Hans-Ulrich Rülke ist trotz der Rückschläge für die FDP in den vergangenen Monaten vom Erfolg seiner Partei überzeugt. Foto: Hopp

Landtags-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht über die drohende Bedeutungslosigkeit seiner Partei und wie er sie verhindern will.

Oberndorf - Hans-Ulrich Rülke lehnt sich entspannt zurück. Der Landtags-Fraktionsvorsitzende der FDP sitzt fest auf seinem Stuhl. Der Mann, der im baden-württembergischen Landtag in Stuttgart richtig laut werden kann, spricht am Dienstag beim Redaktionsbesuch bei unserer Zeitung in Oberndorf ruhig und sachlich über die Ziele seiner Partei. Manchmal wird er auch ironisch. Immer wieder redet er von der Gravitationskraft, die so entscheidend sei.

Die FDP kämpft um ihr politisches Überleben. Nicht nur im Bund, sondern auch in Baden-Württemberg. Seit der grün-roten Regierungsübernahme im Frühjahr 2011 sitzt sie auf der Oppositionsbank. Bei einer Umfrage von Infratest dimap im November 2014 lag die liberale Partei bei drei Prozent. Erstmals in ihrer Geschichte übersprang sie bei der Bundestagswahl 2013 nicht die Fünf-Prozent-Hürde. Sowohl im Bund als auch im Land hat sie mit einem Bedeutungs- und Wahrnehmungsverlust zu kämpfen. Wie kann es der Partei gelingen, ihren Untergang abzuwenden?

Den Ansehensschwund der FDP durch ihr Ausscheiden aus dem Bundestag räumt der Landespolitiker ein: "Diese Bühne ist nicht ersetzbar", sagt der gebürtige Tuttlinger. "Der Anker der FDP ist die Bühne des deutschen Bundestags." Eine Partei könne nicht ernsthaft bestehen, wenn sie längere Zeit nicht im Bundestag vertreten sei.

Rülke sieht einen engen Zusammenhang zwischen Bundes- und Landespolitik. "Wenn wir auf Bundesebene bei drei bis vier Prozent liegen, dann schaffen wir im Land auch fünf Prozent", meint der 53-Jährige. Erstmals fällt Rülkes Schlagwort: Gravitationskraft. Hier bezieht er sie auf die Wichtigkeit der Bundesebene.

Die Liberalen schauen am Sonntag gespannt auf die Hamburg-Wahl

Seine Partei blicke gespannt auf die Bürgerschaftswahl in Hamburg am kommenden Sonntag. Rülke hofft wie Parteichef Christian Lindner auf eine "Eisbrecherwahl". Sie soll den negativen Trend stoppen. Zum Vergleich: Nach der vergangenen Hamburg-Wahl war die FDP in allen Landtagen vertreten und an sieben Landesregierungen beteiligt. Heute redet sie in keiner Regierung mehr mit.

Die Wahl in Hamburg könne laut Rülke ein "erster Schritt" sein. Die Mission der Partei laute "2017: Wiedereinzug in den Bundestag". Die Landtagswahl in Baden-Württemberg im Frühjahr 2016 sei dafür ein wichtiger Baustein. Aber was, wenn der bundespolitische Rückenwind weiter ausbleibt?

Rülke versucht zusammen mit dem Horber FDP-Landeschef Michael Theurer bereits gut ein Jahr vor der Wahl, im Stammland der FDP die Weichen zu stellen. Aber auch hier spürt Rülke, wie wichtig die Bundesebene für Erfolge bei Landtagswahlen ist: "Wir haben keine Bundestagsabgeordneten mehr aus dem Land", bedauert er. Zudem sei die FDP in Baden-Württemberg nur in jedem zehnten Wahlkreis mit einem Landtagsabgeordneten vertreten.

Deshalb reist die FDP-Landtagsfraktion durch den Südwesten. Gestern Abend gab sie bei ihrer Besuchs- und Informationsreise in Rottweil einen öffentlichen Bürgerempfang. "Als Landtagsfraktion muss man in der Fläche Präsenz zeigen", ist der Politiker überzeugt. Probleme, genügend Kandidaten für die liberale Partei bei der Landtagswahl zu finden, sieht Rülke nicht.

Bei der FDP im Land könnte es wie bei der CDU zu einem Mitgliederentscheid über die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl kommen. Allerdings nur, wenn sich neben Rülke mindestens ein weiterer Kandidat bis Ende kommender Woche dafür bewirbt. "Ansonsten entscheidet ein Landesparteitag darüber", erklärt er.

Er will also an der Spitze gegen den Niedergang seiner Partei kämpfen. Mit einer Bewertung des Mitgliederentscheids der CDU hält sich Rülke zurück. Auch nach der Wahl Wilfried Klenks zum Landtagspräsidenten war die FDP-Fraktion erstaunlich ruhig. Obwohl CDU-Landeschef Thomas Strobl und CDU-Fraktionsvorsitzender und -Spitzenkandidat Guido Wolf Frauen in der Politik wortreich fördern wollten, wurde erneut ein Mann zum Landtagspräsidenten gewählt. Mit Kritik daran haben sich die Liberalen gleichwohl zurückgehalten. Das war wohl bewusst so. Schließlich ist die FDP-Fraktion eine reine Männerdomäne.

Doch es muss nur das Stichwort AfD (Alternative für Deutschland) fallen, und schon ist Rülke wieder ein Mann der klaren Worte. Nein, die Anfang 2013 gegründete Partei sei nicht der neue Hauptkonkurrent der FDP. Zu Beginn habe er zwar eine gewisse Gefahr gesehen, aber er gehe davon aus, dass sich die AfD selbst zerlege. "In Baden-Württemberg habe ich wenig Angst vor der AfD", sagt der Abgeordnete. Er traue ihr nicht zu, genügend Kandidaten für die 70 Wahlkreise bei der Landtagswahl zu finden.

"Beim Nationalpark muss die Gebietskulisse diskutiert werden"

Aber wie will die FDP in einem Jahr bei der Landtagswahl gegen die Strahlkraft eines beliebten Ministerpräsidenten wie Winfried Kretschmann (Grüne) ankommen? Rülke bleibt weiterhin ruhig. Dann spricht er wieder von der Anziehungskraft. Dieses Mal in Bezug auf das Amt des Ministerpräsidenten. Dagegen habe man kaum eine Chance. Kretschmann könne in den Baumarkt gehen oder Bienen züchten und schaffe es auf die Titelseite. Für ihn selbst sei das nicht möglich, sagt Rülke und lächelt. "Wir müssen die Landesregierung bei den Inhalten stellen."

Und jetzt kommt Rülke in Fahrt. Im Gegensatz zu anderen Parteien habe seine Partei in der Bildungspolitik ein Alleinstellungsmerkmal. "Wir sagen, jede Schulform hat ihre Existenzberechtigung. Aber die Menschen vor Ort sollen entscheiden, welche Schulart bei ihnen am besten geeignet ist", erklärt er. Das Angebot seiner Fraktion, sich zwischen den Parteien auf einen Schulfrieden zu einigen, bestehe trotz der Absage der CDU weiterhin. Die habe man durch den Vorschlag, sich auf einen Konsens in der Schulpolitik zu verständigen, unter Druck gesetzt. Zudem sieht Rülke bereits erste Erfolge durch den Vorschlag seiner Fraktion. Er nennt zum Beispiel die Diskussion über die finanzielle Ausstattung der einzelnen Schulformen. Der ehemalige Gymnasiallehrer fordert dabei Chancengerechtigkeit für jede Schulart.

Wirtschaftspolitisch kritisiert der Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Enz beispielsweise das Gesetz zur Änderung der Landesbauverordnung der grün-roten Landesregierung. Falls seine Partei nach der Wahl 2016 wieder in Regierungsverantwortung sei, werde sie diese Einschränkungen ändern. Bei der Infrastruktur fordert Rülke einen Ausbau der Breitbandnetzstruktur. Diese sei vor allem für mittelständische Unternehmen im Südwesten von großer Bedeutung. Aus deren Kreis spüre er auch große Unterstützung für die kommende Landtagswahl.

Beim Thema Nationalpark Schwarzwald will Rülke nicht alles umkrempeln. Aber über die Gebietskulisse sollte nochmals nachgedacht werden. Er spricht sich wie die CDU für einen Bürgernationalpark aus.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende kritisiert Grün-Rot vor allem bei der Energiewende. Von den angestrebten 480 Windrädern in den bisherigen vier Jahren Regierungszeit habe die Landesregierung nur 40 bauen lassen, sagt Rülke. Er sieht zu wenig Windpotenzial in Baden-Württemberg für diese Art der erneuerbaren Energien. Es gehe um klare Konzepte, wie die Energie gespeichert werden könne.

Eindeutige Vorstellungen von der Notwendigkeit seiner Partei hat Rülke auch. Er ist sich mit Parteichef Lindner einig, Deutschland brauche eine liberale Partei. "Baden-Württemberg benötigt die FDP als Partei des Erwirtschaftens. Die anderen Parteien denken nur über das Verteilen nach", sagt er gelassen. Rülke sitzt still auf seinem Stuhl. Es könnte die Ruhe vor stürmischen Wahlkampfzeiten sein, die sich im Südwesten ankündigen.