aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Sowohl HK als auch Haenel gehören ausländischen Firmen – diesbezüglich hat keiner Vor- oder Nachteile."

Drei Jahre ist es her, da gab es in Frankreich eine ähnliche Überraschung wie jetzt. Damals trat HK in der Rolle als Außenseiters an und setzte sich gegen den langjährigen Lieferanten, die belgische Waffenfirma SN, durch. Die Erfolgsmeldung ist lang her. Die Gegenwart schreibt eine andere Geschichte.